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Archiv-Artikel

Licht auf die Schattenwirtschaft

KULTURCRASH Zum dritten Mal setzt sich das Festival „Krass“ mit Interkulturalität auseinander. Im Fokus stehen diesmal „Biografien des Verschwindens“ und ökonomische Ausbeutung (und Fußball gibt es auch)

Fünf Millionen leben in Europa ohne Papiere. Mitten unter uns – und unsichtbar

VON ROBERT MATTHIES

Sie haben keinen Anspruch auf soziale Hilfen, Krankenversorgung und Altersvorsorge, können ihre Kinder nicht in die Schule schicken und leben in Furcht vor polizeilicher Verfolgung und Abschiebung. Rund fünf Millionen Menschen leben in Europa ohne gültige Papiere. Mitten unter uns – und dennoch meist unsichtbar.

Zu diesen „Unsichtbaren“, deren Situation andere schamlos ausnutzen, gehört jeder Hundertste: Sie schuften in der Bauindustrie, putzen Büros, kochen im Lieblingsrestaurant, hüten im Haushalt nebenan die Kinder. Eine florierende Schattenökonomie ist das. In der Festung Europa lebt so mancher das schöne Leben auf den Rücken illegalisierter Migranten.

„Diese Unsichtbaren sind das Bodenpersonal des Kapitalismus“, sagt Nikola Duric. „Ihre Situation wollen wir mit künstlerischen Mitteln beleuchten.“ Gemeinsam mit dem bosnischen Regisseur Branko Šimić kuratiert der Dramaturg und Performer der postdramatischen Performancegruppe „Showcase Beat Le Mot“ das interkulturelle Festival „Krass“ auf Kampnagel.

Ab Mittwoch präsentiert es zum dritten Mal eine Mischung aus Theaterstücken, Filmen, Konzerten, Installationen und Performances, die sich mit dem Thema Integration und Interkulturalität auseinandersetzen. „Unsere Herangehensweise ist immer stark beeinflusst von politischen Geschehnissen“, sagt Šimić. „Letztes Jahr war es das Desaster vor Lampedusa, dieses Jahr ist es der zweitgrößte Flüchtlingsstrom seit dem Balkankrieg. Diese Menschen rutschen nun in die Schattenökonomie.“

Ganz und gar nicht gehe es darum, das Thema als Desaster darzustellen. Die „Unsichtbaren“ nur als Opfer zu zeigen, das wäre „zu einfach“, sagt Duric. „Es geht darum, diesen Menschen zu zeigen, welche Rechte sie haben und Überlebensstrategien durchzudeklinieren und zu üben.“

„Unsichtbar“ heißt die Inszenierung, die Šimić und Duric entwickelt haben. Im Mittelpunkt stehen drei authentische persönliche Geschichten, drei Biografien des Verschwindens. Eine Reinigungskraft, ein Bauarbeiter und eine Küchenhilfe hat Šimić für gewinnen können, die ihre Geschichte erzählen. Auf der Bühne bleiben die wirklichen Menschen allerdings unsichtbar – um sie zu schützen.

Aber auch die SchauspielerInnen, die stattdessen in ihre Rolle schlüpfen, seien „Fremde, die ihren Platz in der Welt suchen“, erzählt Šimić. Gerade erst sind Ana Franjcevic und Drazen Pavlovic aus Bosnien gekommen. Das Land haben auch sie „aus ökonomischen Gründen“ verlassen, sagt Šimić.

Einfach Einzelschicksale auf die Bühne zu stellen, finden die beiden Theatermacher uninteressant. Reflektiert wird das Festival-Thema deshalb durch Tänzer, die choreografisch neue Dimensionen und Energien finden sollen, und poetische Texte Duric’. „Mir sind offene Formate wichtig“, sagt Šimić. „Wir wollen nicht nur inhaltlich Bruchstücke zeigen.“

Wichtig ist Šimić und Duric aber auch, tatsächlich politisch etwas zu bewegen. Als Nebenprojekt gibt es deshalb zur Eröffnung einen „Markt der Schattenwirtschaft“: eine Tauschbörse für die „Unsichtbaren“, von denen drei derzeit auf dem Kampnagel-Gelände im Projekt „Eco Favela“ leben, andere in Wohnprojekten auf St. Pauli.

„Diese Menschen haben das Problem, dass sie kein Geld verdienen dürfen“, sagt Duric. „Aber sie haben Skills.“ Und so bieten nun ein Designer und Schneider, ein Bannermaler und eine Köchin ihre Dienste an, zwei andere geben Fußballunterricht. Im Tausch gegen ganz praktische Dinge: einen Behördengang, ein Mobiltelefon, eine Monatskarte für den HVV.

Die Idee ist nicht neu, das gibt Duric zu. „Aber wir wollen sie mal ins Gedächtnis zurückrufen.“ Denn die Hamburger seien eigentlich hilfsbereit. „Es gibt hier tatsächlich eine Willkommenskultur“, sagt Duric. „Aber all diese Menschen wissen nicht, wie sie helfen können. Das ist eine ganz praktische Möglichkeit.“

Nach Hamburg einladen konnten die Krass-Macher angesichts knapper Kassen nur wenige Projekte: Adnan Softić’ und Ilhana Verems Theaterinstallation „Bibby Challenge“ greift – basierend auf Material der Fotojournalistin Marily Stroux – die Situation auf den Altonaer Flüchtlingsschiffen „Bibby Challenge“ und „Bibby Altona“ auf, auf denen Softić und Verem in den 1990er-Jahren selbst lebten.

Katharina Schröter hat sich für ihren Film „The Visitor“ durch die Metropolen Mumbai, Shanghai und São Paulo treiben lassen und ist mit der Kamera außergewöhnlichen Menschen näher gekomen – ganz ohne Worte. Und das Maxim-Gorki-Theater ist mit Hakan Savaș Micans „Schwimmen lernen“ zu Gast.

Vor allem aber freut sich Šimić auf das Konzert der slowenischen Band Laibach: Die haben in den 1990ern das Problem der Papierlosigkeit ja ganz praktisch gelöst: Einen Staat gegründet und selbst Pässe gedruckt.

■ Mi, 11. 2. bis Sa, 21. 2., Kampnagel