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Archiv-Artikel

Abschied vom Silberbeil

Die Wahrheit-Woche zu Ehren Edmund Stoibers: Bayerns letzter Großer geht (Teil 2)

Was wahr war, bleibt wahr. Und was bleibt, ist wahr. „Was bleibt, ist der Begriff des Sommer-Stoibers“, sagt Gerhard Polt. Es bleibt aber auch der Begriff des Stoiber-Sommers als Ausdruck der ewig währenden Perioden des weißblauen Sonnenscheins und des gerstengelben Himmels, der rüstigen Milchkühe und der reißfesten Lederhosen.

Mancher im Lande fragt sich dessen ungeachtet, was aus Dr. Edmund Stoiber, der im Januar 2007 in einem dreißigtägigen schmutzigen Krieg von Prof. Pauli, Papst Huber und seinem ehemaligen lutherischen Günstling Beckstein aus den Ämtern gejagt ward, denn nun werden soll und wird. Noch bevor EU-Kommissionspräsident Barroso Dr. Stoiber zum ehrenamtlichen Leiter einer Arbeitsgruppe zum Bürokratieabbau ernannte, noch bevor ruchbar wurde, Edmund Stoiber könnte demnächst den Ausbau des Satellitennavigationssystems Galileo in die Hand nehmen, als offizieller Botschafter für die Bewerbung Münchens um die Olympischen Winterspiele 2018 engagiert und von Dieter Bohlen in der Band Original Bavarian Jodeling zum neuen Megapopstar aufgebaut werden, moserte der deutsche „Top-Headhunter“ Dieter Rickert in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung herum, Stoiber habe „keine Ahnung davon, wie es in einem Unternehmen wirklich zugeht“. Er „halte Stoiber“ obendrein „für einen total fantasielosen Zeitgenossen“, fuhr Rickert fort, „soziale Kompetenz spreche ich ihm auch ab“, Stoiber sei „der Inbegriff des engstirnigen Beamtentypus“. „Stoiber hat weder fachlich Ahnung noch Charisma“, schloss Rickert und prognostizierte, der gefallene Titan werde höchstens „Schatzmeister bei den Gebirgsschützen“.

Nein, Häme und Herablassung sind der bitteren Stunde billigste Haltungen. Immerhin kürte der Hessische Rundfunk Edmund Stoiber im Rückblick auf die grausamen Tage und Nächte von Wildbad Kreuth zum „moralischen Sieger“, und der SWR kam zu dem Schluss: „Er ist der König der Herzen geworden.“ Und selbst die Hohepriesterin des Protestantismus und Purismus, die Pommerin Angela Merkel, ließ kürzlich gegenüber dem regierungsamtlichen Friseusenfachblatt Bunte herzhaft-herzlich verlauten: „Ich werde Edmund Stoiber vermissen!“

Gleichwohl, unbeantwortet bleibt trotz Stoibers „Heimkehr ins Walhall der Akten“ (Süddeutsche Zeitung) zu Brüssel die Frage, was dieses Monster der Weltpolitik, dieses Schwergewicht der politischen Weichenstellung, dieser Brillantdeutsche par excellence in Zukunft den lieben, langen und langwierigen Tag mit sich anstellen wird. Exzessives Taschenbillard scheidet aus ethischen und familienmoralischen Gründen aus. Wird Stoiber stattdessen den Kampf gegen das Nacktbaden in der Pupplinger Au, den er als junger Gigant der Lokalpolitik ehedem mit Inbrunst führte, wieder aufnehmen und aufflammen lassen? Oder wieder öfter beim Katholischen Männerverein Tuntenhausen vorbeischauen, wo er früher, als CSU-Generalsekretär und dann bayerischer Innenminister, um Gottes bayerischen Beistand gebeten und für denselben sogar gebetet hatte?

Gewiss, das alles sind „mögliche Spekulationen“ (Erwin Huber), und ob, wie es Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung prophezeit, Dr. Edmund Stoiber künftig „ein Kompetenz- und Exzellenzzentrum sein“ wird, muss ebenso dahingestellt bleiben. Sicher ist, dass der Ex-Ministerpräsident in spe am 2. Oktober im Münchner Hofgarten von der heiligen deutschen Bundes- und Reichswehr mit einem Großen Zapfenstreich und Arschgeigenmarsch verabschiedet werden wird, und danach wird er sich der forciert gepflegten Blumenhinrichtung und dem Schüren der lodernden Grillglut widmen, denn „wenn ich einmal überzeugt bin“, bekannte Stoiber, „dann gehe ich bis zur Endkonsequenz“.

„Er isst Obst, er braucht nur viereinhalb Stunden Schlaf, morgens steigt er auf seinen Hometrainer“, kniete der steinkluge Stern mal vor Stoiber nieder. Nach dem Besteigen seines Hometrainers wird Stoiber fürderhin jeden Werktagmorgen von 7.30 bis 9 Uhr auf 3sat die Sendung „Alpenpanorama“ schauen. Er wird die Matten betrachten und die Gipfel achten. Er wird der Musi lauschen und die Wolken ehren. Er wird den Gebirgsschützenhut aufsetzen und, passionierter Poet, der er ist, zur Feder greifen. Und sein Vermächtnis werden sein holde Lieder, die er zueignet den Völkern dieser Erde und den Freunden, die er einst schrägte: dem Waigel, dem Gauweiler, dem Sauter Alfred.

Und es wird erklingen aus ihren Mündern laut und liebreizend: „Ans Kreuz genagelt hast du uns, / Uns rasch entzogen deine Gunst. / Wir waren platt und echt am Ende. / Doch jetzt erwarten wir die Wende. // Edmund, wir verzeihen dir, / Trankst kein Wein, trankst kein Bier, / Warst ein schneidend blondes Beil, / Doch nun spendest du uns Heil!“

Ad infinitum et da capo.

JÜRGEN ROTH