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Archiv-Artikel

Durchs Netz in die herzogliche Sammlung

Die graphischen Bestände des Herzog-Anton-Ulrich-Museums und der Wolfenbüttler Bibliothek werden virtuell wieder vereint. Das Angebot richtet sich vorrangig an Fachleute – für eine didaktische Aufarbeitung fehlt es an Fördermitteln

In einem Kupferstichkabinett, wie viele Museen es pflegen, finden sich nicht nur Kupferstiche, sondern alle Arten von Zeichnungen und Druckgrafiken. Der Begriff „Kabinett“ bezeichnet ursprünglich einen kleinen Raum innerhalb von Schlossarchitekturen. Darin bewahrte der Schlossherr seine Sammlung von außergewöhnlichen Dingen auf, die ausgewählten Besuchern vorgeführt wurden. In den „Kuriositätenkabinetten“ fanden sich so, neben ausgestopften fremdartigen Tieren, mineralogischen Kostbarkeiten und völkerkundlichen Artefakten, grafische Blätter von Künstlern wie Albrecht Dürer oder Lucas Cranach, die mit ähnlichem Sammlerstolz präsentiert wurden.

Passionierte Sammler waren auch die Braunschweiger Herzöge, angefangen mit Ernst-August (1629–1698); die Nachfahren betrieben das gleiche herzögliche Steckenpferd. Über die Jahrhunderte kam so ein beachtlicher Schatz an Stichen und Drucken zusammen. Im 19. Jahrhundert wurde damit begonnen, das Material nach systematischen Kriterien zu sortieren und an verschiedene Fachinstitutionen zu verteilen. Die größten Teile der herzöglichen Sammlungen, angereichert durch zahlreiche Neuerwerbungen, liegen heute zum einen in der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel, zum anderen im Braunschweiger Herzog-Anton-Ulrich-Museum.

Nun fließt die getrennte Sammlung wieder zusammen: als „virtuelles Kupferstichkabinett“ im Internet. Angesichts der Masse wie auch Exklusivität des Materials sowie der Qualität der digitalen Aufarbeitung sprechen die Initiatoren von einem europaweit einzigartigen Projekt. Getragen wird es von Fördermitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Das digitale Museum ist, anders als die exklusiven herzoglichen Sammlungen, für jedermann zugänglich – zumindest virtuell. Die Oberfläche ist schlicht, aber übersichtlich, die Auflösung der Bilder hervorragend: Mit der Computerlupe lassen sich die Striche und Ritzer deutlich besser nachvollziehen, als es bei einer üblichen Präsentation in Vitrinen der Fall wäre. Welche Druckverfahren es gibt, wie das Material historisch einzuordnen ist, was den besonderen Reiz der Sammlung ausmacht – kurz: Informationen für den interessierten Laien jedoch sucht man vergeblich.

Das virtuelle Kabinett, sagt Thomas Stäcker,der das Projekt organisatorisch leitet, richte sich in erster Linie an Wissenschaftler. Eine museumsdidaktische Aufarbeitung wurde von der DFG nicht finanziert. Weil Bildung Ländersache ist, müsste das Land Niedersachsen sich für das Projekt interessieren und eine solche Aufarbeitung bezuschussen. Aber, das stimmt schon, auch Wikipedia könne ja bei vielem weiterhelfen.

Es sei, sagt Stäcker, der Bibliothek und dem Herzog-Anton-Ulrich-Museum hoch anzurechnen, dass sie ihr Material überhaupt für die Digitalisierung bereitstellen. Viele Institutionen hätten große Vorbehalte gegen eine solche Veröffentlichung ihrer Sammlungen, nicht zuletzt finanzielle: Verkäufe von Reproduktionen der Kunstwerke seien keine unbedeutende Einnahmequelle, und die könnte unter der freien Verfügbarkeit des Materials – und dadurch möglichen Raubkopien – leiden. Trotzdem wünscht man sich, dass das Projekt auch über die Region hinaus Schule macht. Bis dahin gibt es aber auch in Wolfenbüttel noch einiges zu entdecken: Teil des Projektes ist die umfassende Durchforstung des Magazins, bei der sich bereits einige besonders fragile Wachsdrucke fanden sowie original gebundene Grafikmappen, die damals übliche Vertriebsform von Blättersammlungen.

In der ersten Antragsphase sollen 32.000 grafische Blätter digitalisiert werden. Ob durch die digitale Präsentation der Werke das Museum als realer Ort nicht verloren zu gehen droht? Denn der Geruch alten Papiers und die Stimmung musealer Räume lassen sich ja nicht ins Netz übertragen. Stäcker verneint: Vielmehr erführen einige Exponate durch die elektronische Verbreitung sogar eine besondere „Auratisierung“. Die Leute wollten das, was sie im Netz gesehen haben, dann auch tatsächlich sehen.

Beruhigend wohl für manchen, dass diese Unterscheidung noch vorgenommen wird. HANNES LEUSCHNER

http://dbs.hab.de/grafik, www.hab.de/forschung/projekte/kupferstichkabinett.htm