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Archiv-Artikel

Weltbilder prallen aufeinander

Ein Bewusstseinsteppich rund um Staatsmacht und Widerstand und eine Liebesgeschichte: Ulrich Peltzers neuer Roman „Teil der Lösung“

VON CHRISTOPH SCHRÖDER

Zu Beginn ist alles eher noch ein Spaß: Die Shopping Mall am Potsdamer Platz, Sony Center, eine Gruppe von vier Leuten: Zirkusdirektor, Clown, zwei Ballerinen, die für die Überwachungskameras eine kurze Einlage geben, Flugblätter verteilen, bevor sie vom privaten Sicherheitsdienst vom Gelände vertrieben werden (keine Genehmigung, privater Grund und Boden). Noch gehen sie ohne Gegenwehr, doch der Prolog lässt anklingen, dass hier etwas im Gären ist, „bleiben Sie wachsam, meine Damen und Herren“, ruft der Clown, dann ist alles vorbei.

„Entweder bist du Teil des Problems, oder du bist Teil der Lösung.“ Dieser Satz des RAF-Terroristen Holger Meins markiert das Gelände, auf dem sich Ulrich Peltzers neuer Roman bewegt: Es geht um zunehmende Radikalisierung und um einen sich formierenden Widerstand, der auch vor Gewalt nicht zurückschreckt; es geht um all das, was in den vergangenen Jahren als modischer Diskurs aufgegriffen wurde: Globalisierung und Kapitalismuskritik, den öffentlichen Raum und dessen Privatisierung. Und es geht, das nicht nur nebenbei, um die Liebe und um Berlin.

Ulrich Peltzer hat mit „Bryant Park“ den wohl besten literarischen Beitrag zu den Anschlägen des 11. September geschrieben (die ihm sozusagen während der Arbeit an seinem Buch in die Quere kamen); er ist ein viel zu kluger Autor, um einen Gegenwartsdiskurs, der ja von Beginn an auch Lifestyle war und zugleich eine Mischung aus wohlfeiler Attitüde, kruden Verschwörungstheorien und Wahrheit, Ausdruck einer vermeintlich kritischen urbanen Lebensmentalität, in einen platten Thesenroman zu verpacken. Er bleibt stets ganz dicht an seinen Figuren und gibt ihre Gedankenstrukturen ungefiltert, aber sprachlich aufpoliert wieder.

Da ist Christian Eich, Mitte dreißig, freier Journalist, der sich, wie könnte es anders sein, mit Geldproblemen plagt und ein klassischer Vertreter jenes akademischen Prekariats ist, das in Berlin, wie der Klappentext behauptet, „ganze Stadtviertel besiedelt“. Überhaupt ist „Teil der Lösung“ auch ein facettenreiches, implizit erzähltes Stadtporträt. Christian, der den bewaffneten Kampf gegen die Staatsmacht nur als mediale Bilderwelt kennt, recherchiert für eine Story über die roten Brigaden, deren Mitglieder in den Siebzigerjahren in Italien kämpften. Christians bester Freund Jakob, Lehrbeauftragter für Germanistik und in seiner gesicherten Existenz der Gegenentwurf zu Christian, soll diesem entsprechende Kontakte vermitteln.

In Jakobs Büro lernt Christian zur gleichen Zeit Nele kennen, eine Studentin, die voller Wut steckt; eine der beiden Ballerinen aus dem Prolog am Potsdamer Platz, wie sich nach und nach herauskristallisiert, die bereit ist, für ihre Überzeugungen auch mit gewaltsamen Aktionen einzutreten, obwohl sie, ohne es zu wissen, längst im Fadenkreuz des Verfassungsschutzes steht.

Höchst geschickt montiert Ulrich Peltzer Perspektiven gegen- und ineinander, und das in einer mitreißenden Technik von schnellen, assoziativen Schnitten und Gedankensprüngen. Weltbilder prallen aufeinander, ideologische Grenzlinien werden vermessen: Christian, Jakob, Nele, die Verfassungsschützer, alle scheinen auf ihre Weise im Recht zu sein: „Ein ganzes Land“, denkt Nele, „das nicht erträgt, wenn etwas auch nur einen Millimeter vom Weg abweicht. Aber sich die Turnschuhe in Vietnam für Hungerlöhne zusammennähen lassen, in solchen Fabriken ohne Lüftung und Licht, damit haben sie kein Problem.“ In Sätzen wie diesen scheinen Anspruch und Fragwürdigkeit einer ganzen Bewegung auf – sie sind ebenso kurzgeschlossen wie griffig, ebenso wahr wie naiv.

Peltzers Roman legt quasi einen Bewusstseinsteppich aus, ein Flickwerk von Mentalitäten, Thesen und Idiosynkrasien; die ganze Welt, jeder ihrer Bestandteile, wird als kommerziell verwertbare Bühne entlarvt oder in eine solche umgedeutet – auch in der durchgehaltenen Ambivalenz liegt die Kunstfertigkeit des Romans: Die Machtlosigkeit, die Erkenntnis, an den bestehenden Verhältnissen nichts verändern und noch nicht einmal Organisationsstrukturen bilden zu können, ist manifest. Die Frage ist nicht nur, ob man Teil der Lösung sein kann, sondern vor allem, ob es eine Lösung gibt. Unterschwellig verhandelt Peltzer permanent derartige Problemstellungen – neue Armut, Ausgrenzung, die Fragilität eines Lebenszustandes.

Jene Fragilität betrifft im Übrigen auch die Gefühle. Denn „Teil der Lösung“ ist, zunehmend drängend, auch die Geschichte der Liebe zwischen der zornigen Nele und dem aus seiner Alltagsapathie erwachenden Christian; eine subtil und glaubhaft erzählte Liebesgeschichte, die am Ende, in Paris (der Stadt der Liebe, ausgerechnet!), wohin Nele Christian zu einem Treffen mit einem Kontaktmann begleitet, wiederum beinahe an einem moralischen Disput scheitert. Auch auf diese Beziehung, so muss man annehmen, hat der Verfassungsschutz bereits ein Auge geworfen.

Ulrich Peltzer: „Teil der Lösung“. Ammann Verlag, Zürich 2007, 457 Seiten, 19,90 €