: Der dritte Weg zum Hochschulabschluss
QUEREINSTIEG Ohne Abitur an der Universität zu studieren, ist theoretisch möglich – und praktisch unnötig kompliziert. Eine Studie aus Bremen zeigt die Probleme der „beruflich qualifizierten“ Studierenden
VON JAN-PAUL KOOPMANN
Der erste Tag an der Uni ist immer mit Unsicherheit verbunden – für manche mehr als für andere: „Jeder bekommt am Eingang einen Apfel in die Hand gedrückt und irgendwelche Flyer, nur ich nicht. Alle sprachen sich mit Du an, nur ich wurde gesiezt.“ Die Schilderung stammt aus einem Interview mit einem sogenannten „beruflich Qualifizierten“ – jemandem also, der nicht mit Abitur, sondern über eine Berufsausbildung zum Uni-Studium zugelassen wurde.
Und damit ist er ein Sonderfall. Denn obwohl die Kultusministerkonferenz diesen Weg bereits 2009 geebnet hat, machen die Studierenden ohne Abi noch immer weniger als drei Prozent aus. Lässt man die Fachhochschulen außen vor und schaut nur an die Universitäten, sind es sogar nur 0,8 Prozent.
QuereinsteigerInnen sind verunsichert
Was das für die Menschen hinter diesen Zahlen bedeutet, versucht derzeit eine Studie der Uni Bremen zu ergründen. In Zusammenarbeit mit der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung haben Jessica Heibült und Moritz Müller rund 40 Studierende auf dem sogenannten „dritten Bildungsweg“ während ihrer ersten Semester interviewt.
Die meisten der QuereinsteigerInnen beschreiben große Verunsicherung: nicht nur, weil sie kein Abitur haben, sondern auch, weil ihre Schulzeit wegen der Berufsausbildung länger zurückliegt als bei den anderen Studierenden. „Ich hatte Bedenken, ob ich noch lernen kann“, heißt es in einem der Interviews. Das ist mehr als nur eine diffuse Angst.
Heibült sagt, beruflich Qualifizierte täten sich am Anfang tatsächlich oft schwer mit den neuen Zeitstrukturen, der Selbstorganisation und den wissenschaftlichen Inhalten. Allerdings geht das auch vielen so, die auf dem klassischen Weg über das Gymnasium an die Uni gekommen sind. Nur sind die mit ihren Sorgen weniger allein und können mit dem Strom von KommilitonInnen in ähnlicher Lebenslage schwimmen.
Mehr Lebens- und Berufserfahrung
Die gute Nachricht ist, dass das auch den beruflich Qualifizierten nach wenigen Semestern auffällt: „Mit der Zeit erkennt man irgendwann, dass die alle auch nur mit Wasser kochen“, sagt eine der Interviewten. Tatsächlich entdecken die meisten von ihnen sogar Vorzüge ihres Weges: Sie sind älter und verfügen über mehr Lebens- und Berufserfahrung.
Es falle auf, dass die meisten dieser Quereinsteiger sich nach einer Weile als „zielstrebiger, ehrgeiziger und besser organisiert als normale Studierende bezeichnen“, sagt Heibült. Ob das den Tatsachen entspricht, ist für die Erforschung der Lernbiografien nebensächlich – in jedem Fall bezeugen diese Selbsteinschätzungen ein wachsendes Selbstbewusstsein und letztlich auch ein Arrangieren mit dem „Exotenstatus“.
Insgesamt können die bisherigen Forschungsergebnisse also Mut machen, es auf den Versuch ankommen zu lassen. Und vielleicht wichtiger noch: Sie zeigen den Universitäten, wo es Hürden abzubauen gilt. Denn wie sie die Einstiegsmöglichkeiten für beruflich Qualifizierte gestalten, entscheiden die Unis auf Grundlage ihrer Landesgesetze selbst.
Wer sich überregional bewirbt, muss daher auf unterschiedliche Zugangsvoraussetzungen gefasst sein und sich dann auch durch uneinheitliche Informationsangebote der Unis ackern. Auch hier spielt wieder die Unsicherheit eine Rolle: Einige der Interviewten haben vorsichtshalber erst gar nicht genau nachgefragt – aus Angst, so könne auf halbem Wege herauskommen, dass sie doch gar nicht zugangsberechtigt seien.
Orientierung durch „Qualifizierungs-Check“
Hilfe für QuereinsteigerInnen gibt es zumindest von außen: Das Centrum für Hochschulentwicklung und der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft haben gemeinsam die Website www.studieren-ohne-abitur.de ins Leben gerufen, auf der sie die unterschiedlichen Angebote vergleichen. Hier können Interessierte einen „Qualifizierungs-Check“ machen, der ihnen zeigt, in welchem Bundesland ihnen welche Möglichkeiten offen stehen. Zudem versteht sich die Seite als Plattform, auf der sich Betroffene austauschen und Erfahrungsberichte veröffentlichen können. Und über das Internet bundesweit vernetzt, stecken dann auch hinter nur 0,8 Prozent gar nicht so wenige Menschen, die einen Uni-Abschluss ohne Abitur machen wollen.