Akademiker lernen schreiben

Viele Dozenten setzen voraus, dass Studierende wissen, wie Texte verfasst werden – und verzichten darauf, dieses Handwerk zu vermitteln. Das führt zu Problemen. Deshalb hat die Europa-Universität in Frankfurt (Oder) ein Schreibzentrum eingerichtet

VON MARTIN KALUZA

Im Mai war Alice Altissimo noch ziemlich verzweifelt. Ihr Studium der Kulturwissenschaften an der Europa-Universität ging auf die Zielgerade, doch da war diese Hürde: die Master-Arbeit. Altissimo kannte ihr Thema, hatte viel Fachliteratur gewälzt und eigene Untersuchungen durchgeführt. Es war eigentlich alles da. Sie brauchte es nur noch aufzuschreiben. Und genau da lag das Problem. Das Wissen war nicht zu bändigen, es ließ sich nicht ordnen. Zu allem Überfluss hatte sie das Gefühl, sie habe immer noch nicht genug gelesen. Die Folge: Schreibblockade. Klare Kopfsache. Der Prof gab ihr dann den Tipp, der endlich Bewegung in die Sache brachte: Er schickte sie in die Schreibsprechstunde ans Schreibzentrum der Uni.

Am Schreibzentrum, das die Viadrina im März dieses Jahres eingerichtet hatte, ließ sich Altissimo von einer Tutorin beraten, von einer Studentin wie sie, die jedoch eine besondere Schulung in Schreibdidaktik durchlaufen hatte. Die Tutorin stellte ihr so lange Fragen, bis das Thema der Arbeit konkrete Formen annahm. Rückblickend sagt Altissimo: „Ich brauchte einfach Schreibtechniken, die ich nicht hatte und die man im Studium nicht lernt.“ Nachdem der Knoten geplatzt war, hat sie die Master-Arbeit konzentriert geschrieben und inzwischen abgegeben. Heute findet sie, dass Kurse in wissenschaftlichem Schreiben eigentlich zum Pflichtprogramm im Studium gehören sollten.

Gut und strukturiert schreiben zu können ist für Akademiker eine Schlüsselqualifikation, nicht nur im Studium, sondern auch später im Beruf. Eigentlich ist es erstaunlich, dass Studenten an kaum einer Uni systematisch dieses Handwerkszeug erlernen können. In der Regel müssen sie Glück haben, dass einzelne Professoren und Dozenten Hilfestellung anbieten und Fragen speziell des wissenschaftlichen Schreibens ansprechen. Dabei zeigen die Erfahrungen an den wenigen Unis, die wie die Viadrina Schreibzentren eingerichtet haben, dass solche Angebote dankbar angenommen werden.

Die Viadrina in Frankfurt (Oder) hatte bereits vor Gründung des Schreibzentrums Tutoren zur Schreibförderung eingesetzt. „Ursprünglich richtete sich das Angebot, das vom DAAD gefördert wurde, an Studenten aus dem Ausland“, sagt Katrin Girgensohn, die Leiterin des Schreibzentrums. „Es kamen allerdings von Beginn an auch viele deutsche Muttersprachler.“ Derzeit halten sich deutsche und internationale Studenten in der Sprechstunde die Waage. Heute hat das Zentrum einen eigenen Raum mit Leseecke – weil Lesen zum Schreiben gehört – und dreizehn Arbeitsplätzen, an denen die Studenten in Ruhe arbeiten können. Die Ratsuchenden kommen vor allem aus der kulturwissenschaftlichen Fakultät. „Vermutlich ist dort das Bewusstsein, wie wichtig das Schreiben ist, weiter verbreitet“, sagt Girgensohn, kann sich die geringere Nachfrage aus anderen Fakultäten jedoch erklären. Wirtschaftswissenschaftler beispielsweise schreiben mehr Klausuren als Hausarbeiten, haben manchmal aber umso größere Probleme mit der Abschlussarbeit. Ähnlich sei es bei den Juristen: Sie müssen im Studium keine längeren wissenschaftlichen Texte schreiben, sondern vor allem Falllösungen.

Dass die Professoren und Dozenten das Schreibzentrum für eine sinnvolle Einrichtung halten, ist daran abzulesen, dass die meisten Studierenden auf ihre Empfehlung hin in die Sprechstunde kommen. Aus Befragungen kennt sie auch deren Sicht auf die Schreibschwierigkeiten der Studenten. „Sie sehen die Probleme mit der Struktur und mit dem roten Faden der Texte“, sagt Girgensohn. Auch die Eingrenzung des Themas sei ein häufiges Problem. Einige Dozenten denken, dass die StudentInnen sich zu wenig Zeit für eine Hausarbeit nehmen, anderen fallen stilistische Dinge auf: Manche Studenten schreiben wie sie sprechen.

Matthias Rothe, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kommunikations- und Medienwissenschaften, kennt noch grundsätzlichere Probleme: „Manche Studenten haben Schwierigkeiten, einen grammatisch richtigen Satz zu formulieren.“ Damit meint Rothe nicht etwa internationale Studierende, sondern deutsche Muttersprachler. Mit dem „Peer Tutoring“, der gegenseitigen Hilfe und Anleitung durch Studenten, hat er gute Erfahrungen gemacht. Acht von zehn Teilnehmern, so schätzt er, schreiben am Ende deutlich besser. Dennoch hätten nicht alle seine Kollegen die Einrichtung des Schreibzentrums befürwortet. „Sie setzen einfach voraus, dass Studenten die Kompetenz zu schreiben bereits mitbringen“, sagt Rothe. Vielleicht müsse erst noch das Verständnis dafür geweckt werden, dass es eben nicht so sei. Schließlich sei wissenschaftliches Schreiben ein eigenes Genre.

Dass die Professoren selbst mitunter einen verdrehten, jargonbeladenen Schreibstil pflegen und wenig auf die Leserfreundlichkeit ihrer Texte achten, macht sie manchmal zu zweifelhaften Vorbildern für gelungene Wissenschaftsprosa. Katrin Girgensohn kennt auch dieses Problem – und hat eine Lösung im Visier: Das Schreibzentrum plant bereits Weiterbildungsangebote für das wissenschaftliche Personal.