: Ein Gentleman mit Prinzipien
Kaum ein Politiker ist unter den Palästinensern weniger umstritten als Haidar Abdel Schafi. Und kaum ein palästinensischer Politiker hat so wenig wie er sein Fähnchen nach dem Wind gedreht. Der hagere 88-Jährige mit den unbändigen Augenbrauen, der die palästinensische Delegation 1991 zur ersten Nahost-Friedenskonferenz nach Madrid führte, erlag Dienstag einem Krebsleiden.
Kompromisslos verurteilte Abdel Schafi das von Expalästinenserpräsident Jassir Arafat gestiftete Chaos und den israelischen Siedlungsbau. Noch vor der Unterzeichnung der „Osloer Prinzipienerklärung“ prophezeite er, dass der Friedensprozess misslingen werde, wenn der Bau der Siedlungen nicht gestoppt werde.
Mit leiser Stimme zog der „Gentleman der alten Schule“, wie ihn Hanan Aschrawi, Delegationssprecherin in Madrid, einst nannte, seine Zuhörer in den Bann. Vor allem im Gazastreifen, wo er 1919 zur Welt kam und bis zum Schluss lebte, genoss der strikt weltliche und unabhängige frühere Parlamentsabgeordnete hohes Ansehen bei allen Fraktionen.
Schwer zu sagen, ob er durch sein Enagement als Arzt oder als Politiker so populär wurde. Im Jahr 1972 gründete er den Roten Halbmond (Pendant zum Roten Kreuz), wo sich Palästinenser kostenlos medizinisch behandeln lassen können.
Bei den Israelis, die 1956 kurzfristig den Gazastreifen besetzt hielten, zog er sich früh den Ruf eines Störenfriedes zu, weil er sich weigerte, unter ihnen zu arbeiten. Nach dem Sechstagekrieg 1967 landete der als Sympathisant der kommunistischen Volksfront zur Befreiung Palästinas geltende Arzt erstmals hinter Gittern. In einem Interview vor vier Jahren rechtfertigte Abdel Schafi die Intifada, allerdings sollte der Widerstand in veränderter Form geführt werden. „Unsere Militäroperationen müssen strikten Verteidigungscharakter haben“, sagte er. „Wir haben in Tel Aviv nichts verloren.“
Ungeachtet seiner großen Popularität, die ihn 1996 mit den meisten Stimmen als Unabhängigen ins Parlament einziehen ließ, blieb Abdel Schafis politischer Einfluss begrenzt. Schon ein Jahr später kündigte er seinen Rücktritt an, weil er unter Arafat als Abgeordneter nichts ausrichten könne. Der prinzipientreue Abdel Schafi war damit der erste Arafat-Kritiker, der diese Konsequenz zog.
Seinen Kampf für Demokratie und eine nationale Einheit führte er fortan bei Konferenzen und in Diskussionsforen weiter. „Es geht weder die USA noch Europa etwas an, wie wir unsere Angelegenheiten regeln. Eine Nationale Einheitsregierung zu bilden, ist allein unsere Privatsache.“ Abdel Schafi hinterlässt eine Frau und vier Kinder. SUSANNE KNAUL