: Country ist auch keine Lösung
THEATER Becketts „Endspiel“ kennt keinen Sieger. Der Zerfall muss weitergehen. Und wenn ihn ein Floh bedroht, muss der vernichtet werden, damit nicht alles von vorn beginnt
von Andreas Schnell
Mit dem dringlichen Wunsch, es möge mit der Menschheit und dem ganzen Rest doch bitte endgültig zu Ende sein, endet das „Endspiel“ von Samuel Beckett, für das Theater Bremen im Neuen Schauspielhaus in Szene gesetzt von Frank-Patrick Steckel, der von 1978 bis 1981 Oberspielleiter am Schauspiel Bremen war und in den letzten Jahren regelmäßig als Regisseur in Bremen zu Gast war.
An Deutungen der Werke Becketts wie eben „Endspiel“ oder „Warten auf Godot“ haben sich schon Generationen die Zähne ausgebissen – ein bisschen geradezu wie die „Endspiel“-Figuren Nell und Nagg, die beiden siechenden Alten aus der Mülltonne, die ihrem eigenen Verfall hilflos zusehen müssen. Ausweglosigkeit, gewiss, das Ende allen Seins nach einer nicht genannten Katastrophe, wie sie nicht erst seit Fukushima jederzeit leicht auszumalen ist. Das alles lässt sich bei Beckett natürlich problemlos vorfinden.
Aber in der Zurschaustellung der Sinnlosigkeit erschöpft er sich eben nicht. Zum Glück. Sonst wären seine Stücke eine Qual. Sie leben nicht zuletzt von einer sarkastischen Komik und ihrer Sprache. Und eben diese Qualitäten hat Steckel in Bremen souverän herausgearbeitet. Dabei hat er in Gerhard Palder und Jan Byl zwei exzellente Schauspieler für die Hauptrollen gefunden. Palder spielt Hamm mit Bravour als senilen, mal verzweifelt keifenden, mal hasserfüllt zeternden, mal sarkastisch philosophierenden Alten. Und Jan Byl verleiht seinem Clov mit herabhängenden Mundwinkeln, die mit den Ohrenklappen seiner Mütze korrespondieren, einen geradezu physisch greifbaren Überdruss.
Hamms Eltern, die Steckel schon sehr früh abtreten und von Clov widerwillig „entsorgen“ lassen, tauchen, gespielt von Palder (Nagg) und Susanne Schrader (Nell) später immer wieder in Videoeinspielungen in Hamms Heimkino auf, was sie noch mehr zu einem Relikt einer Vergangenheit macht, in der es einmal so etwas gab wie Tandemfahrten in den Ardennen, bei Sedan (den Ersten Weltkrieg im Sinn), und Bootsfahrten auf dem Comer See. Und natürlich den Witz von der Welt und der Hose, dessen Pointe sich über den christlichen Schöpfungsmyhos lustig macht: Dieser Welt sieht man eben ohne weiteres an, dass sie in sechs Tagen zusammengeschustert wurde.
Die clownesken Züge der beiden Alten spiegeln dabei reizvoll deren in jeder Hinsicht heruntergekommene, höchst zerlumpte Variante bei den Hauptfiguren – die ihre geistigen Klimmzüge, Schattenboxereien und Pirouetten ganz folgerichtig in einem abgewetzten Zirkuszelt absolvieren. Schön auch, dass die Geschichte ein wenig entschlackt wurde. Hamm genießt bei Steckel nicht einmal mehr die Bewegungsfreiheit des Rollstuhlfahrers, sondern sitzt auf einem lediglich drehbaren Behandlungsstuhl – ein Pflegefall. Clov spielt seinem Herrn hier nur vor, dass er ihn umherschiebt – ein Tritt gegen den Stuhl simuliert die Kollision mit der Wand. Und nicht zuletzt wurde wahrscheinlich schon länger nicht mehr so gut gesprochen beim Bremer Schauspiel.
Das Ende untermalt ein Country-Song, der von verlorener Liebe singt und dabei implizit eine ländlich eingefärbte heile Welt als Sehnsuchtsort vorstellt. Natürlich vergebens. Selbst den Applaus des Publikums nehmen Palder und Byl mit Leichenbittermine entgegen. Einmal steckt Byl (oder eben Clov) uns noch die Zunge raus.
Ein gelungener Abend, der sich eher respektvoll dem Klassiker Beckett annähert. Was auch der Grund dafür sein mag, dass sich ein bisschen zu oft ein gewisser Weltschmerz vor die bitterböse Komik schiebt.
■ nächste Aufführung am Samstag, 20 Uhr, Neues Schauspielhaus