: Darum Dresden
DEMONSTRATIONEN Die eine Erklärung, warum die Pegida-Proteste in Sachsens Landeshauptstadt so groß geworden sind, gibt es nicht. Aber viele Gründe
Sitze von 70 hat die CDU im Dresdner Stadtrat, das sind 30 Prozent. Die Linken halten 17 Sitze, Grüne 11, SPD 9, AfD 5, NPD 2
Quelle: Landeshauptstadt Dresden
7.000
Demonstranten weniger als die Polizei zählten Forscher bei einem der jüngsten Dresdner Pegida-Märsche
Quelle: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
3
Moscheen gibt es in der Stadt
Quelle: Islamisches Zentrum Dresden e. V.
1.800
Kilometer sind es vom Stadtkern Dresdens bis zur Grenze des Morgenlands, in der Türkei
Quelle: Google Maps
23,9
Prozent Wirtschaftswachstum wies Dresden von 2000 bis 2013 auf. Die Prognose für 2014 war 1,5 Prozent
Quelle: Landeshauptstadt Dresden, IHK Sachsen
48
Museen gibt es in Dresden. Die Stadt belegt Platz 3 im Kulturstädteranking 2014
Quelle: Hamburgisches Weltwirtschaftsinstitut
1. Opfermythos
Städte sind Erzählungen. Dresden ist ein Opfer. Das beliebteste Motiv ist der alliierte Luftangriff auf Dresden am 13. und 14. Februar 1945. Etwa 25.000 Menschen starben. Die Nationalsozialisten machten Propaganda mit den „anglo-amerikanischen Terrorangriffen“.
Mit Beginn des Kalten Kriegs nahm die sozialistische Diktatur diesen Erzählstrang wieder auf. Denkmäler wie das „Rondell im Ehrenhain“ auf dem Dresdner Heidefriedhof zeugen davon. Dort stehen vierzehn Säulen, von denen dreizehn an die Opfer nationalsozialistischer Verbrechen, beispielsweise in Vernichtungslagern wie Auschwitz, erinnern. Eine Säule steht für Dresden. Die SED setzte die Opfer von Dresden mit denen des NS-Regimes gleich. Die Westalliierten hätten Dresden bombardiert, weil es in der künftigen sowjetischen Besatzungszone lag. Außerdem belege der Angriff die Unmenschlichkeit des Westens. Heute sind die Buchhandlungen der Stadt voll mit Büchern über den Angriff, immer wieder wird um die Zahl der Opfer gestritten.
Kleinere Opfererzählungen: Der Fußballclub Dynamo Dresden muss des Öfteren Strafen wegen gewalttätiger und ausländerfeindlicher Fans hinnehmen. Verantwortlich dafür: die „Fußballmafia DFB“.
2009 erkannte die Unesco der Stadt wegen des Baus der Waldschlösschenbrücke den Titel Weltkulturerbe ab. Schuld war für viele Dresdner die UN, vulgo die Welt da draußen.
2. Liebesentzug
In Ostdeutschland ist eine historische Erfahrung, dass einem Regime durch Verweigerung wirkungsvoll Widerstand geleistet werden kann (Politiker nicht ernst nehmen, nicht wählen). Diese Motive finden sich bei Pegida wieder.
3. Die Pegida-CDU
Seit 25 Jahren regiert in Sachsen die CDU – mal allein, mal in Koalitionen. Vor allem im Umland sympathisieren christdemokratische Politiker mit Thesen, die auch Pegida vertritt. „Und übrigens ist die fortschreitende ‚Islamisierung‘ schon infolge der demografischen Situation, der Geburtenfreudigkeit auf der einen und des Geburtendefizits auf der anderen Seite gegeben“, schreibt die Bundestagsabgeordnete Veronika Bellmann auf ihrer Webseite. Bellmann kommt aus Eppendorf, etwa 70 Kilometer entfernt von Dresden. Der Oberbürgermeister von Mittweida, Matthias Damm, klagte in einer Neujahrsansprache laut der Freien Presse über „unkontrollierte, ungebremste und ungesteuerte Einwanderung.“
Mehrere CDU-Politiker sehen wie Pegida die Meinungsfreiheit beschnitten. „Wir sprechen eine Sprache, die voll ist von Sprachverboten“, sagte der Schwarzenberger Landtagsabgeordnete Alexander Krauß der Lausitzer Rundschau. Christian Rüdiger, der Vorsitzende der CDU Mittelsachsen sagt, seine Parteifreunde hätten diese Einstellungen schon vor dem Erscheinen von Pegida gehabt: „Doch hatten wir aufgrund der deutschen Vergangenheit immer das Problem, dass dies nicht geäußert werden konnte, ohne dass man in die rechte Ecke gestellt wird.“
4. Leuchttürme
Leuchtturm-Politik: Form der Wirtschaftsförderung, die besonders sogenannte Wachstumskerne unterstützt. Sachsen bevorzugt Zentren wie Dresden und Leipzig. Dies führte zu Abwanderung aus dem Umland, Preisverfall der Immobilien Schulschließungen. Verschärfter Gegensatz zwischen Stadt und Land verstärkt Gefühl des Abgehängtseins jenseits der Zentren.
5. Nostalgie
„Vielleicht liegt ein Grund für den Erfolg von Pegida in Dresden in jenem Milieu begründet, das Uwe Tellkamp in seinem Roman ‚Der Turm‘ beschreibt“, sagt Christian Striefler, promovierter Philosoph und Direktor der Staatlichen Schlösser, Burgen und Gärten Sachsen. „Also das Umfeld einer bürgerlichen DDR-Gesellschaft, das dem süßen Gift der Vergangenheit verfallen ist. Eine Sehnsucht nach einer Idealwelt, wie es sie vielleicht im Königreich gab. Da war alles schön und gut. Und jetzt wird alles so fremd.“ Tellkamp, der aus dem von ihm beschriebenen Milieu kommt, erzählt von Technikern, Ärzten, Lektoren, die in den Villengegenden der Stadt wohnen. Sie lehnen das SED-Regime ab, haben sich aber in der DDR bequem eingerichtet. Der Rechtshistoriker Gerd Roellecke schreibt Jahre nach Erscheinen des „Turms“ in der FAZ: „Was politische Veränderungen angeht, waren die Dresdner ‚Türmer‘ von einer besorgniserregenden Geistesarmut.“
6. Die Kommunistenangst
Im Dezember 2014 stellten Linke und Grüne im Landesparlament eine eigene Kandidatin für das Amt des Ausländerbeauftragten auf. „Linke und Grüne reihen sich nun bei der Missachtung dieser parlamentarischen Gepflogenheiten ein und stellen sich mit der NPD auf eine Stufe“, schreibt Frank Kupfer, Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion, in einer Pressemitteilung. Seiner Meinung nach stand das Recht, eine Kandidatin aufzustellen, nur der stärksten Fraktion zu, der CDU. Nach Protesten relativierte er den Vergleich. Frank Kupfer, in der DDR Funktionär der systemtreuen Blockpartei CDU, nennt Abgeordnete der Linkspartei standhaft „Kommunisten“. Die Ziele der Partei hätten „wenig mit Demokratie zu tun“.
Tatsächlich ist die Linke in Sachsen mit der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit nicht so weit wie anderswo. Führende Mitglieder arbeiteten für die Staatssicherheit oder hatten in der DDR mittlere bis hohe Ämter inne. Allerdings gilt das auch für die CDU. Statt aufzuarbeiten, dämonisiert sie alles Linke. Wie viele Pegida-Demonstranten.
7. Die Deutsche Bahn
In ihrer Studie „Die Erreichbarkeit deutscher Großstädte durch den Schienenpersonenverkehr“ sehen Forscher der TU Dresden ihre Stadt auf Platz 75 der 80 größten deutschen Städte. Als einzige Stadt mit mehr als 500.000 Einwohnern hat Dresden nur eine ICE-Verbindung.
8. Sportfans
Hooligans des Fußballvereins Dynamo Dresden sicherten die Pegida-Demonstrationen ab. Gruppierungen wie „Hooligans Elbflorenz“, „Faust des Ostens“ und „Dresden-Ost“ liefen bei den Protesten mit. Ein Mitglied des Pegida-Organisationsteams, Achim Exner, ist im Vorstand der Dresdner AfD verantwortlich für Wahlkampfmanagement. Früher war er Sicherheitschef bei Dynamo Dresden.
9. Redelust
Die Idee, wirklich mit jedem reden zu können und zu müssen, resultiert aus einer positiven Erfahrung der friedlichen Revolution von 1989. Damals verhandelten vom Regime Verfolgte mit ihren Verfolgern und verhinderten Gewalt. Einer von ihnen war der Theologe Frank Richter, der heute für seine Dialogbereitschaft mit Pegida scharf kritisierte Chef der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung.
Man kann natürlich alles Mögliche mutmaßen. Dass der Konservatismus in Dresden schon zu DDR-Zeiten stark war. Dass die Ost-CDU hier gern ihre Parteitage abgehalten hat. Aber mein Gefühl ist, dass dieser Konservatismus auf der Straße keine Sprache für die eigentlichen Probleme hat und sich deshalb an der vorgeblichen Islamisierung emporrankt. Ich war vorige Woche auf der Pegida-Demo, wollte mir das mal anschauen. Die Leute sind wirklich hilflos. Wenn man glaubt, sie sprechen soziale und ökonomische Fragen an, ist das völlige Fehlanzeige.
Eine Antwort auf die Frage, warum Dresden, wäre auch das Hinterland. Mit dem Erzgebirge, mit der Oberlausitz, gibt es ein großes Einzugsgebiet. Man könnte auch sagen: Dresden hat die Probleme, die es formuliert, gar nicht unmittelbar. Es ist nicht besonders arm, es hat wenige Ausländer. Dennoch glaube ich, dass sich hier soziale Abstiegsängste artikulieren, nur ziemlich schief.
Aber ich würde mir nicht so den Kopf zerbrechen, warum es ausgerechnet Dresden ist. Es gibt längst einen richtigen Pegida-Tourismus, auch international. Hier fing alles an, wer Pegida sehen will, fährt nach Dresden.
Besser wäre es, die eigentlichen Probleme anzusprechen, wie es auf der Demonstration am Samstag in Berlin gegen TTIP auch geschah. Da waren 50.000 oder mehr. In den Medien hört man davon kaum etwas. Nichts, was dem angemessen wäre. Das finde ich bestürzend.
■ Ingo Schulze, 52, geboren in Dresden, lebt heute in Berlin. Sein Buch „Neue Leben“ galt Feuilletonisten als der „ultimative Wenderoman“
10. Ekel vor der Politik
In der DDR war Politik Simulation. Die Erfahrung, dass Politik etwas Anrüchiges hat, verwandelte sich nach der Wende in Sachsen in Staatsräson. Schulen und Hochschulen durften keine Politiker einladen, „den Kultusminister als Amtsperson gleichwohl“, schreibt der Dresdner Politikwissenschaftler Dietrich Herrmann in einem Essay für die grünennahe Heinrich-Böll-Stiftung. Beim „Monitor politische Bildung“ untersuchten Forscher wie viel Wert die Bundesländer auf politische Bildung legen. Von 16 untersuchten Ländern landete Sachsen auf Platz 16.
11. Sebnitz
Der Vorwurf, die Medien würden nicht wahrheitsgemäß berichten, wird in Sachsen oft mit „Sebnitz“ begründet.
Im Sommer 1997 war ein sechsjähriger Junge, Sohn eines irakisch-deutschen Apothekerpaars, im Freibad des sächsischen Sebnitz ertrunken. Ein Badeunfall, sagt die Staatsanwaltschaft. Ein Mord, begangen von einer Horde Neonazis, behauptet die Mutter, Renate Kantelberg-Abdulla. Deren vermeintliche Beweise werden drei Jahre später, im Herbst 2000, von deutschen Medien veröffentlicht. „Badeunfall erweist sich als rassistischer Mord“, titelt die taz. Die genauen Umstände sind bis heute ungeklärt, aber das Kind starb an einem Herzinfarkt, ausgelöst durch einen Herzfehler, der angeboren war.
Rechtsextreme benutzen das Wort „sebnitzen“, um rechtsextreme Vorfälle als Falschmeldungen zu denunzieren.
12. Die Pegida-Linke
Viele Parteifreunde seien bei Pegida-Kundgebungen gewesen, sagt ein stellvertretender Kreisvorsitzender der Linkspartei in Sachsen, „um mal zu horchen, zu gucken und das einzuordnen“. Die Neugier sei gut. „Ich sehe das auch als ein wichtiges Element der Demokratie.“ Als Indiz für eine Schnittmenge zwischen Linken und Pegida gilt unter anderem die Wählerwanderung bei der letzten Landtagswahl. Die AfD hatte der Linken nach CDU und FDP die meisten Wähler abgenommen. Abgesehen davon sind Misstrauen gegenüber den „Mainstreammedien“, Sehnsucht nach Law-and-Order und Euro-Skepsis in linken Spektren sehr verbreitet.
13. Selbstbezogenheit
Gabriela Christmann hat zehn Jahre das Wesen des Dresdners erkundet. So lange lebte die Soziologin in der Stadt und erforschte ihre Identität. Sie hat Dresdnerinnen in Kneipen zugehört, hat Lokalzeitungen ausgewertet, Dresden-Bücher vergangener Jahrhunderte gelesen, Interviews geführt und irgendwann festgestellt, dass man in Dresden fast jeden zweiten Abend eine Veranstaltung über Dresden besuchen kann. Wie keine andere Stadt, sagt Christmann, befasst sich Dresden ständig mit sich selbst. „Dresden bietet Stadtführungen für Dresdner an, um dieses Dresdnertum zu stärken“, sagt sie. Solche Führungen gebe es auch woanders, aber in Dresden habe es angefangen. Die extreme Besinnung auf das Selbst bedeutet für die Soziologin auch eine starke Abschottung gegenüber anderen. Deutschsprachige Fremde begrüßten die Dresdnerinnen und Dresdner sehr freundlich, sie seien ja offen, kommunikativ. „Aber sie sind sehr unsicher, wenn die Fremden nicht die deutsche Sprache sprechen oder anders aussehen“, sagt Christmann.
14. Die Dresdner Polizei
März 2006: Polizei entführt Dreijährigen. Als Druckmittel gegen angolanische Mutter, die abgeschoben werden soll.
Oktober 2007: Rechtsextreme kommen in Besitz von Polizeimaterial (Video/Fotos) über Antifaschisten.
Februar 2011: Polizei fischt bei Protest gegen Neonaziaufmarsch über eine Million Verkehrsdaten von mehr als 330.000 Menschen ab. Grund: Ermittlung gegen nicht existente „Antifa-Sportgruppe“.
Januar 2015: Flüchtling Khalid Idres Bahray erstochen aufgefunden. Polizeisprecher: „Die Ermittlungen ergaben bislang keine Anhaltspunkte für eine Fremdeinwirkung.“ Wirkliche Spurensuche und -sicherung erst einen Tag später. An diesem Donnerstag: Haftbefehl gegen einen Mitbewohner Bahrays.
15. Rechtsextreme Gegenwart
Rechtsextreme und rechtskonservative Parteien erzielen in Sachsen hohe Wahlergebnisse. 2004 bekam die NPD hier 9,2 Prozent der Stimmen. Die AfD kam 2014 auf 9,7 Prozent.
Die Skinheads Sächsische Schweiz waren südöstlich von Dresden aktiv und eine der größten neonazistischen Kameradschaften Deutschlands, 2001 wurde sie verboten.
Die Pegida-Spaziergänge sorgen in Dresden für viel Aufregung – zwielichtiger Organisatoren und hanebüchener Beschimpfungen als Nazis oder Hinterwäldler zum Trotz. Das sind meine Leute in Sachsen, die mit der Ideologiekeule reflexhaft erschlagen werden sollen. Die lebenspraktischen Fragen, die sie stellen, kann man nicht mit Moralapostelei erschlagen. Zu behaupten, man stünde auf der richtigen Seite und „die anderen“ auf der falschen, ist historisierend und weltfremd. Die Leute, die Pegida starkmachten, ohne fremdenfeindlich zu sein, haben die Grenzen des Nachbau West erkannt, und es reicht ihnen, von oben herab behandelt zu werden. Sie wollen, dass Politik wach ist und Verantwortung nicht verschiebt, sei es bei Währung, Integration oder Steuern. Jede Partei muss nun zeigen, dass sie auf offener See segeln kann. Sonst wird sie wegspaziert.
■ Antje Hermenau, 50, war bis September 2014 Fraktionschefin der Grünen im Sächsischen Landtag
Der erste antimuslimische Mord in der Bundesrepublik wurde in Dresden verübt. Der damals 28 Jahre alte Alexander Wiens tötete am 1. Juli 2009 während eines Gerichtsprozesses die Apothekerin Marwa el-Sherbini.
Jahrelang fand immer im Februar der größte Neonazi-Aufmarsch Europas statt.
16. Rechtsextreme Geschichte
1882: erster Internationaler antijüdischer Kongress. 1933: erste Bücherverbrennung. 1933: Eröffnung der Ausstellung „Entartete Kunst“. Alles in Dresden. Der Dresdner Verband der NSDAP hatte nach dem in Breslau die meisten Mitglieder. Die sächsische NSDAP war die mitgliederstärkste. Fast ein Zehntel aller Parteigenossen waren Sachsen.
17. Die Forscher
In Sachsen haben die Vertreter der Extremismustheorie, die Politologen Eckhard Jesse, Uwe Backes und Werner Patzelt, eine Deutungshoheit im öffentlichen Diskurs. Extremismus ist demnach ein randständiges Phänomen, losgelöst von der demokratischen Mitte der Gesellschaft. Rassismus in dieser Mitte ist mit der Theorie schwer zu erfassen.
18. Die autoritäre Justiz
„Thomas Datt und Arndt Ginzel gebührt Anerkennung für ihre Haltung, mit der sie seit Jahren die Nachwehen aus ihren Recherchen zum ‚Sachsensumpf‘ aus- und ertragen. 2010 erging ein höchst umstrittenes Urteil: Obwohl die Artikel der beiden Freien presserechtlich unangefochten sind, wurden sie wegen Verleumdung und übler Nachrede verurteilt.“
Aus der Begründung der Jury, die Datt und Ginzel 2010 für ihre Recherchen über die Verstrickungen von Politik, Justiz und Kriminalität in Sachsen als Journalisten des Jahres auszeichnete.
19. Der Verfall der FDP
Im Herbst 2014 flogen die Liberalen mit 3,8 Prozent aus Regierung und Landtag.
Die FDP-nahe Wilhelm-Külz-Stiftung lud im November den Autor Akif Pirinçci ein. Sein „Deutschland von Sinnen: Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“ preist die Stiftung als das vielleicht „letzte Buch seiner Art, denn das meinungspolitische Zwangskorsett wird täglich enger“.
Der Sächsischen Zeitung zufolge applaudierten auf der Lesung im Hotel Holiday Inn mehrere FDP-Lokalpolitiker. Auch dabei: Pegida-Mitorganisator Siegfried Däbritz, 39, einst Stadtratskandidat der FDP in Meißen. Geschäftsführer des Hotels: Johannes Lohmeyer, bis 2013 Dresdner FDP-Kreisvorsitzender. Der frühere FDP-Stadtrat Burkhard Vester bezeichnete Pegida-Inhalte als „richtig und sinnvoll“.
20. Lagerkämpfe
Es gibt wohl keine andere Stadt in Deutschland, für die die Liebe ihrer Bewohner stärker ist. Das hat mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun. Die einst schönste Stadt Europas lag in Schutt und Asche – daran wird immer am 13. Februar erinnert. Die Dresdner sind kollektiv berührt und zeigen das. Hamburg oder Kassel waren ähnlich zerstört, nur in Dresden hat jeder die Katastrophe noch vor Augen.
Ausgerechnet dieses Bewusstsein nutzen die Pegida-Anhänger. Sie missbrauchen Dresden als Kulisse. Semperoper, Residenz, Zwinger. Orte, die auch so schön sind, weil dort internationale Schätze über Jahrhunderte gesammelt wurden. Die Türckische Cammer im Schloss präsentiert osmanische Kunst, der größte Edelstein im Grünen Gewölbe stammt aus Indien. Absurd, dass dieser Ort nun die vereint, die den Untergang des Abendlandes fürchten. Aber klar, würden sie im Umland protestieren, von wo wohl viele Demonstranten stammen, käme keiner.
■ Christine Gräfin von Brühl, 52, schrieb die „Gebrauchsanweisung für Dresden“
Es gibt Parallelen zwischen Pegida und den Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV vor zehn Jahren: Wut auf „die da oben“, Ablehnung von Parteien, der Bezug auf 1989. Das Zentrum war Magdeburg, ebenfalls eine ostdeutsche Stadt in gefühlter Randlage. Beide Proteste spielten sich vor Spaltungskonflikten großer politischer Lager ab. 2004 entstand die WASG, weil die SPD mit Hartz IV ihre Werte verraten habe. Heute ringt die CDU mit der AfD.
21. Die Staatspartei
Mit gesellschaftlichen Regungen und Protest gegen ihre Politik kann die CDU nicht umgehen. Das gilt für linken Protest – die Partei tat sich schwer, bei der großen Anti-Pegida-Demonstration die Anti-Nazi-Initiativen der Stadt mitmachen zu lassen. Das gilt aber auch für rechtsextreme Demonstrationen, jahrelang versuchten es die Konservativen mit Ignorieren oder Verbieten.
22. Meißen
Nachbarstadt. Heimat wichtiger Pegida-Organisatoren. Beispiel: Thomas Tallacker, früher CDU-Stadtrat. Jetzt: Parteiausschlussverfahren wegen rassistischer Äußerungen auf Facebook.
23. Rassismus
Dresden ist überall.
DANIEL SCHULZ, MICHAEL BARTSCH, SEBASTIAN ERB, JOHANNES GERNERT, STEFANIE SCHMIDT, EMILIA SMECHOWSKI, FELIX ZIMMERMANN