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Archiv-Artikel

Braucht Deutschland eine Fettsteuer?

Ernährung Dänemark besteuert fettige Lebensmittel, damit seine Bürger sich gesünder ernähren und länger leben

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REFLEXIONEN ÜBER FETT ➤ GENUSS SEITE 33

JA

Per Poulsen-Hansen, 65, ist Botschafter des Königreichs Dänemark in Deutschland

Seit dem 1. Oktober 2011 erhebt Dänemark als erstes Land weltweit eine Fettsteuer. Damit wird die politische Absicht verfolgt, gesunde Lebensmittel wie Obst, Gemüse und andere fettarme Produkte zu fördern, indem fetthaltige Nahrungsmittel stärker besteuert werden. Die neue Steuer wird die meisten Grundnahrungsmittel wie Brot, Käse, Fleisch und viele Fertiggerichte verteuern. Besteuert werden alle Lebensmittel, die mehr als 2,3 Prozent gesättigte Fettsäuren enthalten. Die Steuer beträgt bei diesen Lebensmitteln 2,15 Euro pro Kilo dieses Fettes. Eine Packung Butter wird dadurch 30 Cent teurer, 1 Kilo Käse der Vollfettstufe 43 Cent und 250 Gramm Gehacktes 13 Cent. Diskutiert wird in Dänemark im Zusammenhang mit der Steuer, dass sie sich nicht immer auf den Fettgehalt des Endprodukts bezieht. So muss für mageres Schweinefleisch ebenso mehr gezahlt werden wie für fettes, weil das Steuerniveau auf der Grundlage des Fettanteils des gesamten Tiers berechnet wird. Die neu gebildete Regierung unter der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt begrüßt die Fettsteuer, die noch von ihrem Vorgänger eingeführt wurde. Die amtierende Regierung will zur Förderung der Gesundheit die Steuern auf weitere ungesunde Nahrungsmittel zusätzlich erhöhen.

Carmen Krüger, 63, gehört „Carmens Restaurant“ in Eichwalde bei Berlin

Ich bin für die Fettsteuer. Es würde der Lebensmittelindustrie ganz gut tun, wenn die Regierung dagegen vorgeht, dass die Fertiggerichte vor Fett nur so triefen. Dann würden die Hersteller sich vielleicht von den höheren Kosten belehren lassen und gesündere Produkte auf den Markt bringen. Das Hauptproblem bei unserer ungesunden Ernährung ist doch, dass wir uns jeden Tag mit Fast Food vollstopfen. Dass die Eltern ihren Kindern lieber ein paar Euro mit auf den Schulweg geben, als ihnen ein gesundes Pausenbrot zuzubereiten. Die Fettsteuer könnte bewirken, dass die Leute auf gesundes Essen zurückgreifen. Andererseits bin ich mir nicht sicher, ob sich die Menschen überhaupt beeinflussen lassen. Weder die etlichen Kochsendungen im Fernsehen haben zur richtigen Ernährung beigetragen, noch all die Warnungen vor ungesundem Essen in den Zeitschriften. Viel wichtiger ist da die frühzeitige Aufklärung. Am Küchentisch und in der Schule. Wir müssen uns endlich wieder mehr Zeit zum Essen nehmen und unsere Mahlzeiten selbst frisch zubereiten. Dann ist auch das Fett in Maßen nicht ungesund für uns.

Dagmar von Cramm, 55, ist Ernährungswissenschaftlerin und Buchautorin

Weniger gesättigte Fettsäuren machen ein ganzes Volk gesünder, wie eine Langzeitstudie in Finnland gezeigt hat. Allein durch Aufklärung aber ändern wir uns nur langsam: Gewohnheit und Kosten sind für den Verbraucher wichtiger. Dazu kommt Werbung und eine Lebensmitteltechnologie, die uns auch Ungesundes schmackhaft macht. Alle wollen verdienen: Landwirtschaft, Lebensmittelindustrie und Handel. Wer aber vertritt das Interesse an der Gesundheit? Das können nur wir selber übernehmen – oder unsere Vertreter im Parlament. Der einfachste Weg ist es tatsächlich, den Verbraucher beim Geldbeutel zu packen. Ungesundes – das oft billig ist – sollte teurer werden. Dann haben auch gesündere Lebensmittel eine Chance! Und gerade arme Bevölkerungsschichten profitieren doppelt: Lebensmittel mit gesunden Fetten werden in diesem Falle billiger. Ein Sündenfall der Bevormundung? Nun tun wir doch nicht so, als ob die Lebensmittelpreise frei seien! Die EU fördert vor allem Lebensmittel, die von Gesundheitsexperten negativ beurteilt werden. Warum nicht gegensteuern und mal etwas für die guten tun? Aber bitte die Einnahmen in die Aufklärung stecken – bei Kindern und Schwangeren! Ganz praktisch mit Schul- und Kindergartenprojekten, mit Zuschüssen zur Schulverpflegung und Beratung. Dann wird die Fettsteuer vielleicht schnell wieder überflüssig!

NEIN

Christian Vagedes, 37, ist Vorsitzender der Veganen Gesellschaft Deutschland

Eine Steuer zur Absatzminderung von Nahrungsmitteln, die das Hungern von Menschen, das Leiden von Tieren, die Zerstörung von Regenwäldern und das Leerfischen der Weltmeere begünstigt, wäre eine Überlegung wert. Allerdings müssten dann die Steuereinnahmen auch dort investiert werden, wo es der Lösung der genannten Aufgaben nutzt. Zum Beispiel für Aufklärung. Eine Fettsteuer betrachte ich jedoch als blanken Unsinn. Denn nicht das pure Fett begünstigt Übergewicht und Herzerkrankungen, sondern das Tierprotein. Solange pflanzliche Fette nicht heiß gepresst werden, können sie ein wichtiger Bestandteil einer gesunden Ernährung sein. Hilfreicher als die Einführung derart unsinniger Steuern wäre ganz dringend etwas anderes: die Abschaffung aller Subventionen für Produkte, die Tierprotein enthalten. Es sind übrigens dieselben Produkte, die auch den Menschenhunger, das Tierleid und die Regenwaldvernichtung fördern. Tierische Molkereiprodukte, Fleisch, Fisch und Eier sind nur deshalb so erschwinglich, weil ihr Absatz künstlich gepusht wird. Der Westen hat sich ernährungspolitisch in einen Todeskreislauf begeben, den man durch die individuelle Veganisierung der Lebensbereiche brechen kann. Hierzu brauchen wir mehr Aufklärung und aktive Menschen, die bereit sind, jenseits der stereotypen PR-Welt des letzten Jahrhunderts zu denken.

Yves Jandek, 23, Student aus Erfurt, hat die Streitfrage auf taz.de beantwortet

Die Menschen zu gesünderem Essen zu bewegen, klingt erst mal nach einer guten Idee. Doch abgesehen von den unangenehmen Erinnerungen an vergangene staatliche „Erziehungsversuche“ stellen sich noch andere Hindernisse in den Weg: Fett ist Grundnahrungsmittel. Gerade Butter und Milch. Das zu versteuern würde die Lebenserhaltungskosten in die Höhe treiben. Davon abgesehen: Wie sollte die deutsche Regierung das hinbekommen? Nicht einmal eine wegen der kompletten Erfassung der Inhaltsstoffe wesentlich sinn- und wirkungsvollere Ampelkennzeichnung konnte man gegen die Lebensmittellobby durchsetzen. Wie soll man da eine Fettsteuer einführen? Nicht der reine Verzehr von Fett macht dick. Es ist die Kombination aus dem Unwissen über Fette und Kohlenhydrate, vor allem Zucker, und die Gedankenlosigkeit, mit der Essen in unserer Gesellschaft behandelt wird. Den meisten Produkten kann man nicht mehr ansehen, was einmal drin war. Die Inhaltsangaben bestehen aus kryptischen EU-Nummern und chemischen Formeln. Keine Zwangsabgabe wird das Verhalten der Menschen ändern. Das hat schon bei der Tabaksteuer nicht wirklich funktioniert. Eine Erziehung zu gesunder Ernährung muss schon im Kindesalter beginnen.

Friedrich Schorb, 34, ist Soziologe und hat das Buch „Dick, doof und arm“ geschrieben

Die Fettsteuer soll’s richten: Deutschland wird wieder dünn, die Ausgaben im Gesundheitswesen sinken und der Schuldenberg wird dank Sündensteuer schneller abgebaut. Halbfettbutter und fettfreie Joghurts würden steuerlich bevorzugt werden. Doch dünn machen solche Produkte nicht: Der Körper fordert die sensorisch versprochenen, tatsächlich aber nicht gelieferten Kalorien einfach anderweitig ein. Und wer auf den „Megakiller“ Fett sogar vollständig verzichtet, lebt nicht länger, sondern stirbt sofort. Aber wenn die Bevölkerung durch eine Fettsteuer schon nicht gesünder wird, so lässt sich mit Verweis auf die Volksgesundheit doch immerhin verschleiern, dass besonders diejenigen zur Kasse gebeten werden, die jetzt schon prozentual den höchsten Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel zahlen. In Folge der Finanzkrise war viel von Bankenabgaben und Reichensteuern die Rede, doch tatsächlich wollen immer mehr Länder Fettsteuern einführen, was vor allem Arbeitslose und Geringverdiener trifft. Im Namen der sozialen Gerechtigkeit und des guten Geschmacks kann es daher nur heißen: Prekarier aller Länder, lasst euch die Butter nicht vom Brot nehmen!