: „Anfangs gab es viele Kämpfe“
AUSSTELLUNG In der Frankfurter Schirn eröffnet eine große Retrospektive der Kunst von Ed und Nancy Kienholz. Ein Gespräch in Hope, Idaho
Der Name Kienholz ist noch nicht vergessen, aber das Werk ist nicht mehr sehr präsent. Kühn bis monströs engagiert und jahrmarkthaft – in Frankfurt probiert man einen frischen Blick auf das Werk von Ed Kienholz, von 1960 an. Eröffnung ist heute. Die künstlerische Partnerschaft von Ed und Nancy Reddin Kienholz begann 1972 und endete erst mit Eds Tod 1994.
Lange hat man nach einem Begriff gesucht für eine Kunst, von der die Schirn behauptet, sie weise voraus auf das Werk von Thomas Hirschhorn und Jonathan Meese. Erst sprach man von „Environments“, dann von „Assemblagen“. Es sind jedenfalls Realitätsfragmente und/oder Collagen in der dritten Dimension, die sich auf bekannte Stationen der Menschheit beziehen, wie das Krankenzimmer, die Bar, die Mainstreet und das Bordell.
Ed, 1927 geboren, war das Klischee des frontiersman, bärenstark, trinkfest. Er war aber auch ein Provokateur und Rollenspieler. Als Vater zweier Kinder hatte er einen Vormundschaftsprozess gewonnen, als er Nancy Reddin traf, Jahrgang 1943, Tochter des Polizeichefs von Los Angeles, die, als junge Frau geschieden, selbst ein Kind in die Ehe Kienholz einbrachte. Als der DAAD in Westberlin 1973 die Kienholz einlud, kamen sie also zu fünft.
Befeuert durch Flohmarktfunde, den Kalten Krieg, durch die europäische Offenheit für die surreale Form, entwickelten beide als Künstlerpaar ein dynamisches, figürliches, politisches Werk, schließlich pendelnd zwischen dem Atelier in Westberlin und den Holzhäusern von Idaho.
■ Infos: www.schirn.de
INTERVIEW ULF ERDMANN ZIEGLER
USA. Hope, Idaho. Nancy Reddin Kienholz, überlebende Künstlerin, empfängt Freunde, Museumsleute und Kunstkritiker in der Bar ihres Studios. Sie blickt, im Vorfeld der großen Retrospektive in Frankfurt, zurück auf ein ziemlich aufregendes Leben.
taz: Frau Kienholz, als Ihr Mann, Ed Kienholz, starb, 1994, was haben Sie sich damals vorgestellt, wie die Zukunft aussehen würde?
Nancy Reddin Kienholz: Wir hatten gerade angefangen, die Whitney-Retrospektive vorzubereiten. Es waren noch zwei Jahre, aber es gab sehr viel Arbeit. Das musste ich dann allein machen. Das war wirklich unfair von ihm, mich alleinzulassen!
Sie haben an Hope, Idaho, festgehalten. Wie ist diese Community entstanden?
In den siebziger Jahren. Im Sommer kamen Freunde aus Los Angeles, aus Texas, aus Deutschland. Erst waren sie unsere Besucher, aber es hat ihnen gefallen, also haben sie sich Sommerhäuser gebaut, wie Monte und Betty Factor aus L. A., die das Seegrundstück auf der anderen Seite der Straße haben. Keiner ist hier geboren oder zur Schule gegangen. Wir sind Außenseiter, aber ziemlich viele.
Sie haben sogar eine Sommergalerie unterhalten, mit sehr merkwürdigen Öffnungszeiten: mittwochnachmittags. Wie kam es denn dazu?
Carreer Day in der Schule in Clark Fork. Frage an die Klasse, was man von Beruf werden wollen. Da antworteten von 14 Jungen 13: Lastwagenfahrer. Deshalb hatten wir hier eine Sommergalerie eingerichtet, die wir 25 Jahre betrieben haben. Wir wollten die Leute von Hope auf andere Gedanken bringen. Zu den Eröffnungen kamen mehr Leute, als überhaupt am Ort leben. Es gab aber nie Kienholz zu sehen, nur die Arbeit von Künstlern, die wir eingeladen haben. Ed hatte eine starke Beziehung zu jüngeren Künstlern, und wir haben sie auch gesammelt.
Zurzeit unterhalten Sie für Ihre Besucher – für uns – einen Hotelbetrieb mit Vollpension. Wie haben Sie das gemacht, als die künstlerische Produktion voll im Gange war – da kann man doch nicht immer Gäste haben?
Nach fünf Uhr. Und die Regel gilt eigentlich immer noch. Dann trifft man sich – in der Bar.
Das mit der Künstlercommunity – ist es einfach passiert?
Ja. Die meisten unserer Freunde sind übrigens Sammler. Sie verstehen wirklich, was man tut. Als Künstler stürzt man sich auf ein Problem – dass ein Kind ausgesetzt wird, zum Beispiel –, und alle Sorge geht ein in das Werk. Man gibt sie mit dem Werk an den Sammler weiter. Der Sammler muss sich dann kümmern, mit dem Werk leben, es erklären können. Die Sammler übernehmen.
Und Sie sind’s los.
Wir sind es los.
Sie sind über Jahrzehnte gependelt, zwischen Berlin, Meinekestraße und Hope, Idaho. Wann waren Sie zuletzt in Berlin?
Im Oktober vergangenen Jahres. Meine gewohnte Zeit war aber immer das Frühjahr gewesen, März bis Juni, am Fourth of July war ich wieder in Idaho. Den Winter verbringe ich jetzt in Houston, wo ich ein Haus habe.
Offensichtlich waren sich die Kienholz über Berlin nicht einig – nach 1989.
Ich wollte bleiben, und Ed wollte weg. Ich habe ihm dann das Versprechen abgenommen, für fünf Jahre das Atelier nicht aufzugeben. Ich bin in Berlin mehr zu Hause als etwa in Houston.
Auch wenn es sich sehr verändert hat.
Ich bin immer noch ein Westberliner. Wirklich! Ich halte am Westen fest, ich will nicht im Osten der Stadt leben. Im Westen sind die Freunde, und viele sind dort geboren. Ich passe dahin. Wie Sie wissen, beschweren sich Berliner über alles. Ich auch.
Sie gehören also dazu.
Unbedingt.
Westberliner waren auch elitär, haben sich in immer denselben kleinen Gruppen getroffen und abgeschottet. Selbstverständlich Avantgarde.
Das könnte sein. Als wir kamen, wurden wir aufgefangen vom DAAD. Wir schlossen Freundschaft mit George und Edie Rickey, er mit dem Atelier am Bundesplatz und wir in der Meinekestraße. Mit Rickey konnte man wirklich diskutieren, und Edie – die trug Federboas, aber ich meine wirklich Boas. Eine großartige Köchin. Wir brachten unsere drei Kinder mit – Noah, Jenny, Christine –, aber nicht pünktlich zum Schuljahr, und der jüngere Sohn der Rickeys war auch noch dort. Angsteinflößend war das, eine Stadt, die umstellt ist von 250.000 Soldaten, es war spannend, und ich habe die Mauer fotografiert. Das war meine Art, damit umzugehen. Alle waren zusammen eingeschlossen, in der Falle. Vielleicht würden einen irgendwann die Russen holen, aber man hielt zusammen. So war Westberlin eine der sichersten Städte der ganzen Welt. Gehst morgens um drei die Straße runter, als Frau allein – kein Problem. Das war nicht überall auf der Welt so, und ich weiß nicht, ob man darauf jetzt noch rechnen kann.
Sie haben jedenfalls gelernt, sich zu beschweren.
Es war keine Kleinigkeit, der Umgang mit den Berlinern. Mein erster deutscher Satz lautete: „Ich bin Erster.“ Denn wenn man sich anstellte und nach vorn zehn Zentimeter Platz ließ, drängelte sich jemand rein! Es war echt grob, ich meine, die schoben einen vom Bürgersteig herunter – kein Witz. Mein Güte, wo ich aufgewachsen bin, in Kalifornien, da hatte man „höflich“ zu sein, den anderen „zugewandt“. Die Berliner Lektion war: Wer zuerst kiebig wird, gewinnt. Ganz anders, wenn die Sonne herauskam, dann lächelten dich plötzlich dieselben Leute an, die dich den Tag zuvor noch bekämpft hatten.
In Berlin gab es 1974 gravierende Probleme mit der Arbeit „Still Live“, die als Besuchererschießungsmaschine deklariert war. War Ed Kienholz ein Waffenfreak?
Er hatte eine Sammlung von Gewehren. Und er war Jäger. Er war extrem versiert im Handeln und im Tauschen. Er hat nie eine automatische Waffe besessen, aber Jagdgewehre hatte er etliche.
Als Sie in Eds Leben kamen, glauben Sie, dass sich seine Sicht auf Frauen geändert hat?
Auf jeden Fall. Da gab es eine Menge Kämpfe, anfangs. Was ich allerdings einsehen musste, war, dass das Wichtigste die Kunst war. Ich war mit Sicherheit die erste Frau seines Lebens, die hundertprozentig an ihn geglaubt, ihn geliebt hat. Denn die Kunst ist das, was bleibt. Er liebte Frauen, Frauen als Freunde und Förderer, Küsse und Umarmungen, warum nicht.
Es gibt auch diese Pin-up-Dimension in Ihrer Arbeit, so wie die splitternackte Frau, die an den Flipperautomaten montiert ist („Bronze Pinball Machine“, 1980).
Das ist die Frau als sexuelles Objekt, Punkt. So gesehen, ist die Arbeit ein wenig moralisierend. Das Gleiche gilt für „Rhinestone Beaver Peep Show Triptych“. Das ist sehr wohl eine Frage an Männer und die Gedanken, die sie haben, und auch an Frauen, ob sie nicht mehr als nur Objekt sein wollen. Es gibt auch Kienholz-Arbeiten über Ehefrauen, über Witwen (in Frankfurt: „The Widow“, 1962). Es ging immer um das Soziale. Sie müssen das im Rahmen der Zeit denken, als man – zum Beispiel – erfolgreiche Künstlerinnen an zwei Händen abzählen konnte. Insofern war es für ihn der große Durchbruch, mich in die künstlerische Autorschaft einzuschließen.
Wieso für ihn? Nicht vielmehr für Sie?
Es ist eigentlich einfacher, nur „die Frau“ zu sein. Man geht zu einer Eröffnung und amüsiert sich.
Er hat Sie in die Autorschaft hineingezogen.
Das hat er.
Es gibt Männer, die Feministen sind.
Auf jeden Fall, und Ed eben auch. Was die Kunst betraf, so hat er mir einfach alles gezeigt, wie man eine Figur vom lebenden Modell abgießt, zum Beispiel. Allerdings konnte ich es dann auch genauso gut. Es war eine Zeit des Übergangs; auch bei Christo wurde es eine künstlerische Partnerschaft. Fertigkeiten kann man lernen. Die Kunst aber nicht.
Es gibt auch ein Werk von Ihnen nach 1994 – aber wo kann man es sehen?
Einiges ist verkauft, manches in Texas, manches in Berlin. Ja, es hat Leute aufgeregt, dass wir künstlerische Partner wurden, aber vor allem die, die vom Werk am wenigsten verstanden. Natürlich drängen jetzt die Künstlerfreunde, dass ich mich beweisen soll. Ich mache weiter, ja, aber ehrlich, es macht lange nicht so viel Spaß wie zu zweit.
Haben Sie Pläne, was mit den übrigen Arbeiten geschehen soll und mit dem Anwesen hier in Hope?
Ich habe eine Stiftung gegründet, in die ein Teil des Eigentums eingegangen ist. Nun muss ich genug Geld verdienen, um die Stiftung zu erhalten. Es wird ein Kienholzding bleiben. Ich bin auch vom Getty gefragt worden, wo die Arbeiten hinsollen. Klar, das amerikanische Werk wird in den USA verstanden. Aber was ist mit den Berliner Arbeiten: Gehören die nicht nach Berlin?