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Archiv-Artikel

Das sind doch wir

Thomas Glavinic beschreibt hochkomisch unseren fiesen Alltag – „Das bin doch ich“

VON ALEXANDER CAMMANN

Schaffe ich es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises? Unter die ersten sechs? Da muss ich es vorher erst mal unter die ersten zwanzig schafen, also schaffen, also auf die Longlist. Wäre schön, denn ein Erfolg kann mich materiell weitgehend sorgenfrei machen.“ Solche Grübeleien ertränkt der Held in Thomas Glavinic’ Roman mit ein paar White Russians. Werner lädt ihn prompt zu einigen B-52 ein: „Langsam wird es rund um mich finster.“ Die Seiten des Romans riechen ziemlich oft nach Alkohol.

Ein in Wien lebender Autor, dessen Buch „Die Arbeit der Nacht“ heißt und dessen Schriftstellerfreund Daniel ihm per SMS die ständig wachsenden Verkaufszahlen seines Romans „Die Vermessung der Welt“ durchgibt: Unverkennbar handelt es sich bei Glavinic’ schreibendem Ich-Erzähler um ein Alter Ego des Autors, dessen von der Kritik hoch gelobter Roman „Die Arbeit der Nacht“ im vergangenen Jahr erschien. Der informierte Leser weiß bereits, was der Held erst am Morgen nach seiner Buchvorstellung, anschließend durchzechter Nacht, schlaflos betrunken und mit Frühstücksbier in der Hand am heimischen Computer erfährt: „Die Arbeit der Nacht“ hat es nicht einmal auf die Longlist des Buchpreises 2006 geschafft.

Ein Jahr später hat die wiedergutmachungswillige Jury dem amüsanten Flehen des Autors nicht mehr widerstehen können, zumal die diesjährige Juryvorsitzende in Glavinic’ neuem Roman ihren Auftritt als anonyme „FAZ-Kritikerin“ hat. „Sie ist elegant und attraktiv und auch sehr klug. Mir gefällt ihr Gesicht. Schon wieder so eines, dem man ansieht, dass seine Besitzerin denkt.“ „Das bin doch ich“ schaffte es jetzt also auf die Shortlist und am 8. Oktober wird Glavinic endlich die beim letzten Mal erträumte Preisverleihung erleben: „Ich stelle mir vor, wie es wäre, mit ‚Die Arbeit der Nacht‘ in diesem Saal zu sitzen und zu warten, ob ich es bin.“

Die in die Realität erweiterte Dramaturgie solcher offen präsentierten Selbstreferenzialität ist für sich genommen bereits ein schönes Kunstwerk. Man muss der mitspielfähigen Jury zu ihrem ästhetischen Sinn gratulieren; sie hat sich mit der selbstironischen Nominierung auf jenes Ineinandergreifen von künstlerischer Fiktion und äußerer Welt eingelassen.

Zunächst also ist der Roman eine Literaturbetriebssatire. Viele haben ihren Auftritt: Glavinic’ Agentin Karin Graf, die das Manuskript von „Die Arbeit der Nacht“ bei Hanser unterbringt, Kritiker Denis Scheck („ein Knoten von Gegebenheiten“, so Freund Daniel im Trosttelefonat), der anonyme, unverkennbare „größte Starautor der westlichen Welt“, Jonathan Frantzen natürlich. Und wer sich in der Wiener Kulturschickeria auskennt, trifft im Buch zahllose seiner Gestalten und Gespenster. „Hallo, Eiergespenst, wer sagt Sau zum Hengst?“, begrüßt unser Held am Telefon irrtümlich den ihm persönlich unbekannten Kollegen Robert Menasse; es folgt die Verwechslung aufklärendes Stammeln. Ob Dichtung oder Wahrheit: Für Betriebsnudeln und all jene, die es gerne wären, ist der Roman eine hochkomische Pflichtlektüre.

Doch wer wie die FR darin nur eine „läppische, ausschließlich dem inner circle zugängliche“ Satire zu entdecken vermag, dem ist die zentrale Dimension verborgen geblieben. Denn der dauerhypochondrische Held präsentiert sich in angenehmer Hemmungslosigkeit als einer von uns. Er hasst Hunde, wird durch seinen zwanzig Monate alten Sohn Stanislaus gestört, hat panische Angst vor dem Fliegen und Hodenkrebs, leidet unter Haarausfall und seinem schlechten Englisch, im Gegensatz zu Freund Daniel, der mit Frantzen über das Wesen der Phrase parlieren kann. „In mir tobt ständig etwas“: Er betrinkt sich gerne sinnlos, fühlt sich von Feinden und den Tücken des Lebens an sich umstellt und flüchtet jeden Mittag zum gleichen Inder um die Ecke. Den äußeren Rahmen – von der Fertigstellung des Manuskripts bis zum Erscheinungstag der „Arbeit der Nacht“ – füllt Glavinic mit einem irrwitzigen Reigen grotesker Szenen aus dem Leben eines Neurotikers: sinnlose Filmjurysitzungen, ein Mittagessen mit Exfußballstar Herbert Prohaska, Skiunfälle und Zahnarztsitzungen, Telefoninterviews zu künstlichen Brüsten und Familienfeiern – unterbrochen von Daniels SMS-Ratschlägen und Mutters Fragen: „Wann schreibst denn du mal so was?“ Um 7.000 Euro ist das Konto auch überzogen, wie die geduldige Frau Else sanft bemerkt. Volltrunken löscht der wütende Held da schon mal sämtliche Literaturbetriebsnummern in seinem Handy. Das Leben ist ein einziges Labyrinth, aus dem es selten Auswege gibt. Und natürlich wird Daniel irgendwo zum besten Autor seiner Generation erklärt, was den Erzähler zusammenzucken lässt: „Das bin doch ich!“

Am 8. Oktober ist es so weit. Diesmal dürfte Freund Daniels damals falsche, heute bereits halb eingetroffene Prophezeiung stimmen: „Den Preis kriegst du nicht, aber du kommst auf die Shortlist. Unter die letzten sechs kommst du, auch wenn dann Endstation ist und sie den Preis jemandem geben, auf den sich alle einigen können.“ Lesenswert ist Thomas Glavinic’ unterhaltsame Höllenfahrt durch die Abgründe unsere Alltagswelt allemal. Sie offenbart uns auf jeder Seite: Das sind doch wir.

Thomas Glavinic: „Das bin doch ich“. Hanser, München 2007, 238 Seiten, 19,90 Euro