: Sauber inszenierte Trostlosigkeit
VERSTECKTE SUCHT Der Dokumentarfilm „Porträts deutscher Alkoholiker“ von Carolin Schmitz erzählt von Trinkern aus der westdeutschen Mittelschicht
Am Anfang des Dokumentarfilms „Porträts deutscher Alkoholiker“ von Carolin Schmitz wundert man sich, wie ordentlich alles aussieht. Die westdeutschen Siedlungen, die Vorgärten, die Wohnungen, das Wohnzimmer, durch das sich die Kamera tastet, während eine Frau im Off von ihrem Alkoholismus erzählt – alles sieht auf eine beängstigende Art proper aus.
Manchmal denkt man an James Benning, öfter noch an David Lynch. Die Frau im Off erzählt, wie sie sich während ihrer Schwangerschaft das Trinken verbietet, wie sie dann doch wieder anfängt, wie ihr bis dahin ahnungsloser Mann irgendwann entdeckt, dass sie trinkt. Sie spricht in vernünftigen Sätzen, die, verbunden mit den Kamerafahrten durch das freudlose Haus, das ihren bisherigen Lebenserfolg symbolisiert, deprimierend wirken und manchmal kurz davor sind umzukippen – ähnlich wie die Fassade der im Film porträtierten heimlichen Trinker. Etwa dann, wenn sie von ihrem Mann sagt, „dass er sich vorstellen kann, mich nicht mehr lieben zu können“, falls sie weiter trinke.
Carolin Schmitz hat für ihren Film sechs westdeutsche Alkoholiker aus der Mittelschicht befragt; einen Strafverteidiger, der betrunken Gerichtsverhandlungen führt, einen Beamten, einen Computerfachmann, traurige Mütter und Ehefrauen. Die TrinkerInnen sind dabei nie im Bild; man hört nur ihre Stimmen. Beim Gucken ist einem oft nicht ganz klar, was trostloser ist – die Umgebungen der heimlichen Trinker, also die Fassaden, die für ein gelungenes Leben stehen sollen, oder das heimliche, einsame, meist hastige Trinken. Diese sauber inszenierte Trostlosigkeit wird noch dadurch verstärkt, dass alles nur in einer Gesellschaftsschicht spielt, der westdeutschen Mittelklasse, dass das Trinken kein Ausbruch, sondern Rückzug ist und gleichzeitig das Mittel, das man nimmt, um in diesem Rahmen funktionieren zu können.
Schnaps für 200.000 Euro
Während man im Hintergrund Atomkraftwerke sieht, berichtet ein Unternehmer, wie toll es war, als er 200.000 Euro erbte. Gleich rechnete er sich aus, wie viel Liter Schnaps er mit dem schönen Geld kaufen könnte, er hatte den Eindruck, es würde fürs Leben reichen, und hat sich letztendlich aber doch geirrt. Und der Betrieb war dann auch hin.
Ein anderer, der Einzige, dessen Sucht anfangs noch etwas mit einem Ausbruchsverlangen zu tun zu haben schien, kam übers Hasch zum Alkohol und trank dann eher harte Sachen, weil’s billiger ist. Einer sagt, anfangs sei vieles leichter gegangen, wenn er getrunken hatte. Das Problematische am Trinken sei ihm erst spät aufgefallen, weil er beruflich gut funktioniere. Eine Frau sagt: „Meine Mutter ist ’ne Hure, und das Kind kann dann ja auch nichts anderes sein.“ Ein Mann fühlte sich als Weintrinker zunächst auf der besseren Seite.
Manchmal fällt es schwer, die Stimmen richtig zuzuordnen. Nur selten wird der depressive Grundton des Films unterbrochen, etwa wenn ein Mann erzählt, er trinke, weil er Alkoholiker sei. Und dann fällt er sich selbst ins Wort: Er sei ja gar kein Alkoholiker, weil er keine Probleme habe. „Und wenn ich kein Alkoholiker bin, kann ich so viel saufen, wie ich will.“
DETLEF KUHLBRODT
■ „Porträts deutscher Alkoholiker“. Regie: Carolin Schmitz. Dokumentarfilm, Deutschland 2010, 81 Min.