: Neue Spielregeln
Finanzkrise, Eurorettungsschirme und ein torkelnder Außenminister: Die Probleme der Berliner Politik gehen der Kretschmann-Regierung kalt am Arsch vorbei. Sie sonnt sich im Glanz einer florierenden Wirtschaft und findet bei den Unternehmern des Landes langsam Gefallen
Suppengrün Eine Hitparade der inhaltlich offensichtlich austauschbaren Politik. Der Jubelton täuscht nicht darüber hinweg, dass sich für die Bürger bislang wenig änderte. Auch wenn Paradigmenwechsel etwas länger brauchen in etwas größeren Landschaften, kündigen sie sich doch untrüglich und spürbar an. Dass Kretschmann dem sprichwörtlichen schwäbischen Filz lediglich das Süppengrün anrichtet, erklärt, warum nichts, was kocht, gar wird. Das aber wird Kretschmann und seinen kleinen Grünen auf Dauer schwer auf die Füße fallen. Nicht so, wie in Berlin mit dem politisch nicht gänzlich unerklärlichen, lustig-lustvollen Phänomen Piratenpartei. Ihm und seiner Partei wird der blöde Bahnhof um die Ohren fliegen, dass er sich wünschte, nie Politiker geworden, sondern oberschwäbischer Dungjunge für alle Zeit geblieben zu sein. canislauscher
von Anton Hunger
Der Schriftsteller Théophile Gautier bezeichnete Bahnhöfe einmal als „Kathedralen der neuen Humanität“ und glaubte fest daran, die Menschen würden durch diese Kathedralen einander näherkommen.
Pustekuchen. Bahnhöfe scheinen in Deutschland die Menschen auseinanderzubringen. Ob Berlin, München oder Stuttgart: sobald ein neuer Bahnhof geplant oder errichtet wird, erheben sich die Menschen, prozessieren die Architekten oder spottet – wie in Leipzig – das Publikum über die bahnhöfliche Shoppingmall, „wo man drei Billig-Büstenhalter zum Preis von zweien kaufen kann“.
Und trotzdem scheint in Stuttgart alles irgendwie anders. Gegner und Befürworter des geplanten unterirdischen Bahnhofs stehen sich zwar weiter unversöhnlich gegenüber, verlieren in der Auseinandersetzung zunehmend die Contenance und lassen die schwäbische Gelassenheit weit hinter sich. Aber dieser Streit hat eine grün-rote Regierung an die Macht gespült und erstmals in der Geschichte Deutschlands einen grünen Ministerpräsidenten ins Amt gehoben – trotz aller Warnungen aus der Wirtschaft, trotz aller Beschwörungen von Ex-Trumpf-Chef Berthold Leibinger oder Tunnelbohrer Martin Herrenknecht („Wer mit uns bohrt, kommt weiter“) und trotz der Apokalypse, die der eine und andere Manager aus der heimischen Automobilindustrie an die Wand malte.
Es hat nichts genützt: Kretschmann ist im Amt und erfreut sich nach einer aktuellen Umfrage von Stuttgarter Zeitung und SWR einer Zustimmungsquote der Bevölkerung von 62 Prozent. Stefan Mappus erreichte in seiner Zeit gerade mal 37 Prozent. Verständlich, dass Altministerpräsident Günther Oettinger seine Parteifreunde davor warnte, die „Identifikationsfigur Kretschmann“ hart anzugehen.
Kretschmann hat ein anderes Problem: Seine Fans von den Bahnhofs-Demos sind auch nicht gerade das, womit sich der bekennende Katholik gerne umgibt. Mit dem heiligen Jeremia, den Kretschmann für seine Predigt in der Friedenskirche zu Stuttgart bemühte („Suchet der Stadt Bestes“), haben diese außerparlamentarischen Helden des Straßenkampfes jedenfalls wenig am Hut. Sie mucken weiter auf. Aber die parlamentarische Opposition wird ihn zunächst weitgehend in Ruhe lassen. Das hat er mit seiner bedächtigen und andächtigen Art schon mal geschafft.
Die Unternehmer wollen nichts Kritisches sagen
Und jetzt noch das: auch die Wirtschaft scheint sich mit den grün-roten Machthabern anzufreunden. Sieht man einmal von der kretschmannschen Anfangs-Fehlleistung „Weniger Autos sind besser als mehr“ und dem kurzen Aufschrei der Autoindustriellen ab, so findet sich heute kaum ein Unternehmer des Landes, der über die neue und ungewohnte Regierung Kritisches sagen will. Ganz im Gegenteil.
Daimler-Chef Dieter Zetsche versprach Kretschmann schon mal, seine Mercedes-Autos so grün zu machen, „dass die Konkurrenz gelb wird vor Neid“, und auch Bosch-Chef Franz Fehrenbach will der neuen Landesregierung eine „faire Chance“ geben. Der Vorstandsvorsitzende von Kolbenschmidt-Pierburg (KSPG AG) in Neckarsulm, Gerd Kleinert, will an den seit Jahren „guten Beziehungen zur Landesregierung“ nichts ändern und diese „Verbindung auch in Zukunft weiter aktiv pflegen“. Zwar habe das gute Verhältnis zur Landesregierung „nur einen verhältnismäßig geringen Einfluss“ auf seine Aktivitäten als weltweit agierender Automobilzulieferer. Als Autofahrer dagegen wünsche er sich schon, dass auch die neue Regierung „weiterhin großen Wert auf den Ausbau einer guten Infrastruktur für den Individualverkehr legt, um die Mobilität im Ländle zu erhalten“ – eine Forderung, die Kretschmann im Autoland Baden-Württemberg noch von vielen Unternehmern zu hören bekommen wird.
Aber im Land werden nicht nur Automobile gebaut. Europapark-Eigner Roland Mack beispielsweise zeigt sich „positiv überrascht, welchen Stellenwert der Tourismus bei der neuen Landesregierung hat“. Immerhin sei Baden-Württemberg nach Bayern das wichtigste Tourismusland in Deutschland – und das sei von den neuen Herren in Stuttgart klar erkannt worden. Was ewig nicht klappen wollte, nämlich die Verbesserung der Zufahrt von der Autobahn zu seinem Park in Rust bei Freiburg, werde inzwischen wohlwollend angegangen. Und Mark Bezner, Eigentümer des internationalen Hemdenimperiums Olymp in Bietigheim-Bissingen, kennt überhaupt keinen Schmerz: „Meine Geschäfte laufen besser denn je. Das wird sich auch unter der jetzigen Landesregierung nicht ändern.“
Rezzo Schlauch, als grüner Staatssekretär unter Minister Wolfgang Clement für Mittelstandsfragen zuständig, konnte die vermeintlichen Ängste aus der baden-württembergischen Wirtschaft vor der legendären Landtagswahl ohnehin nicht nachvollziehen. Gerade die „Protagonisten des seriösen schwäbischen Unternehmertums“ hätten jegliche Seriosität „weit hinter sich gelassen“. Sie hätten sich insgesamt grenzgängig aufgeführt und alles andere als ein „gutes Aushängeschild“ der Wirtschaft des Landes abgegeben. Schlauch ist in Teilen der baden-württembergischen Wirtschaft eine feste Größe und hat bereits für den einen und anderen Unternehmer Türen bei den neuen Ministern geöffnet. Und für die um das Gespräch Nachsuchenden nicht erfolglos, wie einige – mit dem Glanz des Überraschten in ihren Augen – berichten.
Roland Mack findet denn auch, dass die neue Regierung „relativ geschickt“ vorgeht und dass man mit einigen Ministern auch sehr gut „geschirren kann“. Diese Erfahrung hat zwar Burkhard Schork, der Schillerwirt von Bietigheim-Bissingen, noch nicht persönlich gemacht, gibt den Regierenden aber gleichwohl den Rat: „Wer mit beiden Beinen auf dem Boden steht, hat die Hände frei, um nach den Sternen zu greifen.“ Nach diesem Motto arbeiteten die Gastronomen des Landes auch, „egal, wer uns regiert“.
„Böswillige“ Unternehmer, die sich mit den grün-roten Machthabern aus ideologischen Gründen nicht anfreunden möchten, gestehen immerhin zu, dass ihre Geschäfte unter der ungewohnten Politkonstellation nicht leiden. In der Tat sind die mittelständischen Unternehmer aus Ditzingen (Trumpf), Waiblingen (Stihl), Winnenden (Kärcher), Friedrichshafen (ZF) und Künzelsau (Würth) Weltmarktführer und lassen sich diese Rolle in der grün gefärbten Politik-Architektur auch nicht nehmen. Sie bezahlen die höchsten Löhne und die meisten Steuern und bekennen, wenn auch nicht offen, dass es ihnen gleichgültig ist, „wer unter uns regiert“. Vor allem aber: sie bezahlen Steuern. Und das nicht zu wenig. Da lässt sich leichter regieren als im armen Mecklenburg-Vorpommern.
Auch physisch suchen die Minister zunehmend die Nähe zu den Wirtschaftsführern des Landes. Porsche-Chef Mathias Müller fährt schon mal im Elektro-Boxster mit Landesherr Kretschmann vor und gibt kurz danach sein nächstes Angriffsziel preis: „Dort, wo Ferrari ist, da müssen wir künftig rein.“ Kaum vorstellbar, dass Kretschmann darauf gewartet hat, aber den Hinweis auf das „Pornografische“ dieser Gefährte unterlässt er inzwischen. Bei der Einweihung der neuen emissionsarmen Porsche-Lackieranlage hat er den Sportwagenhersteller sogar ausdrücklich gelobt. Kretschmanns Vize Nils Schmid von der SPD wiederum hat kein Sommerfest oder Firmenjubiläum ausgelassen, um gut Wetter für die neue Regierung zu machen.
Die geplante – und von der CDU-Fraktion heftig kritisierte – Neuverschuldung des Landeshaushalts um 560 Millionen Euro hat der Finanzminister wegen üppig sprudelnder Steuerquellen wieder rückgängig gemacht. 780 Millionen Euro fließen nämlich mehr in den Staatssäckel als bei der Steuerschätzung im Mai vorausgesagt. Und von diesem Geldsegen profitieren in erster Linie wieder die heimischen Unternehmen: Marode Gebäude und kaputte Straßen werden saniert, Fahrradwege gebaut und die Windkrafthersteller gepampert. Wenn nur der leidige Bahnhof nicht wäre – und der atomlastige Energieversorger EnBW, von dem Mappus seinen Nachfolgern einen Anteil von 46,5 Prozent als faules Ei ins Nest gelegt hat. Aber dann wäre das Regieren mit der Apanage einer florierenden Wirtschaft ja ein Sonntagsspaziergang.
Der Drang nach Ausgleich als Grundlage für Erfolg
„Kathedralen der neuen Humanität“ – die Versöhnung von Wirtschaft und Grün-Rot gelang Kretschmann und Schmid offensichtlich leichter als die von „Obenbleiber“ und „Tieferleger“ in Sachen Bahnhof. Irgendwie auch nachvollziehbar: Unternehmer reagieren immer pragmatischer und aufgeschlossener, wenn die Geschäfte gut laufen. Der Geist des „Korporativen“ beherrscht ihre Sicht der Dinge auf die neue Regierung. Der Drang nach Ausgleich, ob in der Politik oder in der Wirtschaft, scheint die Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg des Landes zu sein und findet seinen Nährboden auch in dem Menschenschlag, der immer noch als behäbig und grundsatztreu gilt. Kretschmann verkörpert diese Haltung („Ich bleibe auf dem Teppich, auch wenn der Teppich fliegt“) – und trifft dabei das Lebensgefühl der Unternehmer. Wenn auch für die meisten gänzlich unerwartet.
Im Umgang mit der Wirtschaft scheint sich durch die neue Regierung ohnehin nicht allzu viel zu ändern, jedenfalls nicht im Grundsätzlichen. Direkte Innovationsförderung und massive Subventionierung vermeintlicher Zukunftsindustrien haben auch alle CDU-Regierungen ohne jede Scheu betrieben. Otto Graf Lambsdorff, der verstorbene FDP-Wirtschaftsminister im Bund und Vertreter der reinen Lehre, geißelte diesen schwäbischen „Neomerkantilismus“ immer wieder, vor allem, weil er ausgerechnet im wohlhabenden Südwesten „mit Zielstrebigkeit und Elan praktiziert“ werde. Diese Kritik haben die Schwarzen gekontert wie halbwüchsige Klosterschüler, wenn sie beim Zocken im Spielcasino erwischt werden: Sie waren zunächst erschrocken, haben dann dem Zurechtweisenden die Legitimation für die Kritik abgesprochen und ihn schließlich des „Neids“ bezichtigt. Grün-Rot hat es da leichter: Niemand wird sie des „Neomerkantilismus“ bezichtigen, weil niemand von ihnen die Umsetzung der reinen Lehre erwartet.
Oder wie der Schillerwirt von Bietigheim sagt: „Wer mit beiden Beinen auf dem Boden steht, hat die Hände frei…“ Der Ernst des Lebens soll schließlich Spaß machen. Die Unternehmer des Landes – überwiegend den Schwarzen zugeneigt – scheinen die neuen Spielregeln zu akzeptieren.
Anton Hunger, 62, war von 1992 bis 2009 Pressesprecher bei Porsche.