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Archiv-Artikel

Liebe und Alkohol

ISLANDSAGA (4) So ein kleines Land, so viele Bücher: Von brotlosen Dichtern und Omas mit Granaten

Ob ich denn wirklich all diese Bücher gelesen habe, wollte sie wissen. Ja, sagte ich. Ironisch. Dass das nur gelogen sein konnte, war uns beiden klar.

Es gibt mehr Bücher als Leser. Ich kann so einiges weglesen inzwischen, aber bei weitem nicht das, was ich eigentlich weglesen wollen würde. Und wenn dann noch so eine Kolumne kommt über die Literatur eines derart buchvernarrten Lands wie Island – die eine Hälfte der Insel macht Musik, die andere Hälfte schreibt, so scheint es, es ist so ähnlich wie an der Spree, da muss man auch nur blindlings einen Stein werfen, um eine oder einen KreativeN zu treffen –, dann, wie war der Satzanfang, ja richtig: Dann kommt man einfach nicht dazu, alles zu lesen, was es gibt.

So kam ich nicht dazu, in Hallgrímur Helgasons „Eine Frau bei 1000°“ (Tropen Verlag) zu schauen, was schade ist. Denn Helgason gilt als Islands einziger Popautor, und das Buch, das sich um eine ältere, onlinesüchtige Dame und eine ihr gehörende Handgranate dreht, ist bestimmt recht unterhaltsam und kurzweilig. Außerdem hat Helgason „101 Reykjavik“ geschrieben, was ich aber auch nicht gelesen habe, vielleicht habe ich den Film gesehen, ich kann mich nur nicht mehr daran erinnern.

Magnusson übersetzt

Nichts gelesen habe ich auch von Hálldor Laxness, seines Zeichens Marxist, Schreibmaniker und einziger Literaturnobelpreisträger Islands. 1998 hat er das Schreiben eingestellt, er wurde darüber immerhin fast 96 Jahre alt. Den Nobelpreis bekam er nicht im Jahre 1968, wie die ZDF-Sendung „Aspekte“ irrtümlich meldete, sondern bereits 1955. (Ist es eigentlich möglich, zweimal den Nobelpreis zu bekommen?) Seine Werke erscheinen auf Deutsch im Steidl Verlag, zuletzt „Das Volksbuch“.

Stattdessen habe ich in „Islands Adel“ (S. Fischer) hineingeschaut, obwohl der Name Kristof Magnusson als Übersetzer auf dem Deckel steht. Magnusson, Sohn eines Isländers, macht heuer wohl ein sehr gutes Geschäft. Er ist mithin Deutschlands führender Island-Literatur-Experte. Ich sollte mein Niederländisch auffrischen. Das Buch hat Thórbergur Thórdarson geschrieben, und der ist schon eine Weile tot, gilt aber als Islands Antwort auf die Moderne. Das Buch ist streckenweise amüsant, fast schon witzig, es spielt im Jahre 1912, wurde fast fünfundzwanzig Jahre später veröffentlicht und ist ein wenig eine Mischung aus „Zeno Cosini“ und „Hunger“, ohne an eins dieser beiden Meisterwerke heranzureichen. Da geht es um einen brotlosen Dichter, der allerlei Geschichten erlebt, die er auch gleich nacherzählt. Meistens handeln die Geschichten von anderen Leuten. Ganz nach dem Motto von Seite 16: „Könige und Bettler bekommen nie die, die sie lieben.“ Es gibt reichlich überdrehten Dichterkitsch in diesem Buch, immer schön ironisch, immer fein von der Realität gebrochen, aber es bleibt eben doch Dichterkitsch.

Neben vielen Skurrilitäten um Fischfang, importierten Honig, die Liebe zu den unschuldigen Frauen und die alles blendende, isländische Dunkelheit wartet die eine oder andere Weisheit auf die Lesenden. „Die Leute tun so, als liebten sie Gott. Und doch wissen alle, dass diese Liebe nichts anderes ist als Angst vor dem Verbleib unserer Seele nach dem Tod. Und dann quälen wir uns damit, unser fleischliches Verlangen damit zu betäuben, dass wir über die reine Liebe reden …, weil diese perversen Kirchen uns eingebläut haben, die natürlichen Bedürfnisse … für unwürdig zu halten.“ Manches kann man nicht oft genug betonen (die Geschlechterzuordnungen habe ich jetzt schön präpostfeministisch rausgenommen).

Nicht mehr reinlesen konnte ich hingegen in Einar Már Gudmundssons „Vorübergehend nicht erreichbar“ (Hanser). Obwohl mich der Titel sehr angesprochen hat. Auch das Thema – Liebe in Phasen des Alkoholismus – ist immer aktuell, und Gedichte hat es in dem Buch auch, wie dieses: „Reden wir nicht von / Großen Nationen und kleinen Nationen / Randgebieten, Weltabgeschiedenheit / und Peripherie.“ Genau, reden wir nicht mehr davon. Man sieht sich auf der Buchmesse! RENÉ HAMANN

■ Island ist das diesjährige Gastland der am 11. Oktober beginnenden Frankfurter Buchmesse. Über seine Leseerfahrungen mit den vielzähligen, aus diesem Anlass ins Deutsche übersetzten isländischen Büchern berichtet unser Autor bis dahin in loser Folge