: Das Unglück, ein Mensch zu sein
OPER Der Jäger verliebt sich in die Füchsin. Sie beißt den Hahn tot, der Schullehrer ist. Zwei Opern von Leos Janacek: „Das schlaue Füchslein“ an der Komischen Oper, „Aus einem Totenhaus“ an der Staatsoper
VON NIKLAUS HABLÜTZEL
Die letzte Zeit seines Lebens hat Leos Janacek rastlos damit verbracht, Opern zu schreiben. Zwischen den Jahren 1919 und 1928 entstanden so vier Hauptwerke, die heute zum Repertoire an allen Opernhäusern der Welt gehören: „Katja Kabanova“, „Das schlaue Füchslein“, „Die Sache Makropulos“, und „Aus einem Totenhaus“.
So unterschiedlich die Textvorlagen waren (ein naturalistisches Dorfdrama, eine satirische Bildergeschichte, eine Kriminalkomödie und Dostojewskis Reportage aus der sibirischen Verbannung), so ist ihnen eine leidenschaftlich bohrende Frage nach der menschlichen Existenz gemeinsam. Eine nahezu vorbildlose musikalische Diktion macht es möglich, die kunstlose Sprache einfacher Menschen in lakonisch einprägsame, plastisch instrumentierte musikalische Episoden umzuformen. Eher episch als dramatisch aneinandergereiht, schildern sie das Unglück, ein Mensch sein zu müssen.
Besonders düster fiel Janaceks Antwort auf die Frage nach dem Menschen in seinem letzten Werk aus, dessen Uraufführung 1930 er nicht mehr erlebt hat. Und besser lässt sich diese Finsternis gequälter, an sich selbst zerbrochener Seelen wohl nicht auf die Bühne bringen, als das Patrice Chéreau vor vier Jahren für die Wiener Festwochen getan hat. Chéreau ist selbst nach Berlin gekommen, um die Wiederaufnahme zu leiten, und so haben wir nun in sechs Vorstellungen am Schillertheater Gelegenheit, Janaceks „Aus einem Totenhaus“ in einer Inszenierung zu erleben, die Maßstäbe setzt, weil sie ganz allein auf Janaceks Kunst der Sprachmelodie setzt. Kein Regiekonzept lenkt davon ab, Sträflinge in einem Betonverließ kommen zu Wort, geführt von Orchestersätzen, die ihre Aufritte inszenieren und ihren monologischen Erzählungen bedrückende Glaubwürdigkeit geben.
Einen Ausweg aus diesem mit moralischen Maßstäben nicht mehr messbaren Abgrund des Unglücks gibt es nicht, trotzdem war der Applaus groß. Er schloss auch Simon Rattle ein, der die Staatskapelle diesmal leitet, sehr gut zwar, aber doch so, als habe er Mühe gehabt, Chéreaus radikalen Reduktionen zu folgen. Im Orchester klang daher manches eher routiniert nachgespielt als zwingend aus der Szene folgend.
Mit solchem, wenn auch risikolos ausgeborgten Startheater kann die Komische Oper nun mal nicht mithalten. Dennoch ist auch ihr gelungen, Janacek in einer Weise lebendig werden zu lassen, über die sich nachzudenken lohnt. Denn unter den vier Alterswerken des eigenwilligen, auch ein bisschen verschrobenen Meisters ist „Das schlaue Füchslein“ das schwierigste. Schon Kafkas Mentor Max Brod, der mit den deutschen Übersetzungen die Opern seines engen Freundes zu internationalen Erfolgen machte, verzweifelte an dem Text, den sich Janacek selbst geschrieben hatte. Brod vermisste vor allem Klarheit der Aussage, und auch wir verlassen das Theater mit der Frage, worum es in diesem Stück geht.
Natürlich um den Menschen und seiner kierkegaardschen Krankheit zum Tode. Aber Andreas Homoki, der sich zum Ausklang seiner Intendantenzeit mit dieser Inszenierung einen persönlichen Wunsch erfüllt, hat Brods üblicherweise übernommene Umarbeitung des Originals verworfen. Eine der Antworten auf die Frage nach dem Menschen ist, dass auch wir Tiere sind. Was folgt daraus? Auch Janacek weiß es nicht: Das ist Homokis verblüffende Antwort, die seiner Regie eine hintergründige Tiefe und Wahrheit verleiht.
Wir befinden uns in einem böhmischen Wirtshaus, das mit Hilfe der Drehbühne gleich vier Versionen des Schankraumes vorzeigen kann. Das Mobiliar bleibt, aber manchmal sitzen Hühner am Tisch, manchmal ist zur Hochzeit dekoriert, manchmal ist der Wald hereingekommen. Ein Förster hat sich in eine Füchsin verliebt, die er mit nach Hause nimmt. Sie beißt den Hahn tot, der eigentlich der Dorfschullehrer ist. Dann verliebt sie sich in einen Fuchs. Dann schießt sie der Wilderer tot: Wirklich glücklich ist die Liebesgeschichte des Försters nicht. Er wacht auf aus seinem Traum, sein Leben geht zu Ende, doch dann kommt wieder ein Frosch vorbei, und auch eine Füchsin, die er sah, als er sich müde im Wirtshaus hingesetzt hat für ein Nickerchen. Keine Symbole, keine Psychoanalyse, nur ein Spiel mit der Möglichkeit, dass die Schranken zur Natur so durchlässig sind, wie es diese Drehbühne vorführt.
Ja, auch das war Janaceks Welt, nicht nur Dostojewskis Apokalypse, eine Welt, in der es vielleicht kein Unglück mehr ist, ein Mensch zu sein, weil selbst der Tod nur ein Teil des Lebens ist. Nicht immer gelingt es dem Ensemble, diesen naturfrommen Gedanken so prägnant zu formulieren wie in der Schlussszene. Jens Larsen als Förster chargiert zu sehr, und Alexander Vedernikow peitscht das Orchester gelegentlich in eine Schroffheit, die der leisen Melancholie des Werkes widerspricht. Aber zum Glück gibt es nicht nur sechs Vorstellungen dieses sehr mutigen Versuchs, Janacek zu verstehen.
■ „Aus einem Totenhaus“: 6., 9., 11., 14., 17. Oktober, Staatsoper ■ „Das schlaue Füchslein“: 7., 11., 15., 23. Oktober, Komische Oper