berliner szenen Neon-Null

Mitte auf Stufentreffen

An der Bar wird es jetzt hektisch. Die Art-Crowd hat die Straßenseite gewechselt. Die Galeristen räumen die Bierflaschen vom Gehweg. Mit den Kunstfreunden erhält die Bar Kim die passende duochrome Staffage. Die streng in Schwarzweiß gekleideten Gäste passen perfekt zu den schwarzen dänischen Stapelstühlen, der weiß lackierten Eisentreppe und den neuen Horzon-Hockern, auf denen man sitzen oder sein Getränk abstellen kann.

Ein junger Mann legt die Sonnenbrille an, als er neben seiner in eleganter Bewegungslosigkeit erstarrten Begleitung Platz nimmt. Kurz darauf steht er wieder auf und stellt sich in zweiter Reihe an die Bar. Während er seine Brieftasche hervorholt, wirft er den Kopf zurück. Wie ein Ass zieht er einen Fünfziger aus dem Portemonnaie und legt ihn mit beeindruckender Geste auf die Theke. Die Barfrau versteht ihn nicht, weil er wieder den Kopf nach hinten wirft, als er die Bestellung flüstert.

Während ich ihn beobachte, fällt mir das winzige Mädchen neben ihm auf. Sie ist eine exakte Kopie der Claire aus John Hughes’ „Breakfast Club“, nur dass sie mindestens 15 Zentimeter kleiner ist als Molly Ringwald. Um an die eigene Jugend erinnert zu werden, müssen wir Mitte-Bewohner keine Jahrgangstreffen besuchen, sondern brauchen bloß in die nächste Bar rüberzugehen. Allerdings würde hier keiner jemals die Simple Minds auflegen. Und angenommen, es liefe gerade „Don’t You“, wir würden es gar nicht hören. Durch eine Wand aus hundert hochgepeitschten Stimmen hindurch klingt alles, als ließe der DJ die Nadel einfach durch den Filz kratzen. Beim Hinausgehen bemerken wir den Neonfaden im Schaufenster der Bar. Eine große, schöne illuminierte Null.

SASCHA JOSUWEIT