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Archiv-Artikel

Innere Unsicherheit in der großen Koalition

Stimmung auf dem Tiefpunkt: Die SPD regt sich weiter über die Unionsminister Jung und Schäuble auf. Müntefering will noch „nicht zur Tagesordnung übergehen“. Die Kanzlerin soll ihre Parteifreunde gerügt haben – aber nur intern

BERLIN ap/dpa/taz ■ Auch nach dem Gespräch zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und führenden Sozialdemokraten kommt die große Koalition nicht zur Ruhe. Spitzenpolitiker von SPD und Union warfen sich am Wochenende gegenseitig vor, für die jüngsten Turbulenzen verantwortlich zu sein. Die SPD schoss sich zunehmend auf Merkel ein, die mehr Führungsstärke zeigen und sich in Streitfragen klarer positionieren müsse.

CDU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach schimpfte, die SPD mache Oppositionsarbeit in der Regierung. Die Stimmung in der Koalition habe einen Tiefpunkt erreicht, der „nicht mehr unterschreitbar“ sei. Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) machte klar, dass der Konflikt über die innere Sicherheit noch nicht abgehakt sei. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck zeigte sich „erstaunt, wie die Kanzlerin Debatten laufen lässt“. Der Sprecher des rechten Seeheimer Kreises in der SPD, Johannes Kahrs, nannte es ein Problem, dass Merkel „nicht führt“.

Die SPD kritisiert Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) weiter für seine Warnung vor unabwendbaren Terroranschlägen mit nuklearem Material. Auch die Äußerungen von Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) zum Abschuss gekaperter Passagierflugzeuge vom vorletzten Wochenende stoßen bei der SPD auf anhaltende Kritik. Am Freitag hatte Merkel versucht, im direkten Gespräch mit Müntefering und SPD-Chef Kurt Beck die Wogen zu glätten – bisher aber ohne sichtbaren Erfolg.

Öffentlich bezog Merkel bis Sonntagnachmittag nicht Stellung zu der Kontroverse. Intern soll sie laut einem Spiegel-Bericht jedoch Jung und Schäuble kritisiert haben. Im CDU-Präsidium habe sie vergangenen Montag gesagt, es wäre besser gewesen, den Grünen mit ihrem Streit über die Afghanistan-Politik die Schlagzeilen des Wochenendes zu überlassen. Auch habe sich Merkel darüber beklagt, dass sie von den umstrittenen Äußerungen der beiden Minister erst aus den Medien erfahren habe und nicht vorab informiert worden sei. In einer späteren Unionsrunde habe sie die „Hoffnung und Erwartung“ geäußert, dass es künftig eine besser abgestimmte Kommunikation gebe.

Struck forderte Schäuble und Jung auf, im Umgang mit der SPD mehr Feingefühl zu zeigen. „Niemand darf sich wundern, dass die Wochenendinterviews von zwei CDU-Ministern unsere Leute provoziert haben“, sagte er der Berliner Zeitung. Wenn die beiden CDU-Politiker künftig die Positionen der SPD berücksichtigten, „können wir zu einem vernünftigen Arbeitsklima zurückkehren“. Er hoffe, dass Merkel ihren Ministern klarmache, „dass man so nicht mit den Sorgen der Menschen um terroristische Gefahren umgehen darf“.

Müntefering betrachtet den Koalitionsstreit als noch nicht erledigt. „Da kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen“, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Das Thema Sicherheit sei zu ernst, als dass es „Spielmaterial für öffentliche parteitaktische Manöver“ sein könne.