Flugzeuge weggerechnet

Die Umweltbehörde präsentiert der Bevölkerung die neue Lärmstudie – und stößt auf krasses Unverständnis. Auf dem Papier verschwindet der Fluglärm

von Roman Rutkowski

Der Saal im Bürgerhaus Obervieland ist voll. Britta Giebelhausen vom Immissionsschutz-Referat des Umweltressorts wirft Powerpoint-Folien an die Wand. Die ersten wütenden Ausrufe ertönen, als Giebelhausen eine Lärmkarte mit einer schmalen roten Markierung in der Mitte auflegt. Mit nicht ganz fester Stimme verkündet sie: „Der Lärm bleibt auf dem Flughafengelände.“ Lautstarke Proteste folgen: „Wo leben Sie eigentlich? – Das kann doch nicht wahr sein“, schlägt es ihr entgegen.

Die Stimmung während der Beiratssitzung ist gereizt. Vorne ergreift Beiratsmitglied Erich Peters (SPD) das Wort: „Wenn nachts jemand mit einem Hammer auf ein Stück Blech schlägt, verschwindet diese Lärmspitze durch die Einbeziehung stiller Zeiträume in der Mittelwertsberechnung völlig. Trotzdem sind alle wach.“ Peters will sagen: „Die Vorschrift passt einfach nicht auf die Menschen!“ Der Saal applaudiert heftig. Auch der Referatsleiter Ralf Wehrse ist anwesend: „Ich gebe Ihnen da recht“, bestätigt er, „ob wir das schön finden oder auch nicht.“ Er könne sich jedoch nur nach den Rechtsgrundlagen richten.

Dienstag Abend informierte das Umweltressort im Beirat Obervieland über die Ergebnisse der neuen Lärmerfassung. Entgegen den Erwartungen wollte die Behörde nicht über Lärmschutzmöglichkeiten diskutieren. Die „Beteiligung der Öffentlichkeit“ ist nur für kurze Zeit im Frühjahr 2008 vorgesehen.

Die Anwohner, die zur Beiratssitzung gekommen sind, müssen eine große Zahl Absurditäten begreifen lernen. Zum Beispiel: Straßenverkehrs-, Straßenbahn-, Industrie-, Flug- und Eisenbahnlärm werden jeweils getrennt erfasst. Eine Summierung zu einer Gesamtlärmbelastung sei rechnerisch nicht möglich, meint Giebelhausen. Die jetzige Kartierung beruht zudem auf Daten aus dem Jahre 2005. Veränderungen wie die Zunahme der Flugbewegungen (Ryanair), die A 281 oder der achtspurige Ausbau der A 1 werden erst nach 2010 erfasst.

Der Knackpunkt: Die Lärmbelastung wird ein Jahr lang gemessen, daraus wird allerdings ein Mittelwert berechnet. Maßnahmen empfiehlt die EU erst ab einem Mittelwert von 60 dB(A) nachts oder 70 dB(A) am Tage.

Eberhard Greiser, anwesender Medizin-Professor, erläutert: „Es ist ein Irrtum, dass Lärm unter 60 dB(A) nicht gesundheitsgefährdend ist. Studien belegen, dass bereits bei Pegeln ab 40 dB(A) erhebliche Gesundheitsschäden auftreten.“ Wehrse kann sich diesen Argumenten nicht entziehen: „Ich werde das nicht bestreiten, das ist alles richtig. Gesunder Schlaf ist nur möglich bei einem Pegel von höchstens 30 dB(A), allerdings innen, am Ohr des Schläfers, gemessen.“ 30 dB(A) entspricht menschlichem Flüstern. Greiser setzt noch einen drauf: „Die Karten ab 60 dB(A) sind eine grobe Irreführung. Diese Werte sind nicht wissenschaftlich begründet, sondern mit den jeweiligen Lobbys ausgehandelt worden.“

Dass die Hauptverkehrsstraßen in Obervieland inklusive Autobahn diese Werte übersteigen, ist für die Anwesenden ein alter Hut. Finanzmittel zur Lärmminderung könne man aber nicht bereitstellen. „Es gilt das Verursacherprinzip“, so Wehrse. „Utopische Forderungen kann ich nicht erfüllen.“ Man habe gerechnet, wie es die EU vorgeschrieben hat. „Ich kann ihren Ärger jedoch verstehen.“ Er selbst glaubt nicht, dass die Maßnahmen großen Erfolg versprechen: „Wir können in manchen Bereichen eine Minderung von zwei, drei, wenn es gut geht fünf Dezibel erreichen. Doch sollen wir deswegen alles sein lassen? Ich meine: Nein.“

Welche Mitspracherechte denn der Beirat in dieser Angelegenheit eigentlich hätte, will Dieter Sebastian (SPD) wissen. Wehrse: „Der Beirat ist zu behandeln wie die Öffentlichkeit ... naja, ein bisschen mehr. Wir nehmen Sie jedoch ernst, deswegen sind wir da!“