Stagnation in Sicht

Sie will Vergangenheit und Gegenwart gleichzeitig präsentieren, Museum wie Galerie sein. Sie ist chronisch unterfinanziert, und ihr Leiter flieht jetzt in die USA: Heute wird die „Galerie der Gegenwart“ der Hamburger Kunsthalle zehn Jahre alt

VON PETRA SCHELLEN

Jetzt steht er also schon zehn Jahre da, dieser Klotz. Weiß, monolithisch, quadratisch – ein typischer Mathias-Ungers-Bau eben. Der, einigermaßen erstaunlich, in Hamburg trotzdem zum Wahrzeichen wurde. Doch auch abseits der Architektur hat die zur Kunsthalle gehörende Galerie der Gegenwart es geschafft, Markenzeichen zu werden, und das nicht nur für Hamburgs so genannte Kunstmeile zwischen Hauptbahnhof und Binnengewässer. Sondern auch für die Kunsthalle selbst, deren jüngere Bestände sie auf 5.600 Quadratmetern präsentiert.

1997 wurde das Haus eröffnet – ein Lieblingsprojekt des damaligen Kunsthallen-Direktors Uwe M. Schneede, und das aus gutem Grund: In den Achtzigern hatte er den experimentellen Hamburger Kunstverein geleitet. Da muss ihm die Kunsthalle, die er 1991 übernahm, mit ihrer vor allem im 19. Jahrhundert starken Sammlung reichlich eng erschienen sein. Er wollte einen Ort für die Moderne. Einen, mit dessen äußerer Form sich punkten ließ, was wiederum dem neuhanseatischen Hang zu spektakulären Gebäuden entgegen kam.

Dass die Maxime, die Form habe der Funktion zu folgen, dabei aus dem Blick geriet, nahm man in Kauf. Und mal ehrlich: Wer spricht noch von den zu kurzen, weil unbedingt quadratischen Treppenstufen und den zu niedrigen Fensterbändern in einem Haus, dessen Wände frei sein sollten für die Kunst? Aber Schwamm drüber: Zum begehbaren Bestandskatalog für die Kunst von den Sechzigern bis heute wurde der Bau, unterfüttert durch Ausstellungen von Christoph Heinrich, der zunächst Kurator war und ab 2000 dann Leiter.

Pünktlich zum Zehnjährigen geht Heinrich weg, ans Denver Art Museum – um dort, vermutlich, verschärfte Hamburger Probleme vorzufinden: die mangelnde Finanzierung durch den Staat, das Angewiesensein auf Spender für Ankäufe. Was ihm in Denver aber erspart bleiben dürfte: die hoffnungslose Suche nach Sponsoren für die Basics, sprich: die Betriebskosten des Hauses. In einem bizarren Prozedere hatte der Hamburger Senat nämlich seinerzeit den Bau der Galerie zunächst beschlossen, um dann 60 Prozent der Finanzierungszusage zurückzuziehen. Die Attraktivität des Hauses würde Strom- und Heizkosten schon einspielen, hoffte man. Sie tat es nicht. Die Folge: ein Defizit von einer Million Euro jährlich. Ein Betrag, für den die Politik dann regelmäßig den Direktor schalt. Den Ungers-Bau zu schließen, hat der inzwischen geschasste – vielleicht weil zu ehrliche – Geschäftsführer Tim Kistenmacher einmal als „einzig betriebswirtschaftlich vernünftige Lösung“ bezeichnet.

Ein Dilemma, in dem auch der 2006 angetretene Kunsthallen-Leiter Hubertus Gaßner steckt – trotz jüngst durchgesetzter Erhöhung des Etats um 1,2 Millionen Euro sowie der einmaligen Entschuldung durch den Senat. „Selbst wenn wir großzügig mit Sponsorengeldern rechnen, bleibt ein jährliches Defizit von einer Million Euro“, sagt er.

Doch Gaßner will nicht zu laut klagen. Er möchte sich den Kulturpolitikern gegenüber als „dankbar“ erweisen. Eine Haltung, die selbstzerstörerisch sein kann: Um eine „Gegenleistung“ zu erbringen, will er jetzt Heinrichs Nachfolge bis September 2008 unbesetzt lassen. Bis dahin wird mit Petra Roettig eine interne Kuratorin die Galerie der Gegenwart leiten. Auch wird Heinrichs Nachfolger nicht „Leiter“, sondern lediglich „Kurator“ sein: eine Degradierung. „Wir wollen die Galerie enger an die Kunsthalle binden“, sagt Gaßner.

Ob solche Maßnahmen aber zur Profilierung beitragen? Ausstellungen zeitgenössischer Kunst sind dort bis 2009 jedenfalls nicht geplant. Und die Jubiläums-Ausstellung „Weltempfänger“, die Sammlungsbestände zeigt, läuft geschlagene sechs Monate lang. Neue Impulse bringt sie nicht.

Vielleicht wird die Galerie der Gegenwart also mittelfristig Geschichte werden. Wird stagnieren und zehren vom Ruf, Informel, Pop Art und Spurensicherer zu präsentieren. Wehmütig wird man sich erinnern der Zeiten, in denen Künstler wie Richard Serra dort eigene Räume gestalteten und in denen Bruce Naumann, Rosemarie Trockel, Shirin Neshat, Mona Hatoum und Gregor Schneider dort zu Gast waren.

Man hat eingeladen, präsentiert, in eigenen Schauen „umgeräumt“ – doch man wollte immer auch sammeln. Ein für eine „Galerie“ ungewöhnliches, für ein Museum selbstverständliches Unterfangen, das das Haus deutlich als Zwitter ausweist. Christoph Heinrich ist stolz darauf: Allein 555 Posten zählt der Bestandskatalog, und darin sind noch nicht die Fotos und Videos integriert, die er mit Hilfe von Sponsoren erwarb.

Hochkarätige Werke allerdings sind auch für ein großzügig gesponsertes Haus zu teuer: In Sachen Sammlung ist man entweder auf unbedeutende, weil billige Werke noch unbedeutender Künstler angewiesen – oder auf preiswerte Arbeiten von Arrivierten. Ankäufe relevanter Kunst sind also kaum möglich. Lohnt sich da der Sammlungsaufbau für ein so klammes öffentliches Haus überhaupt? „Man kann diesen Kurzschluss ziehen“, sagt Heinrich. Man müsse beim Ankauf eben den rechten Moment abpassen und zur Not auch mal ein paar hundert Spender zusammensuchen, die einen Sigmar Polke erstünden, wie 2006 geschehen. Und im teuren Mainstream wolle man sich ohnehin nicht bewegen – weder in der Ankaufs- noch in der Ausstellungspolitik. Trotzdem hat er kürzlich Daniel Richter gezeigt. Ein Publikumsrenner. Nein, dass die Galerie der Gegenwart zu wenig Besucher anziehe, könne man nicht behaupten, sagt Heinrich.

Chef Gaßner, bekennender Konstruktivismus-Fan, nickt dazu und sagt, man solle die Moderne weiter fördern. Er finde das Machtvakuum in der Galerie der Gegenwart bis 2008 nicht schlimm. Er glaube überhaupt, dass die Kunsthalle zu viele Ausstellungen zeige, sagt Gaßner. Dabei habe man doch eine so schöne eigene Sammlung.