: Was Kunst ändern kann
POLITIK DES THEATERS Im Goetheplatz-Foyer diskutieren heute prominente Theatermacher, warum und wie Flucht und Flüchtlinge ihren Platz auf der Bühne finden sollten
André Leipold, Zentrum für Politische Schönheit (ZPS)
VON JENS FISCHER
Es geht um Kunst. Also um symbolische Handlungen. Die etwas bedeuten, indem sie beschreiben, erklären, assoziativ Zusammenhänge verdeutlichen, Sachverhalte hinterfragen, neu bewerten und in die Zukunft vorausdenken. Beispiel Migration. Beispiel Theater.
Drastische Flüchtlingstragödien werden bereits im Kindertheater erzählt, Elfriede Jelineks Hiketiden-Variation „Die Schutzbefohlenen“ erlebt kurz nacheinander in Hamburg, Freiburg und Bremen sehr unterschiedliche Inszenierungen. Auch setzt ein Intendant wie der Bremer Michael Börgerding ganz physisch seine Unterschrift unter eine Petition des Berliner Gorki-Theaters mit dem Ziel, die Streichung des schrankenlos geltenden Rechts auf Asyl aus dem Grundgesetz wieder rückgängig zu machen.
Die Dramaturginnen Regula Schröter und Katinka Deecke sind die Flüchtlingsbeauftragten des Theaters Bremen und versuchen mit der Veranstaltungsreihe „in transit“ auch Lobbyarbeit zu machen. Mit AsylbewerberInnen wird im Theater musiziert, mit Flüchtlingen – und über sie geredet, so wie heute im Foyer des Theaters am Goetheplatz. Dort tauschen sich Theatermacher über Flüchtlingsthemen in der Praxis der Kunst aus – unter ihnen auch André Leipold, Gründungsmitglied des Berliner Zentrums für Politische Schönheit (ZPS), das zuletzt durch eine Aktion mit den Kreuzen für die Mauertoten stark in den Medien präsent war.
Leipold behauptet, mit Kunst nicht nur symbolisch handeln, sondern auch konkret etwas ändern zu können. Als Saudi-Arabien 2012 annähernd 300 Panzer aus deutscher Produktion kaufen wollte, veröffentlichte ZPS seine recherchierten Infos dazu sowie Steckbriefe der Privatpersonen, die für die Geschäfte des Rüstungskonzerns Krauss-Maffei Wegmann (KMW) verantwortlich zeichnen. Zur ihrer Inhaftierung wurde ein Kopfgeld von 25.000 Euro ausgesetzt. Hexenjagd, schimpften die einen – nur so geht’s, meinten andere. Der Waffendeal kam nicht zustande, so Leipold. Der nahm es anschließend mit der mangelnden Bereitschaft der Bundesregierung auf, Flüchtlinge aufzunehmen.
Unter www.kindertransporthilfe-des-bundes.de stellte ZPS eine Website mit dem Logo des Familienministeriums und der Unterschrift der Ministerin Manuela Schwesig ins Netz, über die 55.000 syrische Kinder so an deutsche Pflegefamilien vermittelt werden sollten. Das seien ein Prozent der Kinder, die in der Kriegsregion als akut hilfsbedürftig gelten. Zudem inszenierten Leipold & Co. an der Berliner Friedrichstraße die Spielshow „1 aus 100“, bei der Passanten per SMS-Voting darüber abstimmen sollten, welches der 100 vorgestellten Kinder nach Deutschland kommen dürfe.
Ein menschenverachtendes Spiel mit Hilfsbereitschaft und realem Elend – oder eine wirkungsvolle PR-Aktion für offenere EU-Außengrenzen, da die Aktionskünstler eine multimedial üppige Berichterstattung inspirierten? Seine ästhetische Positionierung bezeichnet Leipold in einem Interview mit dem Blog „weltenschummler“ als „Verantwortungsethik“. Die geht so: „Was wir bewirkt haben, wiegt einfach schwerer als das, was wir uns moralisch womöglich zu Schulden haben kommen lassen.“
Auch Dokumentartheatermacher Hans-Werner Kroesinger wird auf dem Podium sitzen. Seine These: Um zu verstehen, wie Politik funktioniert, sollte man nicht zuhören, was Politiker sagen, sondern herausbekommen, wofür sie Geld ausgeben. Zum Beispiel Frontex.
Die 2004 von der EU gegründete und durch die Mitgliedsstaaten finanzierte Grenzschutz-Agentur zwingt beispielsweise Flüchtlingsschiffe auf offener See zur Umkehr. „Für das Massensterben an Europas Außengrenzen sind Menschen verantwortlich, es ist die Folge von Gesetzen, EU-Beschlüssen, Regierungshandeln“, analysiert Kroesinger im Berliner tip. Man habe auf der einen Seite die Selbstbilder eines demokratischen, aufgeklärten, toleranten, sozialen Europas – „gleichzeitig entwickelt dieses Europa eine große Härte und Brutalität gegenüber Menschen, deren Verbrechen darin besteht, dass sie leben wollen wie wir.“
Um diesen Kontrast geht es in seinem Stück „FRONTex SECURITY“: Ein Schauspielerquartett zitiert und spielt Frontex-Presseverlautbarungen, interne Kommuniqués, Dossiers, Rechtfertigungsinterviews, EU-Depeschen. Eingeschoben werden Erkenntnisse über das Ertrinken aus medizinischer Sicht.
Die Technokratensprache soll den Zynismus der Politik verdeutlichen. Da Kroesingers ästhetische Positionierung aber nicht auf Verurteilung, sondern Dokumentation zielt, wird das Publikum auch mit der grundsätzlichen Frage eines Frontex-Mitarbeiters konfrontiert: „Was denken Sie, was passieren würde, wenn wir die Grenzen öffnen?“
19.30 Uhr, Theater am Goetheplatz, Foyer