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Archiv-Artikel

Vom Abendschein besonnte Zeiten

CENTRUM JUDAICUM Die Ausstellung „Auf der Suche nach einer verlorenen Sammlung“ erinnert an das erste Jüdische Museum in Berlin, das 1933 eröffnet worden war. Die Nationalsozialisten hatten es 1938 geschlossen und die Sammlung moderner Kunst geraubt

So wichtig die Erinnerung an die Vormoderne und Moderne ist, der Aspekt der Leerstellen, des NS-Kunstraubs kommt zu kurz

Die Spurensuche im Centrum Judaicum hätte eine heikle Mission in die Asservatenkammer jüdischer Kultgeräte werden können. Die beiden Kuratoren der Schau, Chana Schütz und Hermann Simon, richteten ihren Blick hingegen auf eine Besonderheit des Jüdischen Museums, das schon damals nach einer neuen Rolle, ja Grenzverschiebung für jüdische Museen suchte.

Am 24. Januar 1933 war das Jüdische Museum neben der Synagoge an der Oranienburger Straße eröffnet worden. Sein Markenzeichen bestand darin, dass es sich neben der jüdischen Erinnerungskultur, Judaica und biedermeierlichen Bildzeugnissen intensiv mit Gegenwartskunst beschäftigte. „Weltweit war es das erste jüdische Museum, das nicht nur Zeugnisse der jüdischen Vergangenheit, sondern jüdische Kunst der Moderne sammelte und ausstellte“, sagt Schütz. Deren Protagonisten prägten in jener Zeit das Kulturleben in Berlin und Deutschland.

Einfache Mitglieder, Geschäftsleute, Galeristen und besonders Künstler der aufgeklärten assimilierten jüdischen Gemeinde Berlins hatten das Vorhaben nach einer langen Vorbereitungsphase unterstützt. Max Liebermann und Arthur Segal, Eugen Spiro, Marc Chagall oder Ludwig Meidner stellten im Jüdischen Museum aus und vermachten dem Haus Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen. Hans-Günther Flieg, Abraham Pisarek, Herbert und Leni Sommerfeld legten mit ihren Bilddokumenten den Grundstock für ein Fotoarchiv.

Über 70 Jahre nach der Schließung von 1938 vereint die Ausstellung nun 50 der früheren Exponaten an Ort und Stelle; darunter Lesser Urys wunderbar leuchtender „Potsdamer Platz bei Nacht“ (1926) oder Jakob Steinhardts expressiv-manierierter „Prophet“ (1914) oder Liebermanns berühmtes tief blickendes „Selbstporträt mit Pinsel und Palette“ von 1933, das der Künstler kurz vor seinem Tod malte.

Für den Kunsthistoriker Karl Schwarz, erster Direktor des Hauses, war es erklärtes Ziel, „systematisch“ moderne Kunst emanzipierter jüdischer Künstler zu sammeln. Der Ort sollte ein Salon für den deutschen Expressionismus und die Neue Sachlichkeit sein, der Zeitgeist widergespiegelt werden. Der Mission war keine Zeit gegönnt. Eine Woche nachdem der damalige Korrespondent der Jüdischen Telegraphen Agentur, James Rosenthal, zur Eröffnung über den „unbeschwerten, gleichsam abendschein-besonnten, jüdischen Gesamtkulturakt in der damaligen Reichshauptstadt“ schrieb, kam Hitler an die Macht, es folgte die brutale Eliminierung der Juden aus der deutschen Gesellschaft und Kultur, der Holocaust warf Schatten voraus.

Die Nazis behinderten fortan massiv den Ausstellungsbetrieb, es wurde für die Künstler und Besucher gefährlich. Während nach 1933 viele Künstler das Land verließen, unterstützten andere das Museum umso mehr. Der Bestand samt Leihgaben wuchs auf rund 400 Kunstwerke, immer mehr Judaica erreichten das Museum. 1938 schloss die Gestapo das Haus und raubte per Beschlagnahme die Sammlungen.

Als 1946 in einem Charlottenburger Depot der ehemaligen Reichskulturkammer 280 Kunstwerke wieder auftauchten und 1952 in einer peinlichen „Wiedergutmachung“ an die Jüdische Gemeinde restituiert wurden, dachte in der Gemeinde niemand daran, im Land der Täter ein jüdisches Museum wiederzueröffnen. Ein Großteil der Werke wurde an die Jewish Restitution Successor Organisation weitergeleitet – eine Institution, die besitzlose Kulturgüter an jüdische Einrichtungen übereignete.

Darum stammt fast alles in der Ausstellung aus dem Besitz des Israel Museums in Jerusalem oder des Skirball Cultural Centers in Los Angeles. Leihgaben kamen aus Tel Aviv und Warschau, einige wenige Stücke konnten aber auch das Jüdische Museum Berlin oder das Centrum Judaicum beisteuern. Private Erben liehen aus oder – schenkten erneut. Viele andere Objekte – wie die Silbersammlung oder Medaillen – blieben verschollen. Die NS-Räuber hatten diese zu Geld gemacht. Dass bis zum Kriegsende so viele Bilder der Sammlung und Leihgaben en gros überdauerten, gleicht einem Wunder.

Weniger verwundert, dass sich darunter einige befinden, deren Provenienz und Besitzverhältnisse bis dato nicht klar sind. Skandalös bleibt auch, dass Museen „NS-verfolgungsbedingte Kunstwerke“ ihres Bestandes nicht unverzüglich an die Erben oder das Centrum Judaicum restituieren. Liebermanns „Simson und Delila“ (1910), vom Museum Gelsenkirchen ausgeliehen, gehörte 1937 zur Kunstsammlung der Jüdischen Gemeinde.

So wichtig die Erinnerung an die Vormoderne und Moderne ist, der Aspekt der Leerstellen, des NS-Kunstraubs, die Forschung nach verschollenen Werken kommt in dieser Heimaterkundung zu kurz. Zwar wird auf den Verlust von Felix Nussbaums „Blumenstillleben“ von 1937, Lesser Urys großen Moses-Tableaus von 1928 oder den des zionistischen Kultbilds „Sie wandern“ (1936) von Samuel Hirszenberg per Fotografie verwiesen. Weniger gut in Szene gesetzt aber sind die damalige Konzeption des Museums und der Verlust vieler Bilder im historischen Kontext.

Es hätte der Schau bekommen, mehr Dokumente und Fotos der fehlenden Kunstwerke in die Ausstellung einfließen zu lassen. Die Frage, ob die Zerrissenheit der Sammlung revidierbar ist, wird erst gar nicht gestellt. Man ist sichtlich noch am Anfang. Die Suche nach einer verlorenen Sammlung hat wohl erst begonnen. ROLF LAUTENSCHLÄGER

■ Centrum Judaicum, Berlin: „Auf der Suche nach einer verlorenen Sammlung – Das Berliner Jüdische Museum (1933–1938)“, noch bis 30. 12. 2011