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Archiv-Artikel

Ein Klecks Genügsamkeit

PFLEGE Scharf und streifenlos: Ajona ist anders. Die Zahncreme in der roten Tube erfindet sich nie neu. Das macht sie beliebt

VON FELIX ZIMMERMANN

Die Menschen verbrauchen jedes Jahr nur gut zweieinhalb Zahnbürsten, da geht noch was. Deshalb setzen die großen Player allerhand ein, produzieren Zahnbürsten, deren Borsten ausbleichen, um nach wenigen Wochen zum Nachkauf anzuregen. Sie haben das Kugelgelenk erfunden, den Schwingkopf, Noppen für die Zungenreinigung – die Plastikstäbe umgibt das Versprechen immer saubererer Zähne, was nicht unbedingt in Zusammenhang zu bringen ist mit dem, was Zahnärzte so sehen in Zahnzwischenräumen.

Das Geschäft mit den Zähnen ist ein Milliardenmarkt, bestimmt von ein paar Riesen: GlaxoSmithKline, Colgate-Palmolive und Gaba. Will man sie besuchen, muss man Geheimhaltungserklärungen unterschreiben und wird doch nicht ins Firmeninnere vorgelassen. Sie jagen sich die neuesten Entwicklungen ab, selbst die Zahnbürstenverpackungen tragen ein gutes Dutzend Patente.

Adolf Steffen macht da nicht mit in seinem holzvertäfelten Büro im Gewerbegebiet von Leinfelden bei Stuttgart. Er trägt eine zart geblümte Krawatte und einen sauber gestutzten Vollbart. Seit sieben Jahren ist er der erste angestellte Geschäftsführer der Dr. Rudolf Liebe Nachf. GmbH & Co. KG. Dort wird Ajona hergestellt, die kleine unter den Zahncremes. Die in der roten Tube, die man kennt, weil Oma sie immer im Kulturbeutel hatte, wenn sie zu Besuch kam. Ein Tübchen, rot, mit einem ebenso roten Hütchen drauf und dem denkwürdigen Hinweis: „Bitte sparsam verwenden. Eine linsengroße Menge genügt.“

Dieser Satz ist eine Revolution, er hält die Kundschaft dazu an, das Produkt zurückhaltend zu verbrauchen. Schön langsam, als wolle Dr. Liebe davon nicht zu viel verkaufen. Beherzigt man das, verbringt man eine ganze Weile mit seinem 25-Milliliter-Tübchen Ajona aus Aluminium. Sie begleitet einen, bis sie Falten wirft. Wenn sie leer ist, fällt der Abschied fast ein bisschen schwer. Wobei der Ratschlag, sie sparsam zu verwenden, natürlich auch mit der Eigenart zu tun hat, die Ajona ausmacht: Die Zahncreme, die schneeweiß und ohne Streifenoptik aus der Tube fließt, ist ein Konzentrat, entwickelt und erstmals angerührt vom Unternehmensgründer Rudolf Liebe, dessen Unterschrift noch jede Tube ziert.

Aus dem Sudetenland kam er nach dem Krieg ins Schwäbische, die Familie hatte im böhmischen Tetschen – heute Decin – eine Firma, die Hustensäfte anrührte. Was Liebe dazu brachte, nach der Flucht ins Zahncremegeschäft einzusteigen, bleibt unklar, jedenfalls aber geschah es in Stuttgart-Möhringen. Zum Gründungsmythos gehört – ähnlich der Apple’schen Garage in Kalifornien – eine Scheune, in der Liebe, gelernter Chemiker, mit diversen Zutaten hantierte, ehe 1952 das entstand, was er Ajona nannte. Das erste Zahncremekonzentrat der Welt, wie das Unternehmen verkündet. Hineingerührt werden ätherische Öle wie Eucalyptol, Thymol und Krauseminzöl. Im ganzen Firmengebäude – die Scheune gibt es lange nicht mehr – riecht es danach, scharf und rein und irgendwie gesund, die Augen tränen fast, wenn man Steffen im weißen Kittel und mit Papierhaube in die Produktion folgt. In Edelstahlbehältern mischen die Mitarbeiter die Creme, die Grundlage ist Kreide, die als Putzkörper überzeugende Eigenschaften habe, sagt Steffen. Der RDA-Wert – der den Abrieb angibt – ist niedrig, laut Studien viel geringer als bei anderen Cremes. Die Öle sollen antibakteriell wirken, Steffen sagt: „In der Natur schützen die ätherischen Öle die Pflanzen vor Pilzbefall und Schädlingen, das nutzen wir.“

Bis 1978 wurde die Firma von Rudolf Liebe und nach seinem Tod von seiner Frau geführt. Ein Familienbetrieb bis heute, die beiden Liebe-Söhne schauen ab und zu vorbei, 25 Mitarbeiter sind mit Ajona und den Schwesterprodukten beschäftigt. Als sie neulich die 10-Millionen-Euro-Umsatzmarke geschafft haben, gab es im Garten ein Grillfest.

Ajona hat sich eine Nische geschaffen, in der sie sich, sagt Steffen, „sehr wohl fühlen“. Die Großen kämen nie darauf, ein Konzentrat zu verkaufen, weil Sparsamkeit für die Umsatzmilliardäre ein doofer Grundsatz ist.

Ajona Stomaticum, so heißt die Zahnpasta mit vollem Namen. Woher Ajona kommt und was es heißt? Steffen weiß es nicht, „nur ein Name“, sagt er, den sich Rudolf Liebe wohl in seiner Scheune ausgedacht hat. Stomaticum dahinter ist der etwas überhöht wissenschaftlich klingende Hinweis darauf, dass es sich um ein Mundpflegemittel handelt, Stoma kommt aus dem Griechischen und heißt Mund. Das war der erste Marketingtrick des Dr. Liebe, ansonsten wird nicht viel in Slogans geredet. Die Tube ist klein; damit sie auffällt, haben sie einen Pappkasten entwickelt, den die Regaleinräumer in der Drogerie nur aufreißen müssen, dann steht eine Batterie Ajona-Tuben aufrecht da, ein roter Klecks im vielen Weiß, das die Signalfarbe der Consumer-Healthcare-Produkte ist, weil weiß so nach Medizin aussieht.

An der Rezeptur, die im Safe liegt, haben sie in all den Jahren nur ein bisschen verändert. Die viel kritisierten PEG-Derivate als Emulgator, um Wasser und Öl zu vermischen, haben sie ersetzt, vom Natriumlaurylsulfat als Emulgator wollen sie nicht lassen. Dessen Verwendung hat die Zeitschrift Ökotest immer mal moniert, aber Steffen sagt, das sei nun mal „der klassische Zahncremeemulgator“ – und schädlich ist er nicht, wenn man nur wenig Zahncreme auf die Bürste drückt.

Sie könnten einen Kult aus der Marke machen, alles rot einfärben, so wie Nivea das jetzt mit seinem Blau macht, die Scheune nachbauen. Aber daran denkt Steffen nicht. Kult? Nächstes Jahr, wenn Ajona fünfzig wird, wollen sie höchstens einen ajonaroten Motorroller verlosen. Und sonst weiter Tube um Tube füllen, 70.000 Stück am Tag.