: Spezielle Beziehungen
RECYCLING Pelzmäntel werden zu Rassehunden, Züchter legen ihren spießigen Kern bloß: das französische Trio „Neozoon“ im Wolfsburger Kunstverein
Das Verhältnis von Mensch und Tier sei so eine Sache, sagt eine der lieber anonym bleibenden Künstlerinnen des deutsch-französischen Künstlerinnentrios „Neozoon“. Zumeist beschränke sich ja der Kontakt auf das Essen tierischer und fleischlicher Produkte, sozusagen „über die Tiefkühltruhe“. Dass es aber auch sehr spezielle, affektive Beziehungen gibt, davon künden gerade die Leistungsschauen der Zuchtvereine für kleinere und größere Haustiere. Eine Auswahl solcher Zuchterfolge ist nun im „Raum für Freunde“ des Wolfsburger Kunstvereins versammelt, natürlich nicht lebendig, sondern in Form ironisch überzeichneter Darstellungen.
Da präsentieren zum Beispiel stolze Hundebesitzer ihre gerade prämierten Lieblinge in der Standardpose: kurze Leine, Kopf und Schwanz angehoben, leicht abfallende Silhouette. Die Portraits von Herrchen oder Frauchen entstammen dem Internet, wurden überarbeitet und entpersonalisiert; die Vierbeiner sind, haptisch durchaus verführerisch, aus Fell aufgesetzt. Das Material recyceln die Künstlerinnen aus alten Pelzmänteln – aus einem Tier wird also, irgendwie, wieder ein Tier. Und das sehr stimmig: Ein fragiler Windhund kommt in kurzer, beigefarbener Locke daher, der stabile Setter in langfellig braunem Putz.
Alte Pelzmäntel werden hier aber auch zu plastischen Tiergruppen und veritablen Herden. Großmutters vormals wertvoller Persianermantel re-mutiert zum Schaf, das mit weiteren Gefährten in Dresden zum Schlachthof marschiert. Affenhorden hangeln entlang einer Pariser Mauer und formieren sich zur Attacke. Nahe der Spanischen Hofreitschule in Wien werfen stolze Gäule ihre Reiter ab.
Derartige Unternehmungen und Zerrbilder im öffentlichen Raum setzt die Gruppe kurzerhand, meist ohne legale Bewilligung um – daher auch die Anonymität. Ihre teils umfangreichen, mehrstündigen Kampagnen sehen sie selbst als thematische und um die Dreidimensionalität erweiterte Street-Art an. Aber wie diese sind sie temporär, kritisch und unschädlich für den sie beherbergenden Ort.
Im sicheren Wolfsburger Innenraum wollen noch drei Herren mit ihren fotografisch ins Übermäßige vergrößerten Zuchtkaninchen bestaunt werden. Wobei: In Brandenburg soll kürzlich ja ein 20 Kilogramm schwerer Rammler der Rasse „Deutscher Riese“ prämiert worden sein. Wie sehr den Ausrichtenden solcher Leistungsschauen am „leiblichen Wohl“ der Besucher liegt, zeigt daneben eine Sammlung gänzlich unmanipulierter Kleinplakate: In stereotyper Grafik und Schriftgestaltung entblößt sie den kleinstädtisch-biederen Nährboden der Züchterszenen.
Aber was ist nun eigentlich ein Neozoon? Ein von weit entferntem Ort eingeschlepptes Tier, das sich fertil und freudig verbreitet. Ein schönes Sinnbild – oder sollte man sagen: einen bemerkenswerten Zuchterfolg – ihrer Gruppe haben die drei Künstlerinnen dafür gefunden: Für die Dauer der Ausstellung umstreicheln fünf niedliche kleine und absolut pflegeleichte Recycling-Tiere mit wundervollem Fell die Beine der Besucher. Fehlt eigentlich bloß noch ein richtiger Name. BETTINA MARIA BROSOWSKY
bis 6. November, Kunstverein Wolfsburg