: Mindestlohn für’s Staatssäckel
SOZIALPOLITIK Rund 70 Milliarden Euro mehr Steuern und 35 Milliarden gesparter Sozialausgaben würde der Mindestlohn von 8, 50 Euro bringen, sagt die Prognos AG. Böhnsen setzt auf eine SPD-Mehrheit
In Europa haben 25 von 27 Ländern einen gesetzlichen Mindestlohn, Deutschland werde sich kaum auf Dauer entziehen können, sagte Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) am Dienstagabend auf einer Diskussionsveranstaltung der Arbeitnehmerkammer. Selbst der nächste CDU-Parteitag wird eine Debatte darüber bringen – die CDU-Arbeitnehmer (CDA) haben einen Antrag mit dem Stichwort „Lohnuntergrenze“ eingebracht.
Vor allem die Finanzminister müssten dafür sein – Michael Dauderstädt von der Friedrich-Ebert-Stiftung berichtete, dass der Staat mit Steuer-Mehreinnahmen und sozialpolitischen Minderausgaben von insgesamt 100 Milliarden Euro pro Jahr rechnen könnte, wenn 8,50 Euro als Mindestlohn durchgesetzt würden.
Das unverdächtige Prognos-Institut hat die Berechnungen für die Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführt. Fast 16 Prozent der Arbeitskräfte verdienen derzeit weniger als 8,50 Euro je Stunde, bei den Frauen sind das mehr als 20 Prozent. Gäbe es einen Mindestlohn, würden sie alle mehr Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Prognos schätzt die Summe auf 70 Milliarden Euro jährlich bundesweit. Viele von ihnen erhalten derzeit ergänzende Sozialleistungen – die würde der Staat sparen, in der Summe rund 35 Milliarden Euro.
Muss man davon ausgehen, dass Niedrigverdiener ihre Arbeit verlieren würden? Der fiskalische Effekt wäre bei erst 250.000 zusätzlichen Arbeitslosen weggefressen. Über die Folgen für den Arbeitsmarkt gehen die Meinungen der Experten auseinander, es gibt auch unterschiedliche Studien. Arbeit in der Pflege, bei den Friseuren oder im Einzelhandel könne nicht einfach nach Polen verlagert werden.
Moderatorin Elke Heyduck von der Arbeitnehmerkammer war sich mit Bürgermeister Böhrnsen relativ sicher, dass vor allem die Preise in bestimmten Dienstleistungsbereichen steigen würden – und damit die gesellschaftliche Wertschätzung der Arbeit.
Cornelius Neumann-Redlin, der Geschäftsführer der Bremischen Unternehmerverbände, stand mit seiner Position allein in der Runde und beim Arbeitnehmerkammer-Publikum. Er sei nicht grundsätzlich gegen Mindestlöhne – sie sollten aber von den Tarifpartnern regional und je nach Branche ausgehandelt werden, um Unternehmen nicht zu überfordern.
Es gebe auch von Gewerkschaften ausgehandelte Tarife weit unter den 8,50 Euro. Das geschehe nur in Branchen, in denen die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften nicht für mehr ausreicht, entgegnete Böhrnsen.
Die von der Bundesregierung beschlossene Aufstockung für Niedriglöhne sei doch offenbar politisch gewollt und von der rot-grünen Schröder-Koalition beschlossen, meinte Neumann-Redlin. Das sei „nicht als Lohn-Aufstockung“ gemeint gewesen und müsse dringend korrigiert werden, hielt Böhrnsen dagegen.
Ein drittes Argument von Neumann-Redlin bezog sich auf die Arbeitssuchenden, die schwer vermittelbar sind – sie hätten bei einem Lohn von 8,50 Euro keine Chance mehr.
Die Sorge der Unternehmer wurde in einem anderen Argument deutlich: Unweigerlich würde der Mindestlohn damit Thema von Wahlkämpfen, meinte Neumann-Redlin. Die Linkspartei würde die SPD dann mit höheren Mindestlohn-Sätzen vor sich her- und hochtreiben.
Spätestens nach einer gewonnenen Wahl 2013 werde der Mindestlohn kommen, meinte Böhrnsen. kawe