: Verdacht auf Verdrängung
MIETER I Auch in Wedding und Moabit könnte es eines Tages Kieze geben, die vor all zu großen Auswüchsen der Gentrifizierungswelle geschützt sind – doch das wird dauern
VON RAINER BALCEROWIAK
In einigen Gebieten von Moabit und Wedding könnten 2016 Milieuschutzsatzungen erlassen werden. Das geht aus dem von der Landesweiten Planungsgesellschaft (LPG) im Auftrag des Bezirksamts Mitte erstellten „Grobscreening“ hervor. Es wurde Mittwochabend bei einer öffentlichen Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) vorgestellt. „Das wurde auch höchste Zeit“, war die spontane Reaktion bei vielen der zahlreich anwesenden Mitstreiter von Mietergruppen.
Erst mal: Untersuchungen
Untersucht wurden alle Wohnquartiere des Bezirks. Parameter waren dabei das Aufwertungspotenzial durch Modernisierungen und Immobilienverkäufe, die Wohnungsmarktentwicklung und die daraus resultierenden Gefahren für die soziale Zusammensetzung der Gebiete. Durch Mietsprünge und Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen sind besonders Geringverdiener und Transferleistungsempfänger von Verdrängung bedroht. Große Teile von 12 der insgesamt 41 Planungsräume in Mitte stufen die Stadtplaner als „Verdachtsgebiete“ ein: Hier sollen weitere, blockgenaue Untersuchungen zur Wohn- und Einkommenssituation ermitteln, ob die Voraussetzungen für den Erlass von Milieuschutzsatzungen tatsächlich vorliegen. Betroffen sind rund 90.000 Einwohner.
In Moabit geht es um das Areal nördlich der Turm- und Huttenstraße, im Wedding um den Kiez westlich der Reinickendorfer Straße. In drei weiteren Gebieten – Soldiner Kiez, Reinickendorfer Straße-Ost, Tiergarten-Süd – soll die Entwicklung zunächst weiter beobachtet werden.
Der für Stadtentwicklung in Mitte zuständige Stadtrat Carsten Spallek (CDU) kündigte bei der Ausschusssitzung an, die Aufträge für die Feinuntersuchungen zügig auszuschreiben. Mit Ergebnissen könne dann im vierten Quartal dieses Jahres gerechnet werden, der Erlass der Satzungen wäre dann im Frühjahr 2016 möglich.
Keine schnelle Prüfung
Dabei müsse Gründlichkeit vor Schnelligkeit gehen, damit die Satzungen rechtssicher seien und nicht von betroffenen Hauseigentümers angefochten werden könnten. „Wir werden das jetzt zielstrebig anpacken“, versicherte Spallek, der in der Vergangenheit viel Kritik für seine Untätigkeit in dieser Frage einstecken musste.
Durch Milieuschutz können unter anderem Wohnungszusammenlegungen, Luxusmodernisierungen und künftig auch die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen untersagt werden. In Berlin gibt es derzeit 21 Erhaltungsgebiete in vier Bezirken, weitere befinden sich in Vorbereitung. „Schutzrechte einzelner Mieter lassen sich mit diesem Instrument allerdings nicht durchsetzen“, dämpfte Roland Schröder, Geschäftsführer der Landesweiten Planungsgesellschaft (LPG), allzu hoch gesteckte Erwartungen.
Örtliche Initiativen wie der Moabiter „Runde Tisch gegen Gentrifizierung“ reagierten dennoch mit verhaltener Erleichterung auf die Ankündigung. Denn jahrelang hatte sich das Bezirksamt trotz entsprechender Voten der BVV geweigert, das Thema aufzugreifen. Dabei ist der Verdrängungsdruck in vielen Bereichen des Bezirks offensichtlich, die prozentualen Steigerungen bei Neuvermietungen gehören zu den höchsten in Berlin.
Auch Immobilienverbände schätzen Moabit und Wedding wegen der Nähe zum Stadtzentrum als künftige „Hotspots“ ein. Dabei spielt auch die Ansiedlung neuer Behörden, wie zum Beispiel der Neubau des Bundesnachrichtendienstes an der Chausseestraße, eine Rolle.
Auf einer vom Runden Tisch organisierten Konferenz zum Thema Verdrängung im Juni 2013 versprachen Bezirkspolitiker erstmals, Milieuschutzsatzungen ernsthaft zu prüfen. Unterstützung kam vom damaligen Stadtentwicklungsstaatssekretär Ephraim Gothe. Mit dem am Mittwoch vorgelegten Grobscreening sind dieser Ankündigung endlich Taten gefolgt.