Häuptling der Würste

STREETFOOD Haggis, das ist Herz, Lunge und Nierenfett vom Schaf – im Schafsmagen gekocht. In Schottland legt man das auf Pizza und Burger

Für einen Burger:

■ 200 g Hackfleisch

■ 1 Scheibe Haggis

■ 1 Scheibe Blutwurst

■ 3 Scheiben Speck

■ reifer schottischer Cheddar

■ 1 halbe Zwiebel

■ 1 halbe Tasse Semmelbrösel

■ 1 Eigelb

■ Eisbergsalat

■ 1 Hamburgerbrötchen

■ Ketchup, körniger Senf

■ Salz, Pfeffer

In einer großen Schüssel das Hackfleisch mit etwas Senf, einer Prise Salz, einer Prise Pfeffer, dem Eigelb, einer halbe Tasse Semmelbrösel und der zerkleinerten Scheibe Haggis gründlich vermischen. Eine Bulette formen und anbraten. Den Speck und die Blutwurst in einer zweiten Pfanne anrösten. Das Hamburgerbrötchen kurz toasten. Auf die obere Hälfte Ketchup und Senf geben und dazu ein paar rohe Zwiebelringe. Die restlichen Zwiebelringe in der Pfanne mit der Bulette anbraten, bis sie braun werden. Sobald die Bulette fast durch ist, etwas Cheddar darüberlegen, dann die Bulette umdrehen und den Cheddar eine Minute rösten. Dann die Bulette, den Eisbergsalat, die gebrate-nen Zwiebeln, den Speck und die Blutwurst im Hamburgerbrötchen stapeln.

Wer Haggis nicht selbst herstel- len möchte, kann ihn auch bestel- len, zum Beispiel über kiltsandmore.com . Rezepte zu Haggis und anderen schottischen Gerichten finden sich in dem sauber recherchierten Buch „Schottisch kochen“ von Frank Winter (Göttingen, Verlag Die Werkstatt 2014, 16,90 Euro).

VON RALF SOTSCHECK

Eine Ode an eine Wurst? Das kann nur einem Schotten einfallen. „Dein feines Gesicht sei von Glück erhellt“, so beginnt das Gedicht „To A Haggis“ von Robert Burns. „Du Häuptling in der Würstewelt! Bist hoch über alle andere gestellt, ob Pansen, ob Darm: Verdienst, dass man dein Lob erzählt, so lang wie mein Arm. Die ächzende Schüssel da füllst du aus, dein Hintern schaut wie ein Bergrücken raus, dein Holzspieß hülf als ’ne Rad-Achse aus, in Zeiten der Not. Und aus deinen Poren tritt Tau heraus, wie Bernstein rot.“

Burns wurde 1759 im schottischen Alloway als ältestes von sieben Kindern geboren. Sein Vater war ein armer Pachtbauer, der Wert auf eine gute Ausbildung seiner Kinder legte. Robert lernte Latein, Französisch, Mathematik und Philosophie. Mit 15 schrieb er sein erstes Gedicht. Sein berühmtestes ist „Auld Lang Syne“, das meistgesungene Lied der Welt. Berühmt war er aber auch für seinen Alkoholkonsum und seine Liebschaften. Er hatte zwölf Kinder von vier Frauen. Und wurde nicht alt: Er starb mit 37 Jahren. Am Tag seiner Beerdigung, an der zehntausend Menschen teilnahmen, wurde sein jüngster Sohn geboren.

„Wenn Schottland Burns vergisst, dann vergisst die Geschichte Schottland“, warnte der Gelehrte J. S. Blackie im 19. Jahrhundert. Damit das nicht geschieht, feiern Schotten in aller Welt am 25. Januar den Geburtstag des Nationaldichters. Und zur „Burns Night“ gehört nun mal ein Haggis, damit man das Wurstgedicht vortragen kann. Am wichtigsten ist die dritte Strophe: „Sieh, wie der Bauer sein Messer wischt; er schneidet dich auf, wenn aufgetischt, und in dein saftiges Inneres er bricht, dem Pflüger gleich; und dann, o welch gesegnete Sicht, warm-dampfend, reich.“ Mit diesen Worten schlitzt der Rezitator den Haggis auf, „so wie die Schotten es mit den Engländern in der Schlacht bei Bannockburn getan haben“, schrieb der Brigadier Antony Doom 1816. Aber das ist eine andere Geschichte.

Eigentlich wird Haggis gesittet am Tisch mit Messer und Gabel gegessen, doch in letzter Zeit ist das Gericht auch zum Street Food avanciert. Was ist ein Haggis? Er besteht aus Herz, Leber, Lunge, Nierenfett vom Schaf und Zwiebeln, die, mit Hafermehl vermischt, im Schafsmagen gekocht werden. Er ist also eine kugelförmige Wurst. Dazu werden „tatties and neeps“ gereicht – Kartoffeln und Steckrüben – sowie Unmengen Whisky. Neuerdings gibt es auch eine Veganer-Variante mit Walnüssen, Linsen, Rüben und Karotten.

Haggis wird an schottischen Imbissbuden durch eine Fensterluke auf die Straße verkauft, er wird frittiert mit Pommes oder als Haggisburger serviert. In manchen indischen Restaurants in Schottland gibt es Haggis-Pakoras, und eine Pizza-Kette benutzt Haggis als Belag.

In den USA verboten

Wann der erste Haggis verzehrt wurde und woher das Wort stammt, ist nicht bekannt. Gegenüber Engländern behaupten die Schotten gerne, dass der Haggis ein kleines Tier sei, das auf einer Seite längere Beine habe, damit es in den Bergen der schottischen Highlands besser stehen könne. Um einen Haggis zu fangen, treibt man ihn ins flache Land. Dann fällt er um und kann eingesammelt werden. Es ist erstaunlich, wie viele Engländer das glauben. Die Jagdsaison sei vom 30. November, wenn die Haggii – das sei der korrekte Plural, behauptet die Zeitung Scotsman – schlüpfen, bis zu Burns’ Geburtstag. Haggis sei „die größte kulinarische Entdeckung, seit Fischer herausfanden, dass man Austern öffnen kann“, schreibt das Blatt.

In die USA darf man diese Entdeckung nicht einführen. Sie ist laut US-Gesetzen „für den menschlichen Verzehr nicht geeignet“. Der frühere französische Staatspräsident Jacques Chirac findet das auch. In einem Gespräch mit Wladimir Putin und Gerhard Schröder sagte er einmal, dass „man Leuten nicht trauen kann, die eine so schlechte Küche haben“. Er meinte die Briten und führte als Beispiel Haggis an. Früher hätte man ihm dafür den Krieg erklärt. „Seht den Landsmann, haggisgenährt, von seinem Schritt tönt zitternd die Erd“, dichtete Robert Burns. „Drückt ihm in die breite Faust ein Schwert, er lässt es tanzen; mit Armen und Beinen er verfährt wie mit Unkrautpflanzen.“

Heutzutage wird Haggis nicht mehr im Krieg, sondern bei sportlichen Wettkämpfen eingesetzt. Bei den „Highland Games“, der schottischen Olympiade, wird ein Haggis-Weitwurf veranstaltet. Den Weltrekord hält ein Alan Pettigrew seit 1984. Er warf einen anderthalbpfündigen Haggis auf der Insel Inchmurrin im Loch Lomond 180 Fuß und 10 Zoll weit. Eine solch unwürdige Behandlung des Haggis wäre Burns nicht recht gewesen. „Ihr Mächte, die ihr im Himmel verkehrt, und den Menschen den Speisezettel serviert“, lautet die letzte Strophe seines Gedichts an den Häuptling der Würstewelt. „Ein Schotte hat Fraß noch nie verzehrt, der bloß ein Dreck ist; drum, wünscht ihr, dass er euch verehrt, gebt ihm ’nen Haggis!“

Die Essecke: Unsere Korrespondenten erzählen hier jeden Monat, was in ihren Ländern auf der Straße gegessen wird. Philipp Maußhardt schreibt über vergessene Rezepte, Sarah Wiener komponiert aus einer Zutat drei Gerichte, Jörn Kabisch spricht mit Praktikern der Küche