: Er war es nicht
ALIBI In „Histoire de Judas“ erzählt Rabah Ameur-Zaïmeche die Geschichte anders (Forum)
Judas war’s nicht. Er hat ein Alibi. Weil er Schriftrollen verbrennt, sticht ihn der Schreiber nieder. Und nun liegt er ohne Bewusstsein auf seinem Lager in einer dunklen Kammer, das Blut sickert durch den Verband. Wie und wo die Römer Jesus verhaften, bleibt im Off der Erzählung. Genauso wie die Kreuzigung. Sie ist schon geschehen, als Judas wieder zu Sinnen kommt. Vom Tod Jesu erfährt er post festum, aus dem Mund des heiligen Narren Carabas, während dieser auf dem Kalvarienberg unter großem körperlichen Einsatz die leeren Kreuze umstößt.
So geht, zusammengefasst, das apokryphe Evangelium des Pariser Filmemachers Rabah Ameur-Zaïmeche, dem er in seinem Beitrag „Histoire de Judas“ Gestalt verleiht. Es ist ein ruhiger, sanfter Film. Gedreht hat Ameur-Zaïmeche in der Wüste von Algerien; deswegen gibt es viele Panoramatotalen sandig-steinigen Ödlands und Ansichten von Häusern aus ockerfarbenem Stein. Sehr schön sind gleich die ersten Szenen, in denen Judas zur Einsiedelei des fastenden Jesus aufsteigt. Er nimmt Jesus huckepack, steigt vorsichtig ab und verschwindet hinter einer kaum sichtbaren Anhöhe. Kaum sind die beiden so weit abgestiegen, dass man sie nicht mehr sieht, löst sich die Kante der Anhöhe in der monochromen Fläche des Bilds auf. Sehr schön sind auch die Stoffbahnen aus grobem Leinen, die die Figuren umfließen und für ein konstantes Versteckspiel der Gesichter sorgen. Und schön ist der Anachronismus, der sich daraus ergibt, dass die Römer zwischen Mosaiken residieren, die aussehen, wie römische Mosaiken heute aussehen: nur in Bruchstücken erhalten. Sie verhören Jesus in einer Tempelanlage, der man ansieht, dass sie mehr als 2.000 Jahre alt ist. Einzelne Säulen ragen auf, die Dächer fehlen, auf dem Boden liegen Trümmer. Dass Jesus zu Pontius Pilatus sagt, er solle sich umsehen, sein Reich sei nichts als eine Ruine, verwandelt das unausgesprochen Sichtbare in eine etwas zu offensichtliche Replik.
Außer der Rehabilitierung der vom Regisseur selbst gespielten Hauptfigur hat „Histoire de Judas“ keine Absicht; manchmal meint man, einen leisen antikolonialen Unterton zu hören, manchmal fallen Schlüsselsätze – wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein, mein Reich ist nicht von dieser Welt –, aber meistens kann man einfach nur staunen über das Licht, die Körper, die Stoffe oder die weichen, dichten Haare in den Ohren eines Eselfohlens. CRISTINA NORD
■ 7. 2., CineStar 8, 13.45 Uhr; 8. 2., Kino Arsenal 1, 17.45 Uhr