Wie eine Wundertüte

BASISDEMOKRATIE Beim „USB-Shuffle“ im Kunstraum Institut für Alles Mögliche verbarg sich die Kunst auf Flashdrives. Der Prozess der Kunstentdeckung wurde – mit Bierflasche in der Hand – zur sozialen Skulptur

Wer etwas findet, das ihn begeistert, kann es sich auf einen eigenen Datenträger laden

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

Viel zu sehen gibt es bei dieser Ausstellung in der Ackerstraße erst mal nicht. Eine Sperrmüll-Tischplatte, die auf gelben Plastikkisten aufgebockt ist, darauf zwei Beamer und einen Haufen USB-Sticks in Körbchen, Kistchen, Glasschalen und in loser Schüttung um diese herum.

Die Kunst ist auf den Flashdrives. Wenn man sie ansehen will, muss man sie in einen der USB-Ports stecken, die über langen, sich auf der Tischplatte schlängelnde Kabel mit einem Computer verbunden sind. Was sich auf den Minifestplatten wie in einer Wundertüte verbirgt, wird an die Wand projiziert: digitale Videos und Fotos, Zeichnungen, Websites, Textfiles, Audiodateien und künstlerische Software.

Nach einem ersten Open Call im Internet wurden aus der ganzen Welt vierzig USB-Sticks per Post ans Institut für Alles Mögliche, einem unabhängigen Kunstraum in der Ackerstraße in Mitte, geschickt. Manche der Teilnehmer werden ihren Beitrag wohl als „Teilnahme an einer Gruppenausstellung“ im Lebenslauf vermerken. Anderen sind solche Riten der Kunstszene offenbar wurst – sie senden ihre Werke ohne Absender und ohne Namenssticker auf dem USB-Stick nach Berlin.

Weil diese Show schon zum dritten Mal stattfand, lagen diesmal etwa 200 Sticks auf dem Tisch und warteten auf geneigte Betrachter. Wie bei einer Mail-Art-Ausstellung von einst wird ganz basisdemokratisch alles gezeigt, was bis zum Einsendeschluss im Briefkasten lag. Es gibt keine Auswahl, kein Hierarchie, keinen Kurator.

Über Fundstücke reden

So kann jeder Besucher selbst einfach mal gucken, was sich auf den Sticks befindet. Mit Bier- und Mateflaschen in der Hand sitzen Grüppchen von Ausstellungsbesuchern um den Tisch, stöpseln USB-Sticks ein und lassen sich davon überraschen, was sich auf den – zur Minigalerie gewordenen – Datenspeichern befindet. So wird die ganze Angelegenheit zur sozialen Skulptur, bei der das Gespräch über die Fundstücke genauso wichtig ist wie die angeklickte Kunst selbst.

Wer etwas findet, das ihn begeistert, kann sich die Arbeit einfach auf einen eigenen Datenträger laden und nach Hause nehmen. Der Besucher staunt: So viel Kreativität kann selbst eine Aktion auslösen, die keinen finanziellen Gewinn und kaum Prestige in der Kunstszene bietet.

Weil es um den Austausch geht, nicht um die Präsentation ewiger Meisterwerke, dauerte die Ausstellung im Vorfeld des Berliner Medienkunst-Festivals Transmediale auch nur drei Tage, 16. bis 18. Januar. (Aber keine Sorge: Alle Einsender werden von Organisator Stefan Riebel penibel auf der Website usb.i-a-m.tk/ verzeichnet.)

So operiert die DIY-Show an der Grenze von potenziell unendlicher digitaler Vervielfältigung und haptisch fassbarem Unikat, von Copyright und Open Source, von immaterieller Datei und liebevoll gebastelten Dingchen.

Die Minifestplatten wurden zum Teil von den Künstler selbst wie Kunstwerke gestaltet. So ragen die USB-Stecker, die man an den Computer anschließen kann, unter anderem aus einer Muschel, einem rosa Plastik-Rhinozeros oder einem Diabetrachter, der von der LED-Leuchte des USB-Sticks von innen apart beleuchtet wird.

Ein Flash-Drive ist in einem minutiös gearbeiteten Kistchen aus grauer Presspappe verborgen. Wer das Teil an den Beamer anschließt, bekommt ein Video zu sehen, das zeigt, wie die Schachtel gebaut wurde – eine Referenz an Robert Morris’ minimalistische Skulptur „Box with the Sound of Its Own Making“? Möglicherweise, aber die Arbeit ist noch komplexer: Im Video sieht man, wie in der Pappbox Bilder versteckt werden, die man allerdings nicht erkennt. Wer wissen will, welche geheime Aussage in dem Kistchen verborgen wurde, müsste es knacken. Das macht dann aber doch niemand, trotz ausdrücklicher Aufforderung zum Mitmachen.

Manche der Besucher haben selbst USB-Sticks eingesendet und schauen vorbei, um zu sehen, wie ihre Werke beim Publikum ankommen. Für die Berliner Videokünstlerin Dorotea Etzler wäre es zwar „kein Drama“, wenn niemand ihren Beitrag – ein Film aus Screenshots von ihrem iPhone – ansehen würde. Aber falls jemand auf den kurzen Clip stößt, ist sie gerne zu einem Gespräch über ihre Kunst bereit.

Auch John R. Neeson, ein australischer Künstler zu Besuch in Berlin, motivierte die direkte Reaktion des Publikums, sein Video von Lichtreflexionen in einer Wasserschale einzusenden: „In Australien kommen die Leute zu Ausstellungseröffnungen, um Wein zu trinken. Über Kunst redet da nie jemand. Hier bekommt man Feedback.“ Und zwar von Leuten, die sich für Kunst interessieren und etwas dazu zu sagen haben: „Nichts ist schlimmer, als bei der eigenen Ausstellung in einer Galerie zu sitzen und auf Besucher zu warten. Und dann kommt eine Frau mit Hund rein, und fragt: Ist hier nicht mehr die Arztpraxis? Da ist das hier viel besser.“