: Feilschen ist unerwünscht
SECONDHAND Im Hamburger Kaufhaus Stilbruch gibt es die Fundstücke zu kaufen, die man früher vom Sperrmüll retten musste. Ein Versuch, damit eine Wohnung einzurichten
Günstige Möbel und Haushaltsgeräte gibt es oft gegen den einmaligen Nachweis eines geringen Einkommens. Die Grenzwerte sind unterschiedlich; wer Hartz IV, Bafög oder Rente bezieht, hat aber gute Chancen.
■ Die Möbelhilfen in der Dierksstraße 13–15 (Wilhelmsburg) oder der Buxtehuder Straße 9a (Harburg) verkaufen auch Haushaltsgeräte, Bilder oder Bücher.
■ Der Secondhand-Laden Spenda Bel bietet gegen geringen Aufpreis einen Liefer- und Änderungsservice. Einer der acht Standorte liegt zentral in der Feldstraße 37.
■ Ein Tausch- und Verschenkmarkt findet sich online unter http://stilbruch.internet-verschenkmarkt.de oder bei eBay unter http://kleinanzeigen.ebay.de
VON LEONIE BRAND
Halb bedeckt von einem weißen Hartplastikhelm im Feuerwehrstil ist der Totenschädel, der im Schaufenster von Stilbruch auf der Heizung liegt. Ich frage mich, ob ich hier richtig bin. Etwas weiter rechts steht ein Schild mit der Aufschrift „Dekoration nicht zu verkaufen!“. Irritiert, aber erst mal beruhigt, wage ich mich in den riesigen Gebäudekomplex in der Ruhrstraße.
Vor einem Jahr bin ich nach Hamburg gezogen, damals wurde mir Stilbruch empfohlen. Da gebe es günstige Secondhand-Möbel, falls ich mal was anderes als Ikea sehen wolle. Bis heute steht kein einziger Stuhl in meiner Wohnung, dafür aber Expedit, Hämna und Co. Nun will ich wieder umziehen und Stilbruch soll seine Chance bekommen.
Am Eingang des Ladens erwartet mich eine kleine Empfangsecke. Ein gläserner Couchtisch für 18 Euro wird dort umrahmt von einer roten Sofagarnitur für 325 Euro und einem massiven Holzschrank für 425 Euro. Günstig stelle ich mir anders vor, doch die Spanne zwischen 18 und 425 Euro macht mir Hoffnung.
In der 1.800 Quadratmeter großen Altonaer Lagerhalle gerate ich erst mal so richtig in Flohmarktstimmung. Tassen, Teller, Teekännchen, billig aussehender Gold- und sogar Weihnachtsschmuck sind auf den Tischen ausgebreitet. Ich muss mich auf meine Aufgabe konzentrieren: Wohnung einrichten. Hinter dem Kleinkram kommt eine lange Reihe von Sesseln und Sofas in den verschiedensten Brauntönen oder Blumenmustern. Die meisten kosten zwar nur etwa 100 Euro, skeptisch bin ich trotzdem. Wer ein Jahr ohne Stuhl auskam, muss jetzt kein hässliches Sofa kaufen.
Ein Sozialkaufhaus will Stilbruch explizit nicht sein. Auslöser für die Gründungsidee war die alltägliche Frage auf Hamburgs Recyclinghöfen: Wohin mit den guten Sachen? Der Versuch, gut erhaltene Möbel oder noch funktionstüchtige Elektrogeräte an Bedürftige zu spenden, ist daran gescheitert, dass die Bedürftigen sich allzu oft als geschäftstüchtige Händler herausstellten. Vor zehn Jahren kam dann die Idee auf, die Sachen zentral zu sammeln und sie günstig zum Verkauf anzubieten. Die Mitarbeiter sind ehemalige Arbeitslose, die ein Beschäftigungsträger vermittelt. 2001 entstand so der erste Laden in Wandsbek, fünf Jahre später die Filiale in Altona.
In der Reihe mit den Tischen werde ich erstmals fündig. Ein dunkler, antik anmutender Schreibtisch auf Löwenfüßen, in den dunkelgrünes Leder mit goldenem Schnörkelrand eingelassen ist, begeistert mich sofort. Typisch, dass ich mir das teuerste aussuche: 225 Euro steht auf dem Schild, und ich streiche das gute Stück aus meinen Gedanken. Ich freunde mich lieber mit einem deutlich schlichteren Exemplar für 25 Euro an – um dann festzustellen, dass es bei meiner zweiten Schlenderrunde schon nicht mehr da ist.
Die weit auseinander liegenden Preise werden von den Mitarbeitern nach Erfahrungswerten festgelegt. Feilschen ist unerwünscht, dafür sei auch keine Zeit, sagt Roman Hottgenroth, Betriebsleiter von Stilbruch. Insgesamt kommen täglich sieben bis acht LKWs voll neuer Sachen rein, die untergebracht werden müssen. Laut Hottgenroth bringt die Stadtreinigung, deren Tochterunternehmen Stilbruch ist, etwa 80 Prozent davon vom Sperrmüll mit. Der Rest stammt von Privatleuten oder aus Haushaltsauflösungen.
Helmut Wallmeier schaut regelmäßig vorbei, etwa einmal im Monat, sagt er. Über Möbel im Sechziger-Jahre-Stil würde er sich freuen, hatte bis jetzt aber kein Glück. „Eigentlich müsste ich jeden Tag herkommen, die guten Sachen sind ja immer schnell wieder weg“, sagt der 41-Jährige. Platten oder Elektrogeräte hat er schon mitgenommen, die seien sehr günstig. In der Tat finde ich gleich um die Ecke eine Mikrowelle für neun Euro, einen großen Kühlschrank für 25 Euro und eine Waschmaschine für 75 Euro, immerhin eine „Öko-Lavamat“, das klingt gut. Alle Geräte sind mit kleinen runden Aufklebern versehen, auf denen „elektrisch geprüft“ steht.
Auf meiner Einkaufsliste stehen jetzt Gegenstände für gerade mal 105 Euro, nur sind darunter leider keine Möbel. Die Auswahl wird dem Stilbruch-Motto „Kaufhaus für Modernes von gestern“ eben sehr gerecht. Bis ich in Hamburg eine Wohnung gefunden habe, ist ja vielleicht was für mich dabei.
Stilbruch: Ruhrstraße 51 und Helbingstraße 63, geöffnet Montag bis Freitag 10 bis 18 Uhr, Samstag 10 bis 15 Uhr, www.stilbruch.info