: Muss Bio billig werden?
JA
Es gibt noch zu viele Menschen, die es sich nicht leisten können, regelmäßig biologisch erzeugte Nahrungsmittel zu kaufen. Hier muss etwas geschehen. Das muss uns die Gesundheit unserer Kinder wert sein. Es darf keine Zweiklassengesellschaft am Mittagstisch geben. Bio muss für jeden bezahlbar sein.
War das eine schöne Zeit, vor 30 Jahren, als sich ein paar Unentwegte früh morgens auf den Weg zu landwirtschaftlichen Betrieben machten, um für ihre Ökos, auch Kunden genannt, saubere Äpfel und Salate, Gerste und Dinkel zu kaufen. Diese wurden anschließend liebevoll verarbeitet und als Bio an eine kleine Fangemeinde in den Hinterhöfen der Städte verkauft.
Öko war zu jener Zeit weder in noch out, sondern einfach nur etwas für Vollblutvegetarier und Insider, die ihre Familien vor den unbarmherzigen Angriffen der Fastfood-Industrie schützen wollten. Dieser Personenkreis musste schon damals das Haushaltsbudget stärker strapazieren und daran hat sich bis heute nichts geändert. Warum eigentlich? Bio hat mittlerweile einen Marktanteil von rund 4 Prozent am gesamten Lebensmittelmarkt. Das Bio-Angebot ist auf 40.000 Produkte angewachsen. Trotzdem gibt es offensichtlich zu viele Menschen, die es sich nicht leisten können, regelmäßig biologisch erzeugte Nahrungsmittel zu kaufen.
Die Händler sind mittlerweile aus den Hinterhöfen an die Flaniermeilen gezogen und bieten Öko-Lifestyle pur. Die Ladenausstattung, die Atmosphäre und auch die Produkte – alles wurde auf schick getrimmt. Das kostet sehr viel Geld, was die Kunden bezahlen müssen. Ist es ihnen das denn auch wirklich wert? Man kann auf diesen Schnickschnack aber auch verzichten und seinen Kunden eine preiswerte Grundversorgung bieten, die sich jeder leisten kann.
Gerade Familien und auch Alleinerziehende mit Kindern würden gern mehr Bio kaufen würden – wenn es denn für sie bezahlbar wäre. Hier muss dringend gegengesteuert werden. Die gesundheitlichen Probleme der Kinder verlagern sich in atemberaubenden Tempo nach vorn. Sie beginnen nicht erst wenn sie in die Pubertät kommen, sondern teilweise sogar schon im Säuglingsalter. Haben Sie schon mal ein Neugeborenes mit Neurodermitis gesehen? Die kleinen Würmchen können sich nicht kratzen. Sie müssen oft mit Cremes versorgt werden, deren Nebenwirkungen sich noch auf die Gesundheit als Erwachsener niederschlagen.
Große Probleme bereiten auch die zunehmenden Umweltschädigungen. Es kommt doch nicht von ungefähr, dass in den Siebzigerjahren nur etwa jedes siebte Kind einmal wöchentlich über Kopfschmerzen klagte. Heute ist es bereits jedes zweite. Daran ist nicht immer nur die Globalisierung schuld, sondern die Probleme beginnen im Kinderzimmer – beim eigenen Fernseher, Laptop, Handy, iPod, Gameboy oder der X-Box.
Doch dort, wo die Ernährung der Kinder höchste Priorität genießen sollte, zeigen sich gravierende Probleme. Viele Kitas haben heute kaum mehr als einen Euro pro Kind und Tag zur Verfügung. Der Wunsch der Eltern nach zusätzlicher Biokost scheint hier wie die Frage nach der endgültigen Versöhnung von Kölnern und Düsseldorfern. Zahlreiche Eltern helfen den Kitas, indem sie privat die zusätzlichen Mittel beisteuern. Doch ein großer Teil der Eltern kann diesem Wunsch nicht folgen – weil Bio einfach zu teuer ist und sie die Mittel schlicht nicht beisteuern können.
Wollen wir dieser Problemwelle tatenlos zusehen? Jeder von uns wird diese Auswirkungen zu spüren bekommen, ob er will oder nicht. Wir haben heute die dicksten Kinder in ganz Europa. Etliche dieser Kinder müssen bereits in Spezialkliniken behandelt werden. Diese Kosten werden in Form von Krankenkassenbeiträgen auf die Gesellschaft abgewälzt und machen uns so von Zuschauern zu Betroffenen. Wenn man Menschen fragt, was sie sich wünschen, dann hört man unisono: „Hauptsache, gesund.“ Doch, bitte schön, wo soll die Gesundheit herkommen, wenn sich eine Vielzahl von uns die einfachsten Dinge, nämlich saubere Lebensmittel, nicht leisten kann? Früher, vor 30 Jahren, kam überall das Gleiche auf den Tisch. Es gab keine Zweiklassengesellschaft, wenn man am Tisch saß. Heute ist das anders. Da wird die Freundin mit Stolz darauf hingewiesen, dass sie gerade Biobutter aufs Brot streicht. Und sie möge doch bitte den guten Biokäse reichlich auflegen. Der sei doch so gesund. Recht hat sie. Aber bitte für jeden.
Fotohinweis: GREGOR FORNOL ist Geschäftsführer der Berliner Biokette McBIO. Ihr Ziel heißt: Bio für alle!
NEIN
Qualität braucht Gerechtigkeit. Und die kostet Geld. Wer Bio billig und für alle will, darf sich über Gammelfleisch am Dönerspieß nicht aufregen. In keinem Land Europas gibt man voller Leidenschaft 12 Euro für einen Liter Motoröl aus – und bekommt bei 2,50 Euro für Olivenöl Wutausbrüche.
Ein Aufschrei der Empörung ging durchs Land. Milchprodukte sollen um bis zu 50 Prozent teurer werden! Das will man nicht hinnehmen, dafür geht man auf die Barrikaden. Verkehrte Welt. In keinem Land Europas sind Lebensmittel vergleichbar billig wie in Deutschland. Kein Volk gibt so leidenschaftlich 12 Euro für einen Liter Motoröl aus und bekommt bei 2,50 Euro für einen Liter Olivenöl solche Wutausbrüche. Aber liebe Leute: Was regt ihr euch auf? Wer Bio für alle will, muss damit leben, dass sich große Discounter demnächst eigene Bioläden zulegen. Und der muss auch damit leben, dass ihm vergammeltes Fleisch auf den Teller gelegt wird.
Wir sind immer noch geizgeil. Wir wollen alles, und wir wollen es billig. Das gilt vor allem für Lebensmittel. Und Biolebensmittel machen da keine Ausnahme. Schließlich soll jeder das gute Gefühl haben, der Umwelt zu helfen, wenn er sein asiatisches Bio-Pfannengemüse aus der Mikrowelle löffelt. Dabei waren Bioprodukte nicht nur durch ihre Produktionsweise wertiger als andere Lebensmittel. Sie hatten nicht zuletzt deshalb einen höheren Preis, weil sie gerecht waren. Gerecht für den Produzenten, der einen ehrlichen Preis für sein Produkt bekam. Gerecht für den Händler, der von der Gewinnspanne leben konnte. Und gerecht für den Konsumenten, der einen nicht subventionierten Preis zahlte.
Bio für alle bedeutet nichts anderes, als sich den Mechanismen des Marktes, den Handelsweisen der Discounter zu ergeben. Ein Lebensmittel, das dem Landwirt, der es produziert, kein ausreichendes Einkommen sichert, hat keine wirkliche Qualität. Egal ob Bio draufsteht oder nicht. Wir Verbraucher sind – im Verständnis von Slowfood – Koproduzenten. Partner des Bauern.
Wenn wir dem Discounter um die Ecke wegen Biojoghurt für 29 Cent die Bude einrennen, treten wir unserem Partner – dem Bauern – sprichwörtlich in den Hintern. Und der Kassiererin gleich mit. Und dem Lkw-Fahrer, der den Discounter beliefert.
Unsere Bio-für-alle-Lebensmittel finanzieren die genannten drei Berufsgruppen. Durch untertarifliche Bezahlung, unentgeltliche Überstunden, ruinierte Gesundheit. Bio vom Discounter – das ist doch ein Widerspruch in sich. Discount heißt billig um jeden Preis, heißt Produzenten knebeln, heißt Verbraucher mit geschmacksverletzender Werbung für Billigware ködern. Und das soll mit biologisch produzierten Lebensmittel auch gemacht werden? Meine Tochter sagt zu so was: „Wie krank ist das denn?“
Ich frage mich nur, wann das erste Biogammelfleisch entdeckt wird. Slowfood Deutschland ist der Meinung, dass „gut – nachhaltig – gerecht“ die Elemente sind, auf die ein überzeugendes und tragfähiges Konzept von Lebensmittelqualität aufgebaut werden muss. Das gilt für biologische wie konventionell produzierte Lebensmittel.
Das Label Bio für alle ist so hilfreich und qualitätssichernd wie der QS-Aufkleber der CMA auf einer Packung Gammelfleisch. Qualität braucht Gerechtigkeit. Und die kostet Geld. Es braucht ein neues Qualitäts- und damit verbunden neues Selbstverständnis des Handels. Denn solange der Handel seine Rolle als Mittler zwischen Produzent und Verbraucher vor allem darin sieht, den Produzenten immer weniger (Geld) für immer mehr (Produkt) zu zahlen, um dem Verbraucher immer beliebigere Produkte in immer größere Mengen zu verkaufen, ist Qualität nicht möglich. Dass eine solche Entwicklung keine dauerhafte Zukunft haben kann, hat der Handel natürlich erkannt. Und versucht mit der Aufnahme von regionalen Produkten ins Sortiment (Edeka) oder dem Kauf etablierter Namen (Lidl, Basic) dem Kundenwunsch nach Qualität zu entsprechen.
Es dürfte aber nur eine Frage der Zeit sein, dass auch in diesen Fällen die Schraubzwinge des Preisdrucks angesetzt wird. Die ersten Bioproduzenten bekommen das schon zu spüren. Geradezu zynisch, in diesem Kontext davon zu sprechen, dass Bauern und Verbraucher Partner sind. Bestenfalls Partner im Ausgeliefertsein gegenüber dem Handel. Bio als Billig- und Ramschware? Nein danke! Qualität und Gerechtigkeit für alle? Aber immer!
Fotohinweis: HARALD SCHOLL ist im Vorstand von Slowfood Deutschland, einem Verein für Lebensart und Genuss.