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Archiv-Artikel

Das Jahrhundert knistert mit

Der Supposé-Verlag hat Drahtspulen von Arnold Schönbergs privatem Rekorder ausgegraben und als Hörbuch herausgegeben. Ein eigensinniger Denker, porträtiert im Originalton

Dear Miss Silvers, nach einigen noch weniger erfolgreichen Anläufen mache ich nun den sechsten oder siebten Versuch, zu Ihnen zu sprechen. Ich möchte Ihnen sehr herzlich für Ihr wundervolles Geschenk danken, das Webster-Drahttonbandgerät.“ Als sich der Komponist Arnold Schönberg bei seiner Assistentin für den Apparat bedankte, den sie ihm zum 72. Geburtstag geschenkt hatte, war er noch ungeübt im Umgang mit der neuen Technik. Es schnauft und raschelt in dieser Aufzeichnung von 1948, als hätte der Erfinder der Zwölftonmusik vor Eifer mit dem Mikrofon gestikuliert.

Der Supposé-Verlag hat diese privaten Originaltöne, zusammen mit Mitschnitten aus Rundfunkvorträgen und Interviews, als Hörbuch herausgegeben und durch ein umfangreiches Booklet mit Transkriptionen, Erläuterungen und Bildern ergänzt. Die meisten Dokumente stammen aus Schönbergs letzten drei Lebensjahren von 1948 bis 1951, als er nach seiner Emigration mit seiner Familie in Kalifornien lebte.

Offenbar fand er großen Gefallen an seinem koffergroßen Rekorder, denn er benutzte ihn nicht nur als Diktiergerät, sondern nahm damit in seinem letzten Lebensjahr auch kleine Geschichten auf. Seine Stimme klingt schon sehr alt, und ein halbes Jahrhundert knistert mit, wenn er herzliche Briefe an Freunde diktiert oder politische Satiren erzählt.

Ganz anders hört sich sein Sprechduktus in den frühen 30er-Jahren an, als er sich in Radiovorträgen mit seinen Kritikern oder mit den Massenmedien auseinandersetzte. „Die Macht der Mehrheit hat irgendwo eine Grenze“, wetterte er harsch in einem Radiovortrag von 1931, und man hört das aufrechte Rückgrat, wenn er fordert: „Ich mache diesem Unterhaltungsdelirium gegenüber das Recht einer Minderheit geltend: Man muss auch die notwendigen Dinge verbreiten können, nicht bloß die überflüssigen. Und die Tätigkeit der Höhlenforscher, Nordpolfahrer, Ozeanflieger gehört zu diesen Notwendigkeiten.“

Schönberg, der mit der Aufführung seiner Werke immer wieder Skandale auslöste, muss sich als Erforscher atonaler Klangwelten oft einsam vorgekommen sein. „Ich war in ein Meer gefallen, in ein Meer aus überhitztem Wasser, das nicht nur meine Haut, sondern mein Innerstes zu verbrennen drohte. Und ich konnte nicht schwimmen – jedenfalls nicht mit der Flut, ich konnte nur dagegen anschwimmen, ob mich dies nun retten würde oder nicht. Ich lebte immer im Ausnahmezustand.“ So beschreibt er seine Situation in einer Rede von 1947. Wenn er sich mitten im Interview ans Klavier setzt, um seine Gedanken hörbar zu machen, wird die Leidenschaft spürbar, mit der er versuchte, seine Ideen zu vermitteln. „Trude, mach keinen Lärm, sonst wirst du aufgenommen“, ruft er in wienerisch gefärbtem Englisch seiner Frau zu, bevor er darüber nachdenkt, was für ihn Fortschritt in der Musikgeschichte bedeutet. Eine Lebhaftigkeit, die gar nicht zum Bild des späten Schönberg, des pedantischen Intellektuellen, passt, der sich nur noch im Korsett der eigenen Regeln bewegte.

Auch wenn dieses Hörbuch in der Reihe „Wissenschaftsgeschichte im Originalton“ erscheint: Reizvoll daran ist der unwissenschaftliche, sinnliche Zugang zu diesem eigenwilligen Denker. Es ist eindrücklich und berührend, zu hören, wie sich seine Sprechweise in den späten Aufnahmen langsam verwischt, ohne die gedankliche Klarheit zu verlieren. Mit welchem Eifer er seine Mission bis zum Schluss verfolgte, dokumentiert ein Briefdiktat vom März 1951: Einige Monate vor seinem Tod ruft er seinem Sohn Georg drängend durchs Mikrofon zu, wie er die Vorlagen seiner Partituren für die „Universal Edition“ anzufertigen habe. Dazwischen fragt er, ohne den Tonfall zu ändern, ob das Wäschepaket auch angekommen sei, und schließt dann unvermittelt: „Ich muss heute noch sehr viele Briefe schreiben, also dir und deiner Frau herzliche Grüße, dein Arnold.“ IRENE GRÜTER

Arnold Schönberg: „Dear Miss Silver“. Supposé, Berlin 2007, 156 Min., 34,80 Euro