: So zufrieden kann ein Requiem klingen
Eine interessante Woche im Pop: Die Band Radiohead hat ihr neues Album „In Rainbows“ ins Netz gestellt. Jeder kann zahlen, was er will. Und Madonna ist nun bei einem Konzertveranstalter unter Vertrag. Nach dem Ende der Tonträgerindustrie greifen auch im Mainstream neue Vertriebsmodelle
VON ARNO FRANK
In ein rhythmisches Geflecht aus Congas und Bongos hinein sagte Gil Scott-Heron 1970 einen goldenen Satz: „The revolution will not be televised.“ Zwar hatte er damit Umwälzungen ganz anderer Art im Sinn, sollte aber dennoch Recht behalten: „The revolution will be downloaded“, seit am vergangenen Donnerstag die britische Band Radiohead auf ihrer Internet-Seite (www.radiohead.com) das neue Album „In Rainbows“ zum Runterladen freigeschaltet hat.
Ohne Plattenfirma, ohne Kopierschutz und vor allem ohne „Preisempfehlung“ oder Zahlungspflicht. Es bleibt dem Kunden selbst überlassen, ob er er für die digitale Version der zehn neuen Songs einen marktüblichen Obolus entrichtet – oder gar nichts. Auch wenn es „In Rainbows“ im Dezember auch als 40 Pfund teure Box mit Doppel-CD und Vinyl-Platten geben soll: Nie zuvor hat sich ein „recording artist“ von solcher Relevanz so weit aus dem Fenster gelehnt und die Verheißungen der „digitalen Revolution“ so kompromisslos beim Wort genommen wie Radiohead.
Und es sieht ganz danach aus, als ob sich der Coup für die Künstler lohnen würde. Nach Angaben des Managements soll jeder Zweite für „In Rainbows“ bezahlt haben – im Wissen, dass das Geld direkt an die Band geht, anstatt zunächst die Konten der kränkelnden, aber immer noch mächtigen und milliardenschweren Plattenindustrie zu füllen. Schon kündigen andere Gruppen (wie etwa Nine Inch Nails) an, es demnächst ganz genauso machen zu wollen. Dabei ist Radiohead nicht die erste Ratte, die nach einem Weg sucht, das sinkende Schiff der Branche trockenen Fußes zu verlassen.
Einige versuchten es schon auf eigene Faust – wie Prince, der sein Album „Planet Earth“ im Juli erst einmal einfach der umgerechnet 2 Euro teuren Mail on Sunday beilegen ließ. Oder wie die Einstürzenden Neubauten, die seit ein paar Jahren fast ausschließlich auf ein Subskriptionsmodell setzen und sich damit ihr Wirken von Abonnenten finanzieren lassen. Abgehalftertere Bands à la Marillion können sich auf ähnliche Weise länger über Wasser halten, wenn auch weitgehend unbeachtet von Markt und Öffentlichkeit. Da paddeln andere lieber gleich dahin, wo neuerdings das ganz große Geld zu Hause ist: bei den Klingeltonproduzenten oder, besser noch, den Konzertveranstaltern. So hat sich Madonna von ihrer langjährigen Plattenfirma getrennt, um sich für eine Ablösesumme von umgerechnet 85 Millionen Euro beim Konzertveranstalter Live Nation unter Vertrag nehmen zu lassen. Das Unternehmen gilt als globaler Leviathan der Konzertbranche und brachte bisher bei jährlich über 33.000 Veranstaltungen über 67 Millionen Fans mit ihren Lieblingskünstlern zusammen. Künftig wird Live Nation auch die nächsten drei Alben einer cleveren Geschäftsfrau auf den Markt bringen.
Allerdings ist auch dieses Modell, bei dem Künstler direkt von den Veranstaltern unter Vertrag genommen werden, alles andere als neu – nur war es früher auf Las Vegas beschränkt und galt, mit „Künstlern“ wie Celine Dion, Elton John oder Tom Jones, als bequemes Ruhekissen und kreativer Bankrott.
Um maximalen Gewinn dürfte es Mitgliedern von Radiohead allerdings kaum gehen – eher schon um ihren Nimbus als freischaffende Avantgardisten, die sich ihre Freiheit nicht nur finanziell, sondern auch ästhetisch leisten können. Und so knüpft „In Rainbows“ genau dort an, wo „Hail To The Thief“ vor vier Jahren endete. Der künstlerische Verzicht auf gewaltige Riffs und monolithische Rockgesten, nach denen sich Fans seit dem entsprechenden Meilenstein „OK Computer“ verzehren, ist wohl tatsächlich endgültig.
Gleich im ersten Song, „15 Steps“, pluckert und fiept und knackt und funkt es fast, in bester „Kid A“-Tradition und geschult am Output des Electronic-Labels Warp. Jonny Greenwood durchwirkt diese oft sehr dichten rhythmischen Texturen und vertrackten synkopischen Verschleppungen mit sehr sparsamer, sehr lyrischer Gitarrenarbeit. Aber es gibt auch Kadenzen hier, Handclaps und Kinderlachen und sogar fette Streicher, genug Luft für die balladesken Melodien zum Atmen und für das exquisite Falsett des Thom Yorke zum mäandernden Schmachten: „I’m a cloud of moths/ Who just wants to share your light/ I’m just an insect/ Trying to get out of the night“.
„In Rainbows“ klingt, wie ein Requiem auf die Plattenindustrie vielleicht klingen muss, anspruchsvoll und unaufgeregt, nach zufriedenem Stillstand auf höchstem Niveau.