: „Ich wurde zur peinlichen Belastung für die Regierung“ Der Kenianer Kwamchetsi Makokha über die schreibende Opposition
So hatte sich Kenias Präsident Mwai Kibaki sein Fundraising Lunch nicht vorgestellt: Kaum wurde bekannt, dass er bei den Reichen des Landes umgerechnet rund 100.000 Euro für seine Wiederwahl im Dezember einsammeln wollte, da wurde auch schon ein Gegenmahl in Nairobi organisiert - für die Ärmsten der Stadt. „Kibaki sah sich gezwungen, seinen Lunch wieder abzusagen“, berichtet Kwamchetsi Makokha sehr zufrieden.
Der 36-Jährige ist einer der führenden politischen Journalisten des Landes. Mit seinen Kolumnen bedient er Daily Nation, die wichtigste Zeitung Kenias, aber auch Radio und Fernsehen. Journalisten sind für ihn die „Kontrolleure der Regierung“. Selbst hinter scheinbar unpolitischen Themen wie Missständen in der Privatwirtschaft verberge sich eigentlich, dass die Aufsicht des Staates versage. „Letztlich dreht sich jede Geschichte um die Entscheidungen und Versäumnisse der Regierung.“ Diese selbstbewusste Berufsauffassung wird von Präsident Mwai Kibaki nicht geschätzt. Wiederholt kam es zu Versuchen, die Presse einzuschüchtern. So stürmte die Polizei im März 2006 die Druckerei der Tageszeitung Standard. Auch Makokha wurde bereits zweimal grundlos verhaftet, saß jedoch nie länger als 36 Stunden ein: „Ich wurde schnell zu einer peinlichen Belastung für die Regierung.“ Denn jedes Mal protestierte der internationale Presserat, intervenierten Reporter ohne Grenzen.
Schon immer haben westliche Beobachter gestaunt, wie frech die kenianische Presse über ihre Politiker berichtet. Inzwischen fühlen sich die Journalisten sogar noch ein wenig unabhängiger, weil der Milliardär Aga Khan IV. bei der Daily Nation eingestiegen ist. Das Oberhaupt der Ismailiten verbrachte seine frühe Kindheit in Kenia, und dort gehören ihm nun zahlreiche Krankenhäuser, Schulen und Betriebe, wobei nicht genau auszumachen ist, was der Entwicklungshilfe und was seinen ökonomischen Interessen dient.
Offiziell ist Kenia seit 1963 eine unabhängige Demokratie, doch tatsächlich war es jahrzehntelang eine Autokratie. Bis zu seinem Tod 1978 herrschte der Staatsgründer Jomo Kenyatta. Auf ihn folgte Daniel Arap Moi, der schon mal Stammesunruhen schürte oder Konkurrenten jahrelang inhaftierte, um an der Macht zu bleiben. Seit 2002 regiert Mwai Kibaki, der sich mit dem Gestus des Oppositionellen ins Amt wählen ließ - doch tatsächlich hatte er schon unter Kenyatta als Finanzminister gedient und unter Arap Moi als Vizepräsident.
Opposition und Regierung sind in Kenia kaum zu trennen, was sich am deutlichsten beim Thema Korruption zeigt. „Darüber will kein Politiker sprechen, weil alle kassiert haben“, sagt Makokha. Also übernimmt die Presse die vakante Rolle der Opposition. Ganz offen wurde etwa in den letzten Wochen berichtet, dass Expräsident Arap Moi und seine Söhne rund 1 Milliarde Dollar außer Landes geschafft haben. Präsident Mwai Kibaki schwieg dazu; sein Sprecher ließ verlauten, dass die Vorwürfe unbewiesen seien. Eine typische Antwort, erklärt Makokha. Er hat schon einen Katalog der offiziellen Reaktionen aufgestellt: „1. Wir tun genug gegen die Korruption. 2. Stimmt nicht. 3. Das ist Vergangenheit.“
Da die Opposition versagt, arbeitet die Presse vor allem mit Bürgerinitiativen und Protestgruppen zusammen. Besonders die kenianische Sektion von Transparency International war lange so bedeutsam, dass ihr Chef, John Githongo, 2002 in die Kibaki-Regierung berufen wurde, um die politische Korruption zu bekämpfen. Doch was wie ein Sieg für die Zivilgesellschaft aussah, wurde zur Niederlage. „Die NGOs bluteten finanziell aus“, berichtet Makokha, „weil die internationalen Sponsoren das Geld nun direkt an die Regierung gaben.“ Aber auch das ist schon wieder Geschichte: 2005 flüchtete Githongo nach England, weil er Morddrohungen aus Regierungskreisen erhalten hatte.
Trotz der Dauerempörung in den Medien haben sich die korrupten Politiker bisher stets an der Macht halten können, weil sie einen der 42 kenianischen Stämme vertraten. Auch in diesem Wahlkampf, hat Makokha beobachtet, setzten die meisten Kandidaten auf ihre ethnische Zugehörigkeit. Wieder vertrauen sie auf den bewährten Trick, ihren Wählern zu erklären, dass sie nur deswegen so arm seien, weil andere Stämme bevorzugt würden. Doch diese Strategie der Ressentiments könnte erstmals scheitern. „Vor allem in den Städten wächst eine nationale, ja globale Generation heran.“
Kenia ist ein junges Land, 70 Prozent der Wähler sind noch keine 40 Jahre alt. Die meisten sprechen Englisch, rund 85 Prozent können lesen. Das ist ungewöhnlich für einen Staat, in dem rund 60 Prozent unter der absoluten Armutsgrenze leben. „Diese Jugend hat Ehrgeiz, und sie hat ökonomische Interessen. Sie will, dass sich Kenia endlich entwickelt.“ Makokha betrachtet die jungen Leser als seine Verbündeten. Dank der Medien hätten sie inzwischen verstanden, dass Kenia als Land reich genug ist, um alle zu versorgen. „Es ist nur eine Frage des Managements und der Verteilung.“
Eifrig verbreiten die Zeitungen die offiziellen UN-Statistiken, die mit dem sogenannten Gini-Koeffizienten genau berechnen, dass Kenia weltweit zu jenen zehn Ländern gehört, in denen das Volksvermögen am unvorteilhaftesten verteilt ist. Rund 32 Millionen Menschen leben in Kenia. Da wirkt es zunächst wenig imposant, dass die kenianischen Zeitungen nur auf eine Auflage von 300.000 Exemplaren kommen. Aber jede einzelne Ausgabe wandert durch zehn Hände. Die Zeitungen seien die „ständige Dokumentation der Geschichte“, beschreibt Makokha ihre Rolle. Das Radio kann da nicht mithalten. „Die Sender spielen vor allem Musik, und bei den Nachrichten lesen sie gekürzt die Zeitungen vor.“
Drei Monaten vor der Wahl ist es in Kenia merkwürdig ruhig. So weiß man zum Beispiel noch immer nicht, für welche Partei der jetzige Präsident Kibaki eigentlich kandidieren will. „Die Atmosphäre ist seltsam“, sagt Makokha. Aber inmitten dieser Unsicherheit ist er sich doch sicher, dass der politische Wettbewerb jetzt zur kenianischen Kultur gehört. Die Zeitungen hätten ihre Aufgabe erfüllt: „Wir sind Moderatoren im Kampf um die besten Ideen.“ Ulrike Herrmann
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