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Von der Macht der „Bild“-Zeitung

SCHANGHAI taz ■ Die deutsche Nationalmannschaft muss in diesen Tagen merkwürdige Fragen beantworten. Ob sie nach dem Finale tanzen werde, was sie gerne nascht und welchen Anzug sie am Sonntag anziehen werde, wird etwa Trainerin Silvia Neid gefragt. Die Fragen stellt eine kleine, unscheinbare Reporterin, die für ein großes, lautes Blatt arbeitet. Die Reporterin hat Glück, in Schanghai überhaupt dabei zu sein, denn fast hätte die Bild-Zeitung die Frauenfußball-WM verpasst. Der Sportredakteur von Bild, Walter M. Straten, plauderte vor einem Monat eher beiläufig mit Franz Beckenauer. Der verriet ihm seine Flugziele der nächsten Tage. Schanghai befand sich unter anderem auf der Reiseroute. Franz, was machst du denn bei den Chinesen?, fragte Straten.

Der Säulenheilige des deutschen Fußballs klärte Bild auf: Er sei in China, weil er dem WM-Eröffnungsspiel zwischen Deutschland und Argentinien beiwohne. Seitdem gibt es täglich Schlagzeilen über „Baller-Birgit“, „Wirbel-Sandra“ und „unsere Mädels“. Die Bundestrainerin hat durchaus ein Faible für seichte Fragen. Sie beantwortet sie ohne Murren. Neid hat kein Problem, exklusiv mit Bild zusammenzuarbeiten. Gern hat sie noch zwanzig Minuten Zeit für ein Millionenpublikum aus Deutschland.

Anders Jürgen Klinsmann. Der bestimmte die Spielregeln im Umgang mit den bunten Blättern. Der frühere Bundestrainer verweigerte sich dem Gossenjournalismus. Er wollte sich nicht zum Popanz machen lassen, weswegen ihn der Boulevard gern aus dem Amt geschrieben hätte, allen voran Walter M. Straten. Neid kann es sich nicht leisten, wählerisch zu sein. Frauenfußball ist ein Sport von Amateuren, die Publizität ist gering. Nur alle vier Jahre rückt er in den Fokus – wenn Weltmeisterschaft ist und die Deutschen ins Finale kommen.

MARKUS VÖLKER

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