Ein Haus für alle

GOTT In Berlin wollen Christen, Juden und Muslime einen Sakralbau errichten, der auch von Andersgläubigen und Nichtgläubigen genutzt werden kann. Es ist eine einfache und überfällige Idee – überraschend, dass vor Gregor Hohberg niemand darauf kam

■ Das „House of One“ soll auf dem Fundament der letzten Petrikirche stehen. Im 13. Jahrhundert wurde am Petriplatz die mittelalterliche Doppelstadt Berlin-Cölln gegründet. Im Laufe der Zeit wurde das dortige Gotteshaus mehrmals neu aufgebaut. Zuletzt beschlossen die DDR-Behörden 1964 den Abriss der Kirche, die Bombenschäden davongetragen hatte. Ein Parkplatz entstand auf dem Gelände. Bei archäologischen Ausgrabungen zwischen 2007 und 2009 wurden über 220.000 Fundstücke sowie die Fundamente dreier Kirchen freigelegt, die über eine Treppe und einen Fahrstuhl vom „House of One“ aus begehbar sein werden. Auf house-of-one.org darf jeder seinen Beitrag leisten. Wer die Idee gut findet, kann Steine spenden. Einer kostet 10 Euro.

VON ULRICH GUTMAIR

Gregor Hohberg steht vor der St.-Marien-Kirche in Berlin. Dicke schwarze Brille, weißes Hemd, schwarzer Cardigan – so sehen Art-Direktoren oder Architekten oft aus. Ganz falsch ist der Eindruck nicht, dass es sich bei Pfarrer Hohberg um einen Kreativen handelt, der mit Ideen spielt und räumlich denkt. Er will, dass mitten in Berlin ein Haus gebaut wird, das eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee beherbergt, die durch einen zentralen Begegnungsraum miteinander verbunden sind. Es ist eine so einfache wie auch naheliegende Idee. Warum bloß kam vorher niemand darauf?

Bei der Idee blieb es nicht. Ein Verein wurde gegründet, ein Architekturwettbewerb ausgelobt. Nun versuchen Hohberg und seine Mitstreiter die nötigen Mittel zu sammeln, um diesen weltweit neuen Typus eines Sakralbaus zu realisieren. „House of One“ soll das Haus heißen. Der Name sagt das Wesentliche: Es ist ein Haus für den einen Gott von Juden, Christen und Muslimen. Dem Frieden und der einen Menschheitsfamilie soll es gewidmet sein.

An einem nasskalten Wintermorgen wollen sich einige Touristen die St.-Marien-Kirche auf dem Alexanderplatz ansehen. Gregor Hohberg lässt sie ein. Kurz darauf sitzt er an einem großen Holztisch in der Sakristei. „Das sind die ältesten Steine in ganz Berlin-Mitte. Die Sakristei gibt es seit über 600 Jahren“, sagt Hohberg.

In der Uckermark, wo er in einem Pfarrhaus aufwuchs, sind viele Kirchen so alt wie die Christianisierung des Landstrichs. „Gedächtnisspeicher“ nennt Hohberg die bis zu 800 Jahre alten Gebäude. Als er Kind war, gingen in seinem Dorf noch alle zum Gottesdienst, erzählt er. „Selbst die Männer. Das ebbte erst ab in den Achtzigern.“ Auch Angela Merkel stammt aus einem Pfarrhaus in der Uckermark.

Heute ist Gregor Hohberg Pfarrer in der evangelischen Kirchengemeinde St. Petri – St. Marien, die sich über das Gebiet der historischen Altstadt erstreckt. Um die 3.000 Gemeindemitglieder verzeichnet die Kartei. „Wir machen Aufgaben, die weit über die klassischen Gemeindearbeit hinausgehen“, sagt Hohberg. „Alle zwei Wochen findet im Kirchenraum eine Suppenküche statt. Dann werden Tische aufgestellt für bis zu 150 Menschen. Darunter viele Frauen, die oft versteckter unter Obdachlosigkeit und Armut leiden als Männer, weil sie sich mehr schämen. Man isst, betet und singt gemeinsam.“

Über hundert Ehrenamtliche sorgen dafür, dass die Gemeinde solche Arbeit leisten kann und das Wahrzeichen St. Marien täglich offen ist. Für die Touristen und alle, die sich vom Lärm Berlins zurückziehen wollen. St. Marien ist Bischofs- und Ratskirche und die Kirche der Humboldt-Universität. Auch die Anglikaner haben hier einen Platz.

Seit über zwölf Jahren ist Georg Hohberg Pfarrer in St. Marien. Die innerstädtischen Kirchen wurden von den Gemeinden lange Zeit nur als Last empfunden, erzählt er. Doch allmählich entdeckte man sie als Orte, die es den Kirchengemeinden ermöglichen, ihre Aufgaben neu zu definieren. „Citykirchenarbeit“ heißt der Ansatz. „Wir haben Schätze mitten in der Stadt, die wir nutzen müssen, um die Menschen zu erreichen.“ Aber wie? „Wir müssen die Themen der Stadt finden und mit unserer Botschaft darauf reagieren“, antwortet der Pfarrer.

Hohberg fand das Thema, das die Stadt einfordert, vor einigen Jahren: Es ist das Zusammenleben unterschiedlicher Religionen und Kulturen in den Metropolen Europas. Der Pfarrer kann sich genau erinnern, wann ihm die Idee für das „House of One“ kam. Sie hat etwas mit dem Ort zu tun, an dem die Geschichte von Cölln begann, dem Dorf auf der Fischerinsel, um das herum das heutige Berlin entstand. Denn das „House of One“ soll auf den Fundamenten der alten Petrikriche, die 1237 erstmals urkundlich erwähnt wurde, errichtet werden. Heute lebt sie nur im Namen von Pfarrer Hohbergs Gemeinde fort.

■ Zuerst hatten die Organisatoren des Projekts mit dem Gedanken gespielt, das „House of One“ als einen einzigen großen Raum für alle Religionen zu konzipieren. Dann aber wurde befürchtet, dass bei dieser Konstruktion entweder die Präsenz einer Religion überwiege oder der Raum so neutral bleibe, dass sich darin keine Glaubensgemeinschaft zu Hause fühlen würde. Letzteres kenne man aus Gebetsräumen in Flughäfen oder in Schulen. Stattdessen soll es im Zentrum des Gebäudekomplexes nun einen Kuppelsaal als Gemeinschaftsraum geben. Er verbindet die Räume der drei Religionen miteinander. Bei regelmäßigen Veranstaltungen sollen hier Muslime, Christen und Juden mit der säkularen Stadtgesellschaft zusammenkommen.

Gedächtnisspeicher

Bei einer Grabungskampagne, die im Zuge des Wiederaufbaus des Berliner Schlosses durchgeführt wurde, fand man die Fundamente des Cöllnschen Rathauses, der Lateinschule und von vier nacheinander am selben Ort erbauten Petrikirchen. Die letzte wurde von der DDR-Regierung für die Erweiterung der Leipziger Straße gesprengt.

Der 1962 beschlossene „Plan zum Aufbau des Zentrums der Hauptstadt der DDR“ sah vor allem industriellen, typisierten Wohnungsbau für die Fischerinsel vor. Das jahrhundertealte Straßennetz des historischen Berlin wurde größtenteils zerstört. Wo sich einst das Zentrum Cöllns befand und schon frühe Siedler der Spreeinsel ihre Toten begraben hatten, blickt man nun auf eine sechsspurige Straße, ein Novotel und weitere Investorengebäude aus den Neunzigern. Nur westlich und nördlich des Petriplatzes stehen noch ein paar ältere Gebäude, die die Stadtplaner der DDR übrigließen.

Um Platz für das Novotel zu schaffen, wurde das 1973 erbaute Ahornblatt, eine Großgaststätte, abgerissen. Das Ahornblatt war als gesellschaftliches Zentrum für das neue Wohngebiet auf der Fischerinsel errichtet worden. Nach der Wende tummelten sich dort Raver, wenn DJ Tanith harten Techno spielte.

Der Petriplatz ist eine zugige Brachfläche an der Leipziger Straße, von schütterem Gras bewachsen. Tafeln und Bodenmarkierungen weisen die wenigen Fußgänger auf die Geschichte des Ortes hin. Mit seinem Mentor, dem Hamburger Theologen Wolfgang Grünberg, flanierte Hohberg eines Tages durch diese Gegend. Früher konnte man von der Petrikirche zum Schloss schauen. Nun verstellt das ehemalige Staatsratsgebäude den Blick. Heute wird es von der European School of Management and Technology genutzt.

Dort drinnen fanden sich Grünberg und Hohberg vor einem Kunstwerk des sozialistischen Realismus wieder. „Auf diesem Glaskunstwerk sieht man, wie die Menschen den Himmel auf die Erde holen. Wir liefen weiter und kamen zum Schluss, der Ort, an dem die Petrikriche stand, ist der Ort für die Gegenbewegung“, sagt Hohberg. Denn es gehe eben nicht darum, den Himmel auf die Erde zu holen, sondern sich an den Himmel als die Vision einer gerechten, friedlichen Welt zu erinnern: „Der Mensch soll sich auf den Weg machen, aber nicht in einen Herrschergestus verfallen. Dann haben wir ein bisschen fantasiert und vor uns eine Tafel gesehen, an der Menschen unterschiedlicher Religionen, Ungläubige und auch Zweifler zusammen ein Festmahl halten und diskutieren. Das war unser Bild. Später überlegten wir, dass diese Tafel ein Dach haben muss.“

Eine Gemeindeversammlung wurde einberufen. Vorschläge wurden gesammelt, was man sich unter dieser überdachten Tafel auf den Fundamenten der Petrikirche konkret vorstellen könnte. Eine Probeabstimmung zeigte, dass die Idee, einen Sakralbau zu errichten, der von Angehörigen der drei monotheistischen und anderen Religionsgemeinschaften gemeinsam genutzt werden kann, den meisten Zuspruch findet.

■ Im Koran gibt keine genauen Angaben dazu, was eine Moschee zu einer Moschee macht. Deshalb kann schon ein Raum, in dem sich Muslime regelmäßig zum Beten treffen, als Moschee bezeichnet werden. Traditionsgemäß gehören zum Interieur aber Gebetsraum, Gebetskanzel, Empore und Waschvorrichtungen. Diese Elemente werden auch in der Moschee im „House of One“ zu finden sein. Außerdem wichtig: Das muslimische Gotteshaus muss gen Mekka zeigen, gekennzeichnet wird die Richtung durch eine Gebetsnische. Ein Minarett wird die Moschee allerdings nicht haben. Denn der Bau eines Minaretts würde bedeuten, dass man auch einen Kirchturm einplanen müsste. Das Haus soll nach außen hin aber Neutralität ausstrahlen. Keine Religion soll hervorstechen.

Glaubenstradition

„Getrennte Gottesdiensträume soll es dort geben, in der jeder in seiner Glaubenstradition betet und diese auch nicht verwässern muss. In einem gemeinsamen Zentralraum der Begegnung kann man miteinander ins Gespräch kommen, voneinander lernen und das Gespräch mit der säkularen Mehrheitsgesellschaft und Gläubigen weiterer Religionen suchen“, fasst Hohberg das Ergebnis zusammen.

„Die Petrikirche war im Krieg beschädigt worden, aber trotzdem noch imposant, ihr Turm war der höchste in Mitte, 109 Meter hoch“, sagt Hohberg. Dass dessen Fundamente immer noch in der Erde liegen, spielte für das Konzept des „House of One“ eine Rolle. „Wir fragten uns: Was braucht die Stadt heute?“ Neue Kirchen seien es nicht, davon gebe es genug, und sie seien gut besucht. Wenn wir etwas bauen“, meint er, „muss es ein Thema besetzen, das die Menschen von heute bewegt. Die säkulare Mehrheitsgesellschaft trägt die große Sehnsucht in sich, dass Gläubige untereinander, aber auch Gläubige mit Nichtgläubigen vernünftig miteinander umgehen. Wir spüren immer wieder, dass das ein großes Thema ist, weil die Welt kleiner wird, weil es sich mischt.“ Schon Lessing spürte dieser Sehnsucht in „Nathan der Weise“ nach.

Hohberg spricht leise und konzentriert, während er in seiner Sakristei sitzt, in die das Rauschen der Welt nur sachte hereindringt. Es ist Mitte November, die Nachrichten sind voller Horrormeldungen über den Vormarsch des Islamischen Staats in Irak und Syrien. Die montäglichen Demonstrationen von Pegida haben erst begonnen. Von Michel Houellebecqs neuem Buch „Unterwerfung“ – es spielt im Jahr 2022, in dem ein Muslimbruder in Frankreich Präsident wird – ist noch nicht die Rede. Auch nicht vom Mord an den Redakteuren von Charlie Hebdo in Paris. Dass es richtig ist, dass sich die großen Religionsgemeinschaften in einen Dialog mit Andersgläubigen und der säkularen Mehrheit begeben müssen, wird durch diese Ereignisse jedoch nur noch bestärkt.

Hohberg hat beobachtet, dass in die Marienkirche oft Muslime kommen und beten. „Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Die Mehrheit der Muslime kommt, weil die Kirche ein ruhiger Ort ist und weil es in Mitte keine Moschee gibt. Auch das führte dazu, dass wir sagten, wenn wir hier was machen, machen wir etwas Interreligiöses.“

Im Petriplatz sieht Hohberg nicht nur den „Urort der Stadt“, sondern auch einen „geprägten heiligen Ort“, an dem Religion und Stadtgesellschaft immer schon verknüpft waren. Diese Idee wollen er und seine Mitstreiter fortschreiben. „Und zwar mit den Gruppen, die mit der Stadtgeschichte verknüpft sind und noch heute Prägekraft haben: Das Judentum ist seit dem 13. Jahrhundert in der Stadt. Der erste Muslim war im 18. Jahrhundert hier zu finden.“ Hohberg, der sein Vikariat in der Berliner Gedächtniskirche, dann in der Potsdamer City machte, verbindet Vergangenheit gern mit Zukunft. Schon in Potsdam hatte er am Konzept für den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonskirche mitgeschrieben.

Die Suche nach den geeigneten Partnern für das „House of One“ hat fast zwei Jahre gedauert. „Wenn man zusammen baut, ist das Konfliktpotenzial groß“, sagt Hohberg. Das Judentum umfasst ein breites Spektrum von liberalen bis orthodoxen Strömungen, ist aber als Einheitsgemeinde organisiert. Deren Vorstand wurde Partner des Projekts. Hinzu kam das Abraham-Geiger-Kolleg, das Rabbinerinnen und Kantoren ausbildet.

■ Die Einrichtung von Kirchen ergibt sich aus der Tradition, nicht aus biblischen Vorschriften. Gebraucht werden Altar, Taufbecken und Ambo, wo das Evangelium verkündet wird. Kirchen sind nach Osten ausgerichtet. Ihre Architektur wurde über die Jahrhunderte von den Baustilen ihrer Zeit beeinflusst: Romanik, Gotik, Barock. Der christliche Raum im „House of One“ ist modern gehalten. Für Altar, Orgel und Kirchenbänke sollen Materialen verwendet werden, die sich auch in der Moschee und der Synagoge des Hauses wiederfinden. Auf diese Weise soll die Verbundenheit der drei Religionen symbolisiert werden.

Herausforderung

Komplizierter war es mit islamischen Organisationen, deren Vereinsstruktur disparater ist. „Wir haben mit vielen gesprochen, alle fanden es sehr spannend, auch den Gedanken, in Berlin-Mitte eine Moschee zu haben, die es jetzt nicht gibt“, sagt Hohberg. „Wir hatten aber einige Voraussetzungen formuliert. Ein Punkt war: Ihr müsst euch im Klaren sein, ihr steht dann öffentlich an der Seite auch der jüdischen Gemeinde. Wenn es antisemitische Tendenzen gibt, seid ihr gefordert, sie öffentlich zu bearbeiten.“ Für eine weitere Herausforderung hält Hohberg, dass viele muslimische Gemeinden klein sind und nicht über das nötige Personal verfügen. „Denn die andere Voraussetzung bestand darin, dass wir sagten: Wir kommen heraus aus den Hinterhöfen, wir gehen auf den Platz und stellen uns der Diskussion. Jeder darf uns kritisieren, wir setzen uns damit auseinander. Fühlt ihr euch dem gewachsen?“

Als Partner wurde schließlich das Forum für interkulturellen Dialog gefunden, ein Verein, der in mehreren muslimischen Gemeinden verortet ist und bereits mit der jüdischen Gemeinde zusammenarbeitet. 2011 wurde der Verein Bet- und Lehrhaus Petriplatz Berlin gegründet, dessen Vorstand paritätisch mit zwei Muslimen, zwei Juden, zwei Christen, besetzt ist, darunter Pfarrer Gregor Hohberg, Rabbiner Tovia Ben-Chorin und Imam Kadir Sanci.

Spiritualität

Ein Jahr später wurde ein internationaler Wettbewerb ausgelobt. Über 200 Büros aus der ganzen Welt bewarben sich, 40 Büros beteiligen sich schließlich. „Das muss Energie freigesetzt haben: die einzigartige Aufgabe, eine völlig neue Bautypologie zu entwickeln“, sagt Pfarrer Hohberg. „Es gibt auf der ganzen Welt noch kein Sakralgebäude für mehrere Religionen, das von Anfang an von drei Glaubensgemeinschaften gemeinsam konzipiert wurde und im Stadtbild als Sakralbau sichtbar sein, Spiritualität und Transzendenz atmen, aber nicht den klassischen Bautraditionen der einzelnen Religionen zuzuordnen sein soll.“

■ Bei der Planung jüdischer Gotteshäuser orientierte man sich schon immer an aktuellen Architekturmoden. Die Tora und spätere Schriften lassen offen, wie ein jüdisches Bethaus eingerichtet sein muss. Aber für die Gebetszeremonie gibt es Vorgaben. Denn auf den Toraschrein und die Bima, das Lesepult, kann der Rabbiner nicht verzichten. Diese sind auch in der Synagoge im „House of One“ eingeplant. Und wie die Moschee und die Kirche wird auch die Synagoge in eine bestimmte Richtung zeigen, nach Jerusalem. Eine weitere Parallele zur Moschee besteht darin, dass auch in der Synagoge die Möglichkeit bestehen wird, die Geschlechter zu trennen. Hierfür sind Trennwände und Emporen vorgesehen.

In dem neuen Haus am Petriplatz sollen Geschlechtertrennung und konservative Rituale praktiziert werden können. Unter den zentralen Gutachtern für den Bau waren auf christlicher Seite katholische Professoren dabei. „Auch Navid Kermani, der von Haus aus Schiit ist, hat die einzelnen Ideen begutachtet, so dass das Projekt von Anfang an auch mit anderen Traditionen verknüpft ist“, sagt Hohberg.

Die Initiatoren des „House of One“ haben sich eine Charta gegeben. Sie begreifen sich als „Erstbewohner“ und erheben keinerlei Alleinvertretungsanspruch für ihre Religionen. „Wir verpflichten uns dazu, alle anderen Gruppen, die hier mitarbeiten und Gottesdienste feiern wollen, einzuladen und die Tür offen zu halten. In unserem Kirchenraum können Katholiken, Orthodoxe, Baptisten Gottesdienste feiern. In der Moschee können neben Sunniten auch Schiiten ihren Platz finden, Progressive und Konservative.“

Schon jetzt lädt der Verein zu Diskussionen ein, bei denen es etwa um die Frage geht, was ein auserwähltes Volk oder was die Scharia ist. „Wir merken, dass der Prozess genauso wichtig ist wie das Gebäude“, sagt Hohberg.

Seit die Idee in der Welt sei, könnten sich die Initiatoren kaum vor Anfragen retten. „Für viele ist es ein hoffnungsvolles Zeichen. Und auch wenn es im fernen Berlin ist, unterstützen sie es, weil sie sich sagen: Wenn es einmal gelingt, kann es eine gute Wirkung haben.“ Es melden sich Gruppen von überallher, die Ähnliches machen wollen. Zuletzt aus Peru, aus Bosnien, aus Jerusalem.

■ Die Idee: Im Jahr 2016 wollen die Initiatoren in Berlin mit dem Bau des einzigartigen Sakralbaus beginnen, der Christen, Juden und Muslime an einem Ort verbindet.

■ Der Wettbewerb: 208 Architektenteams aus 14 Ländern haben sich für das „House of One“-Projekt beworben. Es gewann das Berliner Büro Kuehn Malvezzi, das Erfahrung mit Sakralbauten hat.

■ Die Umsetzung: Inhaltlich arbeiten die Initiatoren daran, interreligöse Gespräche normal werden zu lassen. Praktisch geht es darum, über 40 Millionen Euro Baukosten zusammenzubringen.

An der im Juli des vergangenen Jahres lancierten Crowdfundingkampagne soll sich jeder beteiligen können. Inzwischen sind Hunderte Kleinstspenden aus 39 Ländern eingetroffen. Es zeigte sich aber schnell, dass so kaum die notwendigen Millionen gesammelt werden können. Inzwischen arbeiten ehrenamtliche Fundraiser an der Neuausrichtung der Finanzierungsstrategie. Nun sollen auch Sponsoren, Spender und Mäzene gesucht und die Zusammenarbeit mit der Politik entwickelt werden.

Hat Hohberg bei aller Zuversicht keine Angst vor Kontroversen mit eher strengeren Strömungen der jeweiligen Religionsgemeinschaften? „Die drei Gruppen, die hier zusammen arbeiten, sind von ihrer Theologie her sehr liberal, aber von ihrer Frömmigkeitsstruktur konservativ. Sowohl ich als auch Imam Sanci und Rabbiner Ben-Chorin sind sehr verwurzelt in unseren Glaubenstradionen, in Gebetsritualen, in gottesdienstlichen Liturgien, die man eher als konservativ bezeichnen könnte.“

Transzendenz

Aber natürlich würden sich die liberalen Kräfte mit der Idee leichter tun, unter einem gemeinsamen Dach zu beten, während orthodoxere Kräfte Ängste hätten, sagt Pfarrer Hohberg. Mit ihnen müsse man ins Gespräch kommen. „Wir halten an unserer jeweiligen Glaubenswahrheit fest, sagen aber, dass wir die Wahrheit des anderen respektieren, weil wir erkennen müssen, dass wir zwar unsere religiösen Erfahrungen deuten können, dass die Wahrheit aber bei Gott liegt und wir das hier auf Erden nicht aushandeln können.“ Diese Grenze zögen Judentum, Christentum und Islam. „Wir wollen gar nicht sagen, die allerletzte Wahrheit setzen wir. Wir bewegen uns immer im Vorletzten. Wir bewegen uns demütig und können deswegen respektvoll mit dem anderen umgehen und sogar von ihm lernen.“

Pfarrer Hohberg hat jetzt den nächsten Termin. Er bittet die Touristen, St. Marien zu verlassen; noch sind keine Ehrenamtlichen da, die dafür sorgen, dass die Kirche offen ist.