: Illusion für Ohren und Augen
CROSSMEDIAL Das Projekt „39“ (ab heute, 23 Uhr, WDR 3) verknüpft Hörspiel und Gaming-App für junge Nutzer
VON RAFIK WILL
Heute Abend wird auf WDR 3 der erste Teil des zweiteiligen Mystery-Thrillers „39“ laufen. Und: Seit Ende Januar ist für Nutzer von Smartphones auch eine Fassung als Gaming-App verfügbar. Klingt bekannt? Kein Wunder, schließlich hat vor kurzer Zeit Deutschlandradio Kultur mit „Blowback“ ein ähnliches Projekt auf die Beine gestellt. Beide Produktionen wurden im Spätherbst 2014 auf den ARD Hörspieltagen groß angekündigt. Unter den Schlagworten „crossmedial“ und „interakiv“ versuchen die öffentlich-rechtlichen Radios, über das Smartphone jüngere Nutzer für sich zu gewinnen.
„39“ wurde von der Film- und Medienstiftung NRW gefördert. Das Script kommt vom Autorentrio Achim Fell, Martin Ganteföhr und Tim Staffel. Hauptfigur der 2005 in Großbritannien spielenden Verschwörungsstory (Regie: Achim Fell und Martin Zylka) ist der für den Rohstoffmulti Anglo American arbeitende Richard Hannay (gesprochen von Roman Knizka). Während dieser ein systemkonformes Leben führt, ist seine getrennt von ihm lebende Frau Annie (Alexandra Henkel) Globalisierungsgegnerin. Gemeinsam mit ihren Freunden bereitet sie eine Protestaktion zum G-8-Gipfel im schottischen Gleneagles vor.
Richard wird unvermittelt in ihre Welt hineinkatapultiert, als er kurz vor dem Gipfeltreffen aus einem künstlichen Koma erwacht. Zwei Tage vorher wurde er mit einem Steckschuss im Kopf neben einer toten Freundin seiner Frau gefunden. Im Verlauf des Hörspiels sucht Richard nach Annie und ihrem Sohn Andrew (Jakob Roden), verfolgt vom MI6.
Die Radiofassung präsentiert sich als eine Art Lückentext. Hier kommt die Game-App ins Spiel. In linear abzuarbeitenden Sequenzen wird zum einen der Hörfunkstoff behandelt. Zum anderen bietet sich jeweils nach einigen Szenen die Möglichkeit, in Richards Erinnerung zu stöbern und Handlungsverlauf sowie Vorgeschichte aufzuhellen. Im Gegensatz zu „Blowback“ setzt die App „39“ stärker auf grafische Elemente. Die Audio-Schnipsel aus der Hörfunkfassung sind mit von Lichtschleiern durchzogenen Fotos unterlegt. Hin und wieder muss ein hervortretendes Objekt berührt werden. Die dunkel gehaltenen Erinnerungsräume ermöglichen dagegen freie Bewegung. Man bewegt sich durch Wischen auf „klingende Fotos“. Durch die selbst bestimmbare Reihenfolge und den 3-D-Sound, der die Bewegung des Nutzers im Raum akustisch widerspiegelt, wird die Erzählweise interaktiv und nicht-linear.
Auch die anderen Audioschnipsel sowie die Radiofassung sind in nur durch Kopfhörer wahrzunehmendem 3-D-Sound gehalten. Während die App zu „Blowback“ die Hörspiel-Handlung als grafisch reduziertes, interaktives und lineares Spiel fortsetzt, erkundet die visuell ansprechende App „39“ alternative Möglichkeiten des nicht-linearen Storytellings. Ein großer Pluspunkt ist, dass die App „39“ für Android und iOS bereits fertig entwickelt ist und nicht wie „Blowback“ bisher nur als Testversion von einer begrenzten Zahl von iOS-Nutzern gespielt werden kann.
Bleibt die Frage, warum beide öffentlich-rechtlichen Anstalten bei ihren crossmedialen Projekten so düster, geheimnisvoll und todernst unterwegs sind und wann endlich ein passables Comedy-Projekt startet.