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Archiv-Artikel

Der Mann, der glücklich macht

HEIMAT Tante-Emma-Läden kommen zurück. Auch in der Stadt. Denn Geiz ist geil ersetzt keine Mitmenschlichkeit

„Ich lasse mich nicht unterkriegen. Ich mache weiter, das bin ich den Leuten schuldig“

JASHIM-UDDIN KAZI

VON ALEM GRABOVAC

Einst war Jashim-Uddin Kazi ein fröhliches Kind. Aber kaum Teenager, war er als Flüchtling schon allein. Später war er dann Koch. Jetzt hat er einen Tante-Emma-Laden in der Hauptstadt. Sieben Tage die Woche steht er in seinem Geschäft. Von morgens um sechs bis abends um zehn. Er ist 41 Jahre alt. Mit 13 kam er aus Bangladesch nach Berlin. Er hat schwarze Haare, einen melancholischen Blick, ein freundliches Lächeln. Damit begrüßt er jeden, der in den Laden kommt.

Vor drei Jahren hat Jashim-Uddin Kazi seinen „Tante-Emma-Laden“ in einem abseitigen Kiez im Berliner Wedding eröffnet. Eine Straße mit Wohnblocks. Vier Stockwerke. Kaum Geschäfte. Spröde Gegend. Rauer Charme. Ein Kiez, der kein Zentrum mehr hatte, kein Herz – bis Jashim kam.

Freddy, Berliner Schnauze, Bier in der Hand, Einzimmerwohnung um die Ecke, erzählt: „Der Jashim ist in Ordnung. Der hat Gemeinschaftsgefühl in den Kiez gebracht. Hier kannste sitzen und quatschen.“ Und Mandy, blondiert, gepierct, Anfang 30 und arbeitslos: „Lustiger ist es jetzt auch. Wo Leute sind, wird gelacht.“

Jashims Laden ist groß. Das muss er auch sein, denn alles, was die Leute schnell brauchen, bietet er an. Das Hundefutter steht neben den Windeln, die Zahnpasta neben den Nudeln. Die Bild und die Hürriyet neben den „Arzt-Liebe-Adel-Romanheftchen“. Der Kaffee kommt aus einer Espressomaschine, die Bockwurst aus dem Topf, die Boulette aus der Vitrine. Es gibt ein abgetrenntes Raucherzimmer, eine Sitzecke, wo abends gespielt wird, einen Flachbildschirm, auf dem man gemeinsam die Fußballspiele anschaut.

Zwei ältere Damen mit Pudel betreten den Laden. Ihre Haarfarben: Hennarot und Veilchenblau. Jashim: „So wie immer?“ Die Damen: „So wie immer.“ Die Bestellung: Für sie zwei Tassen Kaffee, zwei Bockwürste mit Brot und Senf und für den Hund ’ne kalte Wiener. Jashim erzählt in seinem schleifenden Deutsch, dass er viele ältere Kunden habe. Wenn nötig, bringt er ihnen den Einkauf nach Hause.

Im Radio läuft die Nachricht über die geplatzten Koalitionsverhandlungen zwischen der SPD und den Grünen. Freddy sagt, dass der Wowereit von Anfang an nichts mit den Grünen zu tun haben wollte. Ein anderer Stammkunde widerspricht und schimpft auf die Grünen.

Seit ein paar Jahren gibt es eine Renaissance der Tante-Emma-Läden. Vor allem auf Dörfern und nun auch in Städten. Die großen Supermärkte haben die kleinen Läden kaputt gemacht und damit auch Dorfkerne und Kieze entseelt. Es gibt keine Anlaufstellen mehr. Wenn Arbeitslosigkeit zudem den Leuten den Zugang zur Gesellschaft versperrt, vereinsamen viele. Die Menschen sehnen sich aber nach Zugewandtheit, sie wollen erkannt werden, sich geborgen fühlen, plaudern – wie in Jashims Tante-Emma-Laden.

Nicht nur die Alten kommen zu ihm. Sein Laden ist auch Anlaufstelle für Kinder. Manchmal rufen ihn Eltern an und fragen, ob er ein paar Stunden auf die Kleinen aufpassen könne. Das mache er gerne. Im Laden hat er eine Spielecke mit Lego-Bausteinen und Uno-Karten. „Sie nennen mich Kiezpapa“, – ein Titel, über den er sich freut.

Er zeigt die Pokale über der Sitzecke. Die Kindermannschaften des FC Rehberge bis neun Jahren haben sie gewonnen. Er unterstützt sie. Auf ihren grünen Trikots steht „Jashim’s Tante Emma Laden“. Die Kleinen sind ihm ans Herz gewachsen. Fußball, das glaubt er, hält sie weg von der Straße und bringt ihnen Disziplin und Solidarität bei. Es liegen auch ein paar Lederfußbälle bei ihm, die man ausleihen kann. Früher hat er die Bälle einfach rausgegeben, aber kaum einer sei zurückgekommen. Jetzt müssen die Kinder ihm ein Pfand dalassen. Auf der Theke steht zudem eine Spardose. Alle geben ein bisschen, und wenn die Dose voll ist, geht’s mit den Kleinen in einen Abenteuerpark oder ein Schwimmbad.

Sieben Überfälle

Bevor er vor drei Jahren sein Geschäft aufmachte, war Jashim jahrelang Koch. Aber das wurde ihm zu langweilig. Ihm fehlte der Kontakt zu den Menschen. So kam die Idee mit dem Laden. „Meine Freunde dachten, ich sei verrückt.“ Da mag was dran sein. Denn genau vier Tage Urlaub habe er in den letzten drei Jahren gemacht, und in diesen vier Tagen, erzählt er, habe er nur geschlafen.

Viel schlimmer als die fehlende Freizeit waren jedoch die sieben Überfälle in den vergangenen Jahren auf seinen Laden. Nachts ausgeraubt. Ein paarmal auch am Tag. Jashim wurde von den Räubern geschlagen. Freddy meint: „Dit sin die Neider. Dit ist doch nich normal. Dit waren doch immer die gleichen.“ Die Polizei hat bislang keinen der Einbrecher gefasst.

Trotzdem: Angst habe Jashim nicht, und ans Aufhören habe er auch noch nie gedacht. Er zeigt Fotos und Postkarten seiner Kunden. Weihnachten, Silvester und Geburtstage werden gemeinsam im Laden gefeiert. Und zum Zuckerfest am Abschluss des Fastenmonats Ramadan bekommen die Leute bei ihm Kuchen und Süßigkeiten umsonst.

Selbst hat Jashim keine Kinder. Er ist geschieden. Seine Frau hilft ihm trotzdem. Der Laden und die Menschen im Kiez sind zu einer Ersatzfamilie für ihn geworden. Er sagt: „Ich lasse mich nicht unterkriegen. Ich mache weiter, das bin ich den Leuten hier schuldig.“ Sein Name bedeutet: der Mann, der immer glücklich ist.