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Archiv-Artikel

Schule im Geheimen

In zentraler Lage am Körnerwall fand 14 Jahre lang ungenehmigter Schulbetrieb statt – gänzlich unbemerkt, wie Senatorin Renate Jürgens Pieper (SPD) gestern der Bildungsdeputation berichtete

von KLAUS WOLSCHNER

„Wir sind 14 Jahre betrogen worden“, das hat die neue Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) gestern in der Bildungsdeputation für ihre Behörde erklärt. Der Fakt: In einem Haus am Körnerwall wurden über die gesamte Zeit Kinder im Grundschul-Alter unterrichtet. Genehmigt war der Schulbetrieb allerdings nicht.

Mit allen möglichen Tricks, so berichtete Jürgens-Pieper, hätten die Eltern den Sachverhalt vertuscht. Erst als ein Computerprogramm erlaubte, Schülerdaten und Melderegister zu vergleichen, sei im vergangenen Jahr das Fehlen einzelner Schüler aufgefallen. Insgesamt, so der Schulrat Walter Henschen, sollen nach Angaben der Einrichtung am Körnerwall mehr als 200 Kinder diese illegale Grundschule durchlaufen haben. Bei den weiterführenden Schulen seien sie unbemerkt mit gefälschten Angaben angemeldet worden.

Dies sei, so die Bildungssenatorin, ein bisher öffentlich nicht genannter Grund, aus dem der Anfang des Jahres gestellte Antrag auf Genehmigung einer „Freien Schule Bremen“ abgelehnt wurde. Sie gehe nicht davon aus, dass die betroffenen Kinder auf den weiterführenden Schulen Probleme gehabt haben. Sie hätten in der Grundschule „ideale Bedingungen“ gehabt, meinte sie, deren Voraussetzung eben auch die „soziale Entmischung“ des Eltern-Klientels sei.

Inzwischen gehen alle acht Grundschul-Kinder, die zuletzt am Körnerwall jahrgangsübergreifend von einer Pädagogin unterrichtet wurden, auf die Kinderschule Auf der Howisch. Der frühere Sozialstaatsrat Hans-Christoph Hoppensack hatte über Monate ein „Moderationsverfahren“ zwischen Betroffenen und Behörde organisiert, mit der der bruchlose Übergang vereinbart worden war.

Gustav Schmitz ist einer der Gründer des Vereins Freie Schule. „Meine Tochter ist fünf Jahre alt“, sagt er, sie gehe in den Kindergarten Picobello am Körnerwall. Keiner der 13 Mitglieder des Schulvereins habe ältere Kinder, die am Körnerwall beschult wurden. Dennoch habe es das gegeben. „Illegal“ will Schmitz das nicht nennen, eher „ungenehmigt“. Denn vor 14 Jahren hätten die damaligen Eltern versucht, eine freie Schule genehmigen zu lassen. „Die Schulbehörde hat das abgeblockt.“ In Bremen gebe es überhaupt nur kirchliche Privatschulen und die Waldorfschule der Freien Christengemeinde, keine einzige Freie Schule sei anerkannt worden, im Unterschied zu anderen Bundesländern. Die Schulbehörde habe damals als Kompromiss die „Kinderschule“ gegründet, die inzwischen Auf der Howisch ihre Adresse hat – „aber das ist eine staatliche Schule“, so Schmitz.

Den Eltern des Vereins Freie Schule ist die Selbstorganisation wichtig, und sie wollen auch eine enge Vernetzung mit dem Kindergarten, einen „fließenden Übergang“. „Die Größeren übernehmen Verantwortung für die Kleineren, die Kinder sollen auch gemeinsam lernen“, sagt er. Eben so wie es am Körnerwall praktiziert wurde. Und wie es im von der Behörde abgelehnten Konzept der Freien Schule steht. Die Überraschung der Schulbehörde kann Schmitz überhaupt nicht verstehen. „Das wussten doch alle, dass Grundschulkinder zum Körnerwall gehen“, behauptet er. Es wäre merkwürdig, wenn nur die Behördenmitarbeiter nichts davon mitbekommen hätten. Der Schulverein sei davon ausgegangen und habe sich Anfang des Jahres an die Behörde gewandt – mit dem Anliegen, den dortigen Schulbetrieb zu legalisieren.

„Fassungslos“ gibt sich CDU-Bildungspolitiker Claas Rohmeyer. Er hat einen schriftlichen Bericht angefordert. In der Gründungszeit der Schule, hat er ausgerechnet, hieß der Bildungssenator Henning Scherf. Magnus Buhlert (FDP) will gleichzeitig aber genauer wissen, warum das Konzept des Schulvereins nicht genehmigungsfähig sein soll.