: Quadratur des Netzes
VON CHRISTINE ZEINER
Der Bahn-Börsengang in der geplanten Form ist verfassungswidrig. Zu diesem Schluss kommt ein der taz vorliegendes Gutachten, das die Verkehrsminister der Länder Anfang August in Auftrag gegeben hatten. Es wird heute der Öffentlichkeit vorgestellt. Das Gutachten bestätige „die schlimmsten Befürchtungen der Länder“, erklärte Hessens Wirtschafts- und Verkehrsminister Alois Rhiel (CDU) am Wochenende. Zugfahren im Nahverkehr werde teurer, Privilegien für die Deutsche Bahn zementiert. Zudem sei die Privatisierung ein Minusgeschäft für den Bundeshaushalt.
Der Gesetzentwurf von Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) sieht vor, dass das Schienennetz im Bundeseigentum bleibt; die Bahn soll es aber betreiben und Gewinne oder Verluste in ihrer Bilanz verbuchen dürfen.
Dieses Vorhaben komme der „Quadratur des Kreises“ gleich, meint Gutachter Dirk Ehlers, Professor am Institut für öffentliches Wirtschaftsrecht an der Uni Münster. Wenn private Anleger nicht das versprochene wirtschaftliche Eigentum bekämen, würden ihre grundsätzlich geschützten Interessen verletzt. Würde aber der Bund nicht die Einflussrechte behalten, verletze das das Grundgesetz: Demnach muss der Bund zumindest Mehrheitsanteilseigner der Bundeseisenbahn bleiben, „soweit es um den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen geht“.
Verkehrsminister Tiefensee kontert: Der Entwurf gewährleiste, dass das Netz im Bundeseigentum bleibe und nicht teilprivatisiert werden könne. „Schon damit sind alle Verfassungsbedenken ausgeräumt“, teilte sein Ministerium mit.
Laut Gesetzesentwurf darf das Schienennetz zunächst nur befristet von der Deutschen Bahn AG genutzt werden, wobei der Bund 2,5 Milliarden Euro pro Jahr zuschießen soll. Nach 15 Jahren kann der Bund sein Eigentum zwar zurückbekommen. Der Bahn müsste dann aber der Gegenwert gezahlt werden – derzeit liegt dieser bei 7,5 Milliarden Euro.
„Das rechtliche Eigentum des Bundes ist eine leere Hülle“, schreiben die Gutachter. „Der Gesetzesentwurf führt zur faktischen Privatisierung der Schieneninfrastruktur.“ Denn die wirtschaftliche Privatisierung der Schieneninfrastruktur habe automatisch zur Folge, dass das Netz und die Personenbahnhöfe „kapitalmarktadäquate Renditen“ erzielen müssten. Von minus 212 Millionen Euro im Jahr 2006 soll das Ergebnis 2011 auf 568 Millionen Euro steigen. „Den Ländern wird die Rolle des Hauptzahlers zugedacht“, heißt es, denn schließlich finanzieren sie den Regionalverkehr.
Untermauert wird das mit Zahlen, unter anderem mit einer „sicheren Mehrbelastung von 1 Milliarde Euro bis 2011“, die die Länder für Preiserhöhungen von Trassen, Stationen und Energie zu erbringen haben würden. „An diesem Punkt wird der Gesetzesentwurf sicher nicht scheitern“, erklärte das Verkehrsministerium dazu. Am heutigen Montag wolle Tiefensee mit den Länderverkehrsministern über die Regionalisierungsmittel sprechen. Nachbesserungen würden jedoch die Interessen der Länder „mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht schützen können“, meinen die Gutachter.
Und dabei geht es demnach nicht nur um direkt fließende finanzielle Mittel: Von 6.000 bis 10.000 Kilometern an Schienennetz ist im Gutachten die Rede, die mittelfristig von der Stilllegung gefährdet seien; Stationen mit weniger als 100 Ein- und Aussteigern pro Tag würden geschlossen.
„Die Aussagen des Ländergutachtens zum Gesetzesentwurf überraschen nicht“, meinte gestern Bahnvorstandsmitglied Otto Wiesheu. Er äußerte „ernsthafte Zweifel“ an der Objektivität der Gutachter. Diese hätten anstelle einer Bewertung einen Nachtrag zu einer „längst abgeschlossenen politischen Debatte“ geliefert.
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