: Nur Autos brauchen mehr Stahl
Die größte Windenergiemesse der Welt beginnt morgen im nordfriesischen Husum. Die Zukunft der boomenden Branche liegt auf dem Meer. Schleswig-Holstein will schon im Jahr 2020 seinen Strombedarf zu 100 Prozent mit Windkraft decken
VON SVEN-MICHAEL VEIT
Braungebrannt und gut gelaunt wird das Duo sein, das morgen früh politisches Gewicht nach Nordfriesland bringt. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) werden in der Kreisstadt Husum die weltgrößte Windenergiemesse eröffnen (siehe Kasten).
Begriffe wie „Erfolgsstory“, „Jobmotor“, „boomender Wirtschaftszweig“ und „Zukunftsbranche“ werden die beiden verwenden – und ausnahmsweise werden es keine Sonntagsreden sein. „Unter vollen Segeln auf Erfolgskurs“ sei die Windenergie im Norden, formulierte das Kieler Wirtschaftsministerium im Vorfeld der Messe mit maritimer Metaphorik. Da werden selbst die als wortgewaltig gefürchteten Politiker Gabriel und Carstensen sich mühen müssen, um das noch zu toppen.
Zwei Jahrzehnte, nachdem im Kaiser-Wilhelm-Koog nördlich der Elbmündung am 24. August 1987 der erste deutsche Windpark ans Netz ging, ist diese Form der Stromerzeugung „definitiv keine Nischentechnologie mehr“, sagt Fritz Vahrenholt, Chef des Hamburger Windanlagenbauers Repower. Die Branche ist in Deutschland nach der Autoindustrie der zweitgrößte Abnehmer von Stahl und beschäftigt rund 70.000 Menschen – mit nach wie vor steigender Tendenz. Knapp 20.000 und damit die Hälfte aller Windkraftanlagen Europas steht in Deutschland, weltweit ist es jede dritte.
Und die Mühlen werden immer zuverlässiger: Im Jahr 2006 lag ihre „Verfügbarkeit“ nach Angaben des Bundesverbandes Windenergie bei 98,5 Prozent – mithin drehten sie sich über das gesamte Jahr gerechnet fast pausenlos. Eine Effizienz, die Vattenfall-Managern die Tränen in die Augen treiben müsste, wenn sie an ihre Pannenreaktoren Brunsbüttel und Krümmel denken, die seit drei Monaten still vor sich hin strahlen.
Der Aufschwung der Branche spiegelt sich im Aufstieg der „Husumwind“. 1989 begann die Messe als lokale Veranstaltung in einer ehemaligen Viehauktionshalle, nun breitet sich die zehnte Auflage auf fast 15.000 Quadratmetern aus. Untrennbar verbunden ist sie mit dem dänischen Windmühlenbauer Vestas, der vor 18 Jahren im vom Strukturwandel gebeutelten Husum seine Deutschland-Filiale eröffnete. Aus der „grauen Stadt am Meer“, wie Theodor Storm seine Heimatstadt nannte, wurde das, was der parteilose Bürgermeister Rainer Maaß nunmehr stolz „Weltwindhauptstadt“ nennt: eine 23.000 Einwohner zählende Hafenstadt am Watt mit überquellenden Gewerbesteuereinnahmen, unterdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit und rosigen Perspektiven.
Denn dass der Boom der Windkraft ungebrochen ist, bezweifelt gerade angesichts der aktuellen Klimaschutzdebatte niemand. Die Zukunft liegt einerseits auf dem Meer in Offshore-Anlagen vor den Küsten. Die ersten vor Dänemark und Großbritannien sind bereits in Betrieb, der erste deutsche Windpark in der Nordsee vor der ostfriesischen Insel Borkum ist genehmigt, und mehr als ein Dutzend weiterer sind in Planung.
10.000 Megawatt (MW) Offshore-Leistung werden nach Berechnungen der European Wind Energy Association (EWEA) noch in diesem Jahrzehnt auf der Nordsee installiert. Bis 2020 sollen es schon 70.000 MW sein. Rein theoretisch könnte allein mit Nordseewind viermal mehr Strom erzeugt werden, als ganz Europa im Jahr 2005 verbraucht hat, hat der Windenergieexperte Siegfried Heier errechnet.
Das zweite Zukunftsfeld ist das „Repowering“, also der Ersatz alter und kleiner Anlagen durch große und moderne. Die erste Vestas-Anlage vor 20 Jahren hatte eine Kapazität von 55 Kilowatt. Etwa das Hundertfache leistet die Fünf-Megawatt-Anlage, die Repower im Februar 2005 direkt neben dem Atomkraftwerk Brunsbüttel in Betrieb nahm. Die mit 180 Metern Höhe weltweit größte Anlage ist der Prototyp der Windräder, die offshore in etwa 40 Meter tiefem Meerwasser errichtet werden sollen. Das größte Repowering-Projekt Deutschlands wird zurzeit auf der Ostseeinsel Fehmarn vorangetrieben. Dort werden für 140 Millionen Euro 132 alte Windräder durch halb so viele neue ersetzt. Die Leistung jedoch wird sich vervierfachen.
Und so wundert es nicht, dass im Land zwischen den Meeren auch die mitregierende CDU auf den Wind setzt. Ab 2020 will Schleswig-Holstein seinen Stromverbrauch komplett mit Windkraft decken, aktuell sind es etwa 30 Prozent. Mit einer Initiative im Bundesrat will das Land sogar erreichen, dass die Vergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz um etwa ein Drittel auf bis zu zwölf Cent pro Kilowattstunde Windstrom erhöht wird. Denn Klimaschutz, so oder ähnlich werden es Gabriel und auch Carstensen, die personifizierte große Koalition der Windmacher, morgen formulieren, könne ohne die Kraft des Windes nicht funktionieren.