: Von der Emanzipation in die Geschlechterfalle
GENDER Das Bundesprogramm für mehr männliche Erzieher in Kitas stößt auf geteiltes Echo. Die Hamburger Professorin Hannelore Faulstich-Wieland stört sich an den Geschlechter-Klischees
Hannelore Faulstich-Wieland, Erziehungswissenschaftlerin
Der Ruf nach der Frauenquote war in den letzten Monaten laut zu hören, eine andere Forderung plätscherte nur leise nebenher: „Mehr Männer in Kitas!“ Das will Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU). Regionale Koordinierungsstellen sollen die Kitas dabei unterstützen.
Ralf Lange vom Paritätischen Wohlfahrtsverband leitet die Hamburger Koordinierungsstelle. „Wir berücksichtigen damit die Wünsche von Eltern, Fachleuten und auch den Kita-Angestellten selbst“, sagt er. Die empfänden mehr männliche Erzieher als Bereicherung, die frischen Wind in den Kita-Alltag bringen könnte. Außerdem sei die Anstellung von mehr Männern in Kitas in Anbetracht des zunehmenden Erzieherinnenmangels schlicht eine „Notwendigkeit“.
Lange nennt jedoch auch ein Argument, das für Konflikte sorgt: „Kinder brauchen auch männliche Bezugspersonen“. Bei Hannelore Faulstich-Wieland klingeln bei diesem Stichwort die Alarmglocken. Die Hamburger Professorin für Erziehungswissenschaften forscht seit 2008 zur Frage, ob der hohe Anteil von Grundschullehrerinnen für schlechte Schulleistungen von Jungen verantwortlich ist.
Faulstich-Wieland findet die Forderung nach mehr Männern in Kitas zwar grundsätzlich richtig, da sich die Heterogenität der Kinder auch im Personal widerspiegeln solle. Problematisch ist für sie aber die Argumentation mit „männlichen Vorbildern oder Bezugspersonen“. „Sobald das Wort ‚männlich‘ inhaltlich gefüllt werden soll, kommen wieder die alten Klischees auf“, sagt sie.
Bei Bezugspersonen komme es jedoch nicht auf das Geschlecht an. Viel wichtiger sei eine „allgemeine Genderkompetenz“: Wie wird Geschlecht konstruiert, wie sehr muss ich mein Handeln dem Geschlecht des Gegenübers anpassen – das seien Fragen, die sich alle ErzieherInnen stellen müssten.
Ralf Lange kennt diese Kritik und räumt teilweise deren Berechtigung ein. „In Kitas werden häufig stereotype Bilder von Mädchen und Jungen unterstützt – dies sollte reflektiert und möglichst vermieden werden“, sagt er. Oft werden männliche Erzieher erst mal in die Hausmeisterrolle gesteckt. Entscheidend sei jedoch „das pädagogische Konzept, das dahinter steht“.
Manne Nawo, Geschäftsführer des Kita-Trägers Hort Tigerente, erklärt das mit einem Beispiel: Wenn ein Junge weinend zu einem der männlichen Erzieher läuft, könne er bei diesem Trost finden. Der Vater des Jungen hingegen würde möglicherweise sagen, dass er mit dem Weinen aufhören solle. So aber habe der Junge zwei männliche Bezugspersonen. Die Wirkung sei eine andere, als wenn eine Erzieherin ihm das Gleiche mitgeteilt hätte. „Die Kinder sollen die Möglichkeit haben, sich aus den vorgelebten Rollen eine auszusuchen“, sagt Nawo.
Allerdings zeigt dieses Beispiel gerade, dass unterschiedliche Rollen nicht zwangsläufig mit unterschiedlichen Geschlechtern verbunden sind. Auch in der Wissenschaft ist bislang unklar, ob sich Erziehungsstile überhaupt anhand von Geschlechtern unterscheiden lassen – oder ob hier nicht eine gesellschaftlich verbreitete Rollenverteilung zum Tragen kommt: Der Vater, der nach einem langen Arbeitstag zum ersten Mal sein Kind sieht, ist vielleicht eher in der Stimmung, in kurzer Zeit noch ausgiebig zu spielen, als die Mutter, die das Kind tagsüber mit Malen bei Laune hält, während sie nebenbei noch abwaschen muss. LEONIE BRAND