: Magische Momente im 106er Bus
KONTAKTBÖRSE Die Partnersuche im Takt des Personennahverkehrs: Seit dem Valentinstag 2007 gibt die BVG dabei mit „Meine Augenblicke“ Nachhilfe
■ Der Valentinstag ist nicht, wie manchmal gern geglaubt wird, eine Erfindung der Blumenhändler und Schokoladenfabrikanten. Diese Berufsgruppen aber verhalfen dem „Tag der Liebenden“ am 14. Februar erst durch ihre entschiedenen Werbemaßnahmen zu seiner Prominenz im deutschen Sprachraum.
■ Der Valentinstag hat einen christlichen Ursprung. Von Papst Gelasius I. wurde er 469 für die Kirche eingeführt, 1969 jedoch wieder aus dem römischen Generalkalender gestrichen. In Saudi-Arabien ist der Valentinstag verboten.
■ Weil man Beziehungsfragen wohl besser nicht auf einen Tag allein konzentriert, gibt es in der Urania gleich eine Valentinswoche. Die startet am Donnerstag um 19.30 Uhr mit der Frage: „Können Frauen und Männer einander verstehen?“ Am Freitag wird unter anderem die „Eifersucht“ thematisiert, am kommenden Samstag, dem Valentinstag, wird gefordert: „Make (more) Love“. Programm: www.urania.de (tm)
VON BARBARA BOLLWAHN
Verkoppeln gehört bei den Berliner Verkehrsbetrieben zum Tagesgeschäft. Lokomotiven und Wagen werden miteinander verbunden, damit die Fahrgäste an ihr Ziel kommen. Aber die BVG verkuppelt auch Menschen. Das passiert weder pneumatisch noch elektrisch oder mechanisch, sondern virtuell. Und die Anstalt des öffentlichen Rechts gibt Männern und Frauen, die sich unter den täglich 3,5 Millionen Fahrgästen begegnen und nicht trauen, den ersten Schritt zu machen, auch noch eine zweite Chance. Statt „Zurückbleiben bitte!“ heißt es: „Halten Sie Ihren magischen Moment bei uns schriftlich fest.“
„Meine Augenblicke“ nennt sich der Service bei der Netzpräsenz der BVG für die Benutzer der U,- S,- Straßen- und Regionalbahnen, Busse und Fähren. „Ein schüchternes Lächeln am Fahrkartenschalter, ein Augenaufschlag an der Endstation – oft reicht ein einziger, magischer Moment, um eine Bekanntschaft fürs Leben zu schließen“, wirbt die BVG. „Wenn sich Ihr Augenblickpartner anhand Ihrer Beschreibung wiedererkennt und angesprochen fühlt, kann er oder sie Ihnen eine Nachricht schicken.“
Berliner Herzblut
Im Schnitt nutzen pro Jahr zwischen 1.500 und 2.000 Fahrgäste die amouröse Steilvorlage. Ein Fahrschein ist nicht nötig, nur eine Registrierung auf der Seite der BVG. Nicht wenige beschränken sich auf knappe Schilderungen wie: „Suche nach meinem wunderschönen Gegenüber mit ‚Berliner Herzblut‘ (hätte dich beim Aussteigen nicht nur anlächeln, sondern auch ansprechen sollen).“
Selbst wenn sich Fahrgäste regelmäßig sehen, macht das den ersten Schritt nicht unbedingt leichter. Auch davon erzählen viele Anzeigen: „Wir fahren fast jeden Morgen mit dem gleichen Bus um 6.42 Uhr ab Alboinstraße. Ich freue mich jedes Mal, dich zu sehen und ich weiß nicht, ob du es genauso siehst. Du hast immer Kopfhörer im Ohr und ich bin mir nicht sicher, ob ich dich so einfach ansprechen soll, deshalb habe ich diesen Weg gewählt.“ Oder im 106er Bus: „Wir sehen uns beide fast jeden morgen an der Bushaltestelle und im Bus. Ich muss leider weiterfahren, wenn ich zur Arbeit will. Ich hoffe, du fühlst dich angesprochen und weißt, wer ich bin. Würde mich freuen, wenn du dich meldest, egal wie. Ob hier oder an der Bushaltestelle oder im Bus.“
Wie ein Voyeur kann man bei der Lektüre der Gesuche, für die keine Registrierung nötig ist, tiefe Blicke in Großstadtherzen werfen. „Meine Augenblicke“ gibt es seit dem Valentinstag 2007, das verflixte siebte Jahr ist überstanden. „Ab und an rief jemand an, der jemanden gesehen hatte und wollte, dass wir einen Kontakt herstellen“, beschreibt Pressesprecherin Petra Reetz die Entstehung. Weil das aus Datenschutzgründen nicht geht und weil auch BVGler schon verpasste Momente erlebt hatten, entstanden die virtuellen Augenblicke. Petra Reetz kennt das ebenfalls. Vor vielen Jahren saß sie in einer Regionalbahn und hatte „einen ewigen Blickwechsel“ mit einem Mann. Als er eine Station vor ihrem Ziel ausstieg, forderte eine ältere Dame sie resolut auf: „Steig aus!“ Petra Reetz blieb sitzen. „Das ist mir sehr lange im Kopf herum gespukt“, sagt sie.
Dass die Lektüre der Botschaften so kurzweilig ist, liegt daran, dass von nüchtern, rührend, traurig und lustig alles dabei ist. „Wir warteten gemeinsam auf den Nachtbus am Walter-Schreiber-Platz, ich hab die ganze Zeit überlegt, dich anzusprechen. Auf einmal wurde auf der anderen Straßenseite einer singenden Frau ein Eimer Wasser über den Kopf gekippt. Du musstest lachen und hast mich kurz angesprochen. Leider kam gerade da mein Bus und ich musste weg.“ Sehr speziell ist die Begebenheit einer Frau unter dem Betreff „Hab dir auf die Schuhe gekotzt“: „In einer typischen Berliner Weiß-Nicht-Mehr-Nacht, glaub, es war August. Du hast mir die Haare während des Kotzens aus dem Gesicht gehalten und mich in den Nachtbus begleitet, ich hab mich an dir festgehalten. Bin Sonnenallee, wie auch immer, ausgestiegen ohne mich zu bedanken. Das würd ich gerne nachholen.“
Süßes Lächeln im Nachtbus
Busfahrer scheinen bei weiblichen Fahrgästen hoch im Kurs zu stehen, so viele Nachrichten werden für diese Berufsgruppe verfasst. So wie die von Maria: „Ich bin 00.34 Uhr mit dem Nachtbus N50 gefahren und fand den Fahrer sehr interessant. Als ich an der Endhaltestation war und er anhielt, öffnete er nur die vordere Tür und lächelte sehr süß. Ich war einfach zu feige, auf ihn zuzugehen und hatte nicht mal ’nen Zettel oder einen Stift bei und das wurmt mich so sehr, weil ich ihn schon gerne angesprochen hätte.“
Und auch Busfahrerinnen sind begehrt. „Ich stand an der Verkehrsampel vor dem Bundesministerium für Finanzen, Wirtschaft und Technologie“, schreibt ein Mann, der einen Sattelzug fuhr, „als ein BVG-Bus mit einer netten, lächelnden Fahrerin Richtung Hauptbahnhof abbog. Sie war so freundlich, dass sie mir aus ihrem Fahrzeug zuwinkte und ich den Moment ganz klasse fand. Ich hatte gestern gleich die BVG kontaktiert und sie musste mir mitteilen, dass sie meine Kontaktdaten nicht weiterleiten könne. Schade, diese gutaussehende blonde Busfahrerin würde ich gern wiedersehen“.
Bei so viel Sehnsucht und Herzschmerz bleibt die Frage, ob sich verpasste Augenblicke wirklich nachholen lassen. „Es gab ein, zwei Rückmeldungen, mehr nicht“, sagt Pressesprecherin Reetz. Enttäuschend findet sie das nicht. „Absolute Diskretion ist das oberste Gebot.“ Reetz glaubt, dass eine Suche nur dann erfolgreich ist, „wenn beide was gespürt haben“.
Und wenn das mal der Fall gewesen ist, hat die BVG auch in ihren Geschäften ein Produkt im Angebot, das wunderbar zu ihren Kuppeldiensten passt: weiß-gelbe Babylätzchen mit dem Aufdruck „Nahverkehrsprodukt“.