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Archiv-Artikel

Boulevard: Wie verkauft sich nackte Haut?

Boulevardzeitung Sun, außer Landes weilte, brach Chefredakteur Larry Lamb das Tabu: Am 17. November 1970 zeigte er auf Seite drei eine barbusige Frau. Murdoch soll getobt haben, doch die anschließend explodierende Auflage besänftigte ihn. Seither zeigt täglich ein „Page Three Girl“ den Sun-Lesern ihre Brüste. Name, Alter, Heimatort - die Sun hat den Anspruch, dass die Angaben stimmen: ein echtes Mädchen! So soll der voyeuristische Reiz für die Leser erhöht werden. Es ist aber auch ein Anreiz für die Frauen. Viele erhoffen sich eine Starkarriere - wie Samantha Fox sie vorgemacht hat. Mit 17 zeigte sie ihre Brüste in der Sun.

Das Rohrverlegerprinzip: Der deutsche Boulevard ahmte die Sun-Idee nach. Anders als bei Sun wurden zu Fotos von Modelagenturen die Texte größtenteils erfunden. Es musste weder stimmen, dass die abgebildete Frau aus Bielefeld stammte, noch, dass sie gerade auf den Klempner wartete, der ein Rohr verlegen sollte. Bei Bild schrieben die “Miezen“-Texte, wie es dort heißt, die Praktikanten. Ende der 90er machte Katja Kessler Praktikum. Die Zahnärztin überdrehte die Texte so, dass sie Kult wurden (“Chef, mach happi-happi“). Sie stieg auf und bekam eine Klatschkolumne. Keine Miezen mehr. „Ohne Katja hätte ich zum alten Rohrverlegerprinzip zurückkehren müssen“, erinnert sich Udo Röbel, damals Bild-Chefredakteur. „Da haben wir entschieden, Nackte nur noch in Verbindung mit authentischen Newsgeschichten zu zeigen.“ Die gab es nicht jeden Tag. Leser ärgerten sich, der Spiegel mäkelte. Röbel überredete Kessler, ab und zu einzuspringen. „Mein Nachfolger ist dann mehr oder weniger zum Rohrverlegerprinzip zurückgekehrt.“ Allerdings: Nachfolger Kai Diekmann zeigt montags ein „Montagsmädchen“ mit echter Geschichte wie bei der Sun. Katja Kessler heiratete er.

Das Aus für Miezen: Bringen Nackte im Boulevard noch Quote? Röbel sagt: “Ich konnte keine Auflagenschwankungen feststellen, wenn wir keine Nackten hatten.“ Der Ex-Bild-Chef denkt, „dass die Miezen im Zeitalter von Pornos und Sexclips im Fernsehen keinen Hund mehr hinterm Ofen hervorlocken“. Der Berliner Kurier räumte vor einigen Monaten seine Miezen von der letzten Seite. Keine Probleme mit der Auflage, sagt Chefredakteur Hans-Peter Buschheuer. „Prüde sind wir aber nicht geworden. Wenn sich Promis nackig machen oder wir scharfe Modeaufnahmen haben, zeigen wir das. Nur nicht zwangsweise.“ Es gibt Tage, da erscheint der Kurier ohne eine nackte Brust. Ohne jeden Po. Warum bloß? “Wir wollten mehr Platz für Journalismus.“ Georg Löwisch