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Archiv-Artikel

„Eine familiäre Bindung“

FÜHRUNG Eine „bewohnte Kunstinstallation“ erinnert an die in Auschwitz ermordete Familie Lundner

Kim Böse

37, ist Kunstpädagogin im Referendariat sowie Bewohnerin und Initiatorin des seit 2013 existierenden „Zimmerdenkmals“.

taz: Frau Böse, wie kann ein privater Wohnraum gleichzeitig eine Kunstinstallation sein?

Kim Böse: Im Alltag leben wir hier ganz normal. Die Wohnung ist nur temporär öffentlich und dann steht die Geschichte der Familie Lundner im Vordergrund, die 1938 nach Polen ausgewiesen wurde. Das Haus selbst hat einen musealen Charakter: Es wurde im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört und birgt noch Spuren der Familie. Zusätzlich haben wir mit anderen Künstlern Kunstwerke hineingesetzt, die die Vertreibung der Familie thematisieren.

Zum Beispiel?

Es gibt eine Puppeninstallation im Kinderzimmer: Aus einer Kiste führen sinnbildlich Schienen nach Auschwitz. Die Kiste ist im Alltag verschlossen. Um das Zimmerdenkmal alltagstauglicher zu machen, haben wir zum Beispiel auch Bilder, die die Shoah thematisieren, vom Wohnzimmer auf den Flur gehängt.

Wie kam es überhaupt zu dem Projekt?

Das kam nach und nach. Als ich eingezogen bin, habe ich unwissentlich Spuren bei der Sanierung freigelegt: zum Beispiel Fliesen aus den 1920ern. Über die Jahre kamen Hinweise aus der Nachbarschaft, dass in dem Haus mal eine jüdische Familie gewohnt hat. Ich bin neugierig geworden und habe mich auf Spurensuche begeben. Zum Beispiel über das Stolperstein-Projekt kamen mit der Zeit immer mehr Puzzleteile zusammen.

Ist im Laufe der Zeit eine Verbindung zu Nachfahren der Familie entstanden?

Es gibt einen sehr interessierten Nachfahren aus Jerusalem, Benjamin Pappenheim. Er war von dem Projekt sehr angetan und hat dann auch selbst an Kunstwerken mitgearbeitet. Mittlerweile ist eine Art familiäre Bindung zu manchen Nachfahren, aber auch zu der Familie Lundner selber entstanden. Ich habe mich so intensiv mit der Familiengeschichte auseinandergesetzt, dass ich eine Verbundenheit zu ihnen spüre.

Ist diese intensive Beschäftigung für Sie belastend?

Sicherlich hat das was Belastendes, aber auch was sehr Befreiendes. Hier entsteht eine intensive Kommunikation: Es kommen Nachfahren von ehemaligen jüdischen Nachbarn, die mit mir reden wollen, oder die Besucher beschäftigen sich über die Führung hinaus mit dem Thema. Das Projekt ist lebendig. Das ist das eigentliche Kunstwerk: die Kommunikation.  INTERVIEW: MERLIN PRATSCH

15 Uhr, Plattenheide 40. Anmeldung: kboese@uni-bremen.de