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Archiv-Artikel

Das Unaushaltbare sortieren

FILMREIHE Das Zeughauskino dokumentiert den Initialmoment der Schoah-Aufarbeitung nach der Befreiung der Konzentrationslager vor 70 Jahren

Samuel Fullers Film entstand unter Rückgriff seiner eigenen Erfahrungen als Soldat

VON THOMAS GROH

Mehr noch als der Erste war der Zweite Weltkrieg ein Medienkrieg. Als die alliierten Truppen bei ihrem Vormarsch gegen Nazi-Deutschland ab Sommer 1944 zu den Konzentrationslagern vordrangen, befanden sich daher selbstverständlich auch Filmkameras im Gepäck, um die Gräuel der Nazis zu bezeugen. Der so entstandene Bildkatalog formte die heutige Ikonografie der Schoah, zumal das Material schon frühzeitig zahlreich aufgegriffen und neu zusammengestellt wurde. Anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz kontextualisiert das Zeughauskino nun in einer von der Gruppe The Canine Condition kuratierten Reihe historische Wochenschauen und Erziehungsfilme mit Samuel Fullers 1980 entstandenem Kriegsfilm „The Big Red One“.

Diese Zusammenstellung ist nicht nur deshalb aufschlussreich, weil sie zurückblickt auf das Initialmoment der Schoah-Aufarbeitung und -Bewältigung, die mit der Befreiung der Konzentrationslager einsetzt. In der dichten, bedrückenden Zusammenstellung von Grausamkeiten (Les camps de la mort, frz. Wochenschau 1945), dem melodramatischen Pathos des auf Aufklärung der deutschen Bevölkerung zielenden Films „Die Todesmühlen“ (Hanus Burger, 1946), dem ästhetischen und entsetzten Pathos in Aleksander Fords 1944 entstandenem Dokumentarfilm „Majdanek – Friedhof Europas“ sowie aus der kernigen, auf US-Soldaten ausgerichteten Agitation in „Here is Germany“ (1945) und dem in der britischen Bevölkerung um Verständnis für die Notwendigkeit des Wiederaufbaus Deutschlands werbenden „A Defeated People“ (1946) spricht ein drängendes Bedürfnis nach frühzeitiger Sortierung der Unbegreiflichkeit, der schieren Unaushaltbarkeit des industriellen Massenmords. Die zweckmäßige Zuspitzung des Materials – durch dramatische Musik, emphatische Kommentare, affektive Montage – ist keine Obszönität zweiter Ordnung. Eher lässt sich, aus historischer Distanz, der Überschuss einer traumatischen Erfahrung daran ablesen, die nach Kräften bewältigt werden muss.

Konkreter artikuliert wird diese in „The Big Red One“, den Samuel Fuller unter Rückgriff auf seine eigenen Erfahrungen als Soldat bei der Befreiung des Konzentrationslagers Falkenau realisierte. Fuller, bestens bewandert in der kargen, existenzialistischen Poesie des amerikanischen B-Movies, setzt hier den Großaufnahmen der heroischen, siegesgewiss lachenden Gesichter der Soldaten, die in den historischen Aufnahmen unter allgemeiner Freude die Konzentrationslager befreien, einen ganz eigenen „Gesichterfilm“ entgegen: In seinem fast drei Stunden dauernden, episodisch angelegten Epos über eine Infanterie im Zweiten Weltkrieg interessiert er sich kaum für das pyrotechnische Spektakel, sondern fokussiert ganz auf die Gesichter der jungen GIs, in die sich sukzessive die Erfahrungen des Krieges einbrennen. Statt Helden, die amerikanische Werte in die Welt tragen, zeigt „The Big Red One“ unter ethischen Selbstzweifeln und den Martern des Krieges leidende Männer, die spätestens die schockierende Erkenntnis beim Blick in den Leichenofen eines Konzentrationslagers – ein direktes Bildzitat jener historischen Filmaufnahmen – jegliche Fassung angesichts des Schreckens der Nazi-Verbrechen verlieren lässt.

So gesehen entwickelt gerade „The Big Red One“ Dokumentcharakter: Da er den zweckgerichteten, aus der schockierenden Situation heraus entstandenen Affektbildern des historischen Filmmaterials die lebendige Erinnerung an eine subjektive Erfahrung mit Reflexion ermöglichendem Zeitabstand als Bild zur Seite stellt. Das eine entwertet nicht das andere. Doch in der zeitlich dichten Engführung, die diese hervorragend kuratierte Filmreihe ermöglicht, ergibt sich annäherungsweise ein breiteres Spektrum auf das, was sich weder in einer Vielzahl von Bildern, geschweige denn in einem einzelnen griffigen Bild jemals adäquat beschreiben lassen wird.

■ „Die Welt in Waffen – Befreite Konzentrationslager“: Zeughauskino, Unter den Linden 2, 22.–27. 1.