: „Es ist wie eine Klassenfeier“
TENNIS Michael Chang erklärt, warum sein Schützling Kei Nishikori auch bei den Australian Open so erfolgreich ist und warum viele Profis den Rat von Exspielern suchen
■ 42, wurde mit 17 Jahren als jüngster Gewinner eines Grand-Slam-Turniers (French Open) weltweit bekannt. Es blieb allerdings sein größter Erfolg. Seit Beginn des Jahres 2014 betreut er als Coach Kei Nishikori.
INTERVIEW JÖRG ALLMEROTH
taz: Herr Chang, Sie haben außergewöhnlich erfolgreiche Monate mit Ihrem Schützling Kei Nishikori hinter sich und stehen nun auch in Melbourne im Viertelfinale. Was ist ihr Geheimnis?
Michael Chang: Spitzentennis ist vor allem auch eins: ein Kampf der Köpfe. Wer hat den stärkeren Willen, den stärkeren Geist. Und hier hat Kei gewaltige Fortschritte gemacht. Er hat früher zu oft an sich gezweifelt, hat sich nicht bedingungslos vertraut. Das ist jetzt ganz anders. Er will nicht nur gut mitspielen mit den Großen, auf Augenhöhe sein mit ihnen. Sondern er geht raus auf den Platz mit der Haltung und dem Vorsatz: Die kann ich schlagen.
Sie haben einmal erwähnt, dass Nishikori früher fast wie ein Fan über Roger Federer sprach – und Sie das erheblich störte.
Wir wissen alle, was Roger Federer im Tennis erreicht hat und was er fürs Tennis bedeutet. Aber für einen Profispieler gibt es natürlich Grenzen, denn dieser Federer ist mein Gegner. Wenn ich mit ihm auf den Platz gehe, will ich gewinnen – aber dafür muss ich auch ein professionelles Verhältnis zu ihm haben. Das hat Kei dann auch verstanden.
Diesen Glauben an sich selbst hat Nishikori beim Finaleinzug in New York erstmals so richtig ausgestrahlt, es wirkte wie ein Durchbruch.
Es machte mich einfach glücklich, ihn so spielen zu sehen. Da stand jemand auf dem Platz, der eine Siegermentalität verkörperte, der auch nicht im Geringsten zurückzuckte gegen einen Nummer-1-Spieler wie Djokovic. Wie gesagt: Die absoluten Topleute erkennen sofort Schwächen. Die merken sofort, wenn einer nicht mit dem letzten Biss, mit der letzten Selbstgewissheit spielt.
Sie sind nicht der einzige namhafte Coach, der in diesen Tagen mit einem Spitzenspieler unterwegs ist. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Sehr positiv. Ich denke, dass viele Topspieler gesehen haben, dass die Unterschiede in der Weltklasse nicht so riesengroß sind – und dass man sich das gewisse Extra, den Bonus durch die Expertise ehemaliger Spieler aus der Spitze verschaffen kann. Kei weiß, dass ich eigentlich alles, was er im Moment erlebt, auch schon erlebt habe. Und ich treffe die ehemaligen Kollegen ganz gern, es ist wie eine Klassenfeier alter Schulkameraden.
Wie schwer fällt es Ihnen eigentlich, diese Matches von der Tribüne aus zu verfolgen?
Man spielt natürlich eine Rolle, man ist eigentlich ein Schauspieler, einer, der ein Pokerface aufsetzt. Man ist nervös, aufgeregt, muss aber Ruhe ausstrahlen. Außerdem sieht man so viele Dinge, die einem selbst auf dem Platz verborgen bleiben – in der Hitze eines Matchs. Das will man natürlich alles sofort und gleichzeitig loswerden, muss sich aber doch zurückhalten.
Viele sprechen über die Ähnlichkeiten im Spiel von Nishikori und dem früheren Michael Chang.
Nun gut, es gibt gewisse Überschneidungen, weil wir beide gezwungen sind, einen Weg gegen körperlich größere und aufschlagstärkere Gegner zu finden. Aber es gibt auch deutliche Unterschiede in unserem Stil. Man sollte das Thema nicht überstrapazieren.
Wie einfach oder schwer war es eigentlich für Sie, auf die Tennistour zurückzukehren?
Es war nicht einfach so, dass ich bedingungslos Ja sagen konnte. Schließlich habe ich eine Familie, meine Frau, meine zwei Kinder – und ich weiß, wie schwer das Leben auf der Tour ist. Ich akzeptierte das Angebot von Kei nur, als zwei Dinge klar waren. Dass meine Frau mich dabei unterstützte und mit auf den Reisen dabei sein würde. Und dass Kei keine Probleme damit haben würde. Das war nicht der Fall, für ihn war das okay.