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Archiv-Artikel

Der Generatorenkonflikt

Mit Volksmusik, Anbiederung und der Aussicht, dass der Zufallsgenerator sie zum Gewinner macht, ködert „Radio Melodie“ aus Bayern alte Hörer, ihr Geld in fragwürdige Gewinnspiele zu stecken

DIE BLM . . .

. . . kurz für „Bayerische Landeszentrale für neue Medien“, beaufsichtigt den privaten Rundfunk in Bayern. Dass Sender wie Radio Melodie Geld mit Anrufen verdienen, hat die BLM schon mehrfach beschäftigt, etwa im Fall der TV-Sender 9live und Deutsches Sport-Fernsehen. Kritiker werfen der BLM einen zu laxen Umgang mit der umstrittenen Anrufpraxis vor. Die Genehmigung, mit der Radio Melodie auf UKW-Frequenzen in Bayern sendet, läuft zum Jahresende ab. Gestern schrieb die BLM die Nutzung dieser Frequenzen neu aus. Ob Radio Melodie darauf weiter senden darf, wird im Dezember entschieden. RAA

VON OLIVER REZEC

Schon die Werbepausen verstören. „Kameradschaft, Heimatliebe: Diese wunderbaren Soldatenlieder wecken Erinnerungen an die schönen Seiten des Kompanielebens.“ Dieser Spot für eine CD-Kollektion verrät viel über die Zielgruppe von „Radio Melodie“: Mehr als die Hälfte der täglich 418.000 Hörer sind älter als 60 Jahre, ein Drittel ist sogar jenseits der 70. Mit einem Wohlfühlbett aus volkstümlicher Musik und Sondersendungen wie „Sudetenland, mein Heimatland“ lockt der bundesweite „Heimatfunk mit Herz“ die Alten zu Telefongewinnspielen, bei denen fraglich ist, ob alles mit rechten Dingen zugeht.

Sehnsuchtsvoll ruft das Horn, ein Frauenduett singt den Namen des Senders ins Gebirge. Gespielt werden die Amigos, die Klostertaler, der Lindner-Patrick, viel Südtirol, viel heiteres Musikantenleben, sonntags auch mal „Großer Gott, wir loben dich“. Das eigentliche Herz des „Heimatfunks“ aber scheint das „Weißblaue Telefon“ zu sein, die Gewinnspiel-Hotline. Über Stunden hinweg werden die Hörer mit der Aussicht auf ein paar hundert Euro oder ein CD-Paket zum Wählen einer 01 37-Nummer aufgefordert. Und mit absurd einfachen Fragen – etwa nach dem Ort, aus dem die Kastelruther Spatzen kommen. Na, der Ort sei doch schon im Namen der Gruppe enthalten, hilft der Moderator: „Fängt mit K an. Kaaastelrrrr… Hmm, ich bin sicher, Sie wissen ganz genau, was damit gemeint ist.“

Was „Radio Melodie“ von anderen Gewinnspielsendern unterscheidet, ist der verschlagen-heimelige Tonfall, mit dem sich die „Radio-Melodie-Familie“ (Selbstbezeichnung der Redaktion) bei den Hörern anbiedert. Das größte Geschick entwickelt dabei Moderatorin Christine Kerler. Die 28-Jährige versteht es, ihr ewiges „Schnell zum Telefon!“ und „Immer wieder von Neuem versuchen!“ dutzendfach mit demselben unerbittlichen Charme zu wiederholen. Und niemand sonst beim Unterföhringer Sender kann so verschwörerisch Dinge raunen wie: „400 Euro, das ist viel Geld! Da können Sie Pläne schmieden … Ich würd’s versuchen an Ihrer Stelle.“

Wer es versucht, landet bei einer automatischen Ansage: „Leider hatten Sie diesmal kein Glück. Versuchen Sie es gerne noch einmal! Dieser Anruf kostet 50 Cent aus dem deutschen Festnetz.“ Die Telekom und „Radio Melodie“ machen halbe-halbe.

„Sie müssen nur a bisserl fleißiger anrufen!“, rügt Moderator Bernhard Ruf die alten Hörer. „Ich bin mir sicher, Sie kommen durch“, flötet Christine Kerler, „es kann jeden Moment so weit sein.“ Doch es wird und wird kein Anrufer durchgestellt – mitunter mehrere Stunden lang. Zwar beteuert Kerler: „Wir haben es nicht in der Hand, wann der Zufallsgenerator jemanden durchschaltet“. Doch wer das Programm einige Wochen lang verfolgt, dem kommen ernste Zweifel.

Ein typischer Wochenend-Vormittag bei „Radio Melodie“: Kurz nach neun wird die Gewinnfrage verkündet, fast eine Stunde später hat sich noch immer kein Anrufer im Studio gemeldet und der Moderator verfällt routiniert in Panik: „Nur noch dreißig Sekunden bis zu den Nachrichten! Machen Sie’s nicht so spannend! Versuchen Sie jetzt noch durchzukommen!“ Die Hektik erweist sich als Irreführung: Zur vollen Stunde endet das Spiel keineswegs – nach den Nachrichten wird es fortgesetzt, als sei nichts gewesen.

Bis wenige Sekunden vor zwölf zieht sich das so hin. Mit dem Teufel müsste es zugehen, wenn ausgerechnet in den letzten Sekunden der dreistündigen Sendung doch noch, rein zufällig, ein Hörer durchkommt. Und genau so geschieht es. Sendung für Sendung, Woche für Woche, mit nur wenigen Ausnahmen.

Bewusste Täuschung als Teil des Geschäftsmodells? Schriftlich teilt „Radio Melodie“ mit: „Seien Sie versichert, dass sowohl unser technischer Dienstleister – die deutsche Telekom AG – als auch unsere Aufsichtsbehörde – die Bayerische Landeszentrale für neue Medien – ihre Kontrollaufgaben sehr ernst nehmen.“

Ob die Telekom ein Interesse daran hat, Spiele zu beanstanden, bei denen sie selbst die Hälfte des Erlöses bekommt, sei dahingestellt. Und die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) sieht sich machtlos: Im Medienrecht (nur für dieses ist die BLM zuständig) gibt es gar keine verbindlichen Vorschriften, wie Telefongewinnspiele im Radio auszusehen haben.

Aber ist ein angeblicher Zufallsgenerator, der so merkwürdig oft in allerletzter Minute zuschlägt, wirklich ein Fall fürs Medienrecht – oder wäre nicht anderweitig zu prüfen, ob da alles legal zugeht? BLM-Sprecher Wolfgang Flieger winkt ab: „Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir sind keine Staatsanwaltschaft.“