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Archiv-Artikel

Gras auf der Straße statt im Park

GÖRLITZER PARK Wegen der Polizeieinsätze verlagert sich das Drogengeschäft in die Umgebung

Nullgrammgebiet

■ Der Besitz von Cannabis ist bundesweit verboten. Doch laut Betäubungsmittelgesetz „kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre, kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht und der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge“ besitzt. Das Cannabis wird dann trotzdem beschlagnahmt und vernichtet. Es gibt aber keine Strafe.

■ Wie viel Gramm eine „geringe Menge“ sind, wird von den Bundesländern festgelegt. In Berlin sind es 15 Gramm.

■ Geregelt ist dies in einer Verordnung, die Justizverwaltung, die Innenverwaltung und Gesundheitsverwaltung gemeinsam erlassen haben. Dort sind auch die Orte festgelegt, an denen immer ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht: im Gefängnis, in Kindergärten, Schulen, Bahnhöfen und auf Spielplätzen. Zum 1. April soll auch der Görlitzer Park in diese Liste kommen. (hei)

Misstrauisch checkt der junge Mann im blauen Kapuzenpulli die Passanten ab: Freund oder Feind? Potenzieller Kunde? Oder Zivilpolizist? Er hält sich ein paar Meter abseits des Hauptweges, im Schatten einiger Bäume. Ein Blickschutz wie dieser ist selten geworden im Görlitzer Park: Der Bezirk hat Büsche und Hecken überall radikal heruntergeschnitten. Ein Radfahrer holpert über die Wiese heran. „Weed?“, fragt er leise. Zusammen verschwinden sie unter der Kiefer.

Es gibt ihn noch, den Drogenhandel im Görli, wenn auch nicht mehr so massiv und offen wie früher. Seitdem der Wirt einer Shisha-Bar an der Skalitzer Straße Mitte November in einem mutmaßlichen Akt von Selbstjustiz einen Dealer niedergestochen hat, macht die Polizei Druck. Allein im Januar führten die Beamten im Park 50 Einsätze mit 7.186 Einsatzkräftestunden durch. Zum Vergleich: In 2013 gab es insgesamt 120 Einsätze.

Arbeiten? Darf er nicht

Auch jetzt fährt auf der anderen Seite der Mauer alle paar Minuten ein Polizeiwagen vorbei. Der Mann mit blauer Kapuze lässt die Umgebung nicht aus den Augen, während er erzählt. Viele seiner Freunde kämen nicht mehr hierher, sagt er in gebrochenem Englisch. „Ich will auch nicht, aber was soll ich machen? Ich würde gern was anderes arbeiten. Aber ich darf nicht.“

Ein großer Hagerer mischt sich ein. „Ich habe den ganzen Tag nichts zu essen. Abends auch nicht. Ich habe Hunger.“ Bei jedem Satz stößt er den Arm mit Nachdruck in die Luft. „Deshalb stehe ich hier.“ Er sei über Spanien nach Deutschland gekommen, erzählt er. Hier schlage er sich allein durch. Er habe eine große Familie in Afrika. „Denen muss ich Geld schicken.“ Plötzlich kommt Bewegung in die Gruppe. „Police“, sagt der Hagere noch, dann laufen sie weg.

Im Park ist der Handel nicht mehr so präsent wie früher. Dafür hat sich das Geschehen in die umliegenden Kieze verlagert. Manche Dealer weichen Richtung Treptow aus, andere in die Falckensteinstraße. Auch in der Revaler Straße in Friedrichshain wird inzwischen eifrig vertickt.

Das führt schon jetzt zu Aggressionen. „Die Schwarzen machen uns hier echt fertig“, sagt ein Imbissbesitzer im Wrangelkiez. Sie stünden vor seiner Tür, sprächen seine Kunden an. „Das Geschäft läuft schlechter seitdem“, sagt er. Zuerst sei er rausgegangen, habe „Schlägerei gemacht“, wie er es nennt. Jetzt rufe er immer die Polizei. Das bringe zwar auch nichts, aber so sei es eben im Moment – er zuckt resigniert mit den Schultern.

Die Verkäuferin eines Ladens mit Retro-Möbeln hat den Handel seit Kurzem direkt vor ihrem Schaufenster. „Vorher hat sich der Drogenhandel im Park konzentriert, jetzt verteilt er sich im Kiez“, sagt sie. Sie schüttelt genervt den Kopf. Eine Nulltoleranzzone, wie der Innensenator sie will, hält sie für sinnlos. „Die Menschen lösen sich deswegen ja nicht in Luft auf.“ Es sei höchste Zeit für einen Coffeeshop, fordert sie. Und für eine Arbeitserlaubnis für die Flüchtlinge.

In einem Backshop an der Ecke kaufen sich viele Schwarze ihren Kaffee, wärmen sich auf, benutzen die Toilette. Manche Nachbarn finden gut, dass sie hier einen Ort haben. Die Inhaber selbst sehen das mit gemischten Gefühlen. „Wir wollen keine Drogen. Ich habe selbst Kinder, die im Viertel aufwachsen“, sagt eine junge Frau mit Kopftuch. Ihr Vater habe die Männer rauswerfen wollen. „Aber die Polizei sagt, die haben nichts bei sich.“ Also behandelt sie sie wie normale Kunden.

Man kennt sich

Im Park macht die Polizei derweil wieder einen Einsatz. Am Eingang Oppelner Straße filzen Beamte in zivil zwei Schwarze. Man kennt sich offenbar. Fast mitleidig sagt ein Polizist mit Brille zu dem Jüngeren: „Diesmal fahren sie dich nicht mehr einfach nach Hause, du bist jetzt ja 18.“

Während die Beamten den Schwarzen das Geschäft vermiesen, versuchen andere offenbar, die Marktlücke zu nutzen. Schon zweimal sei ihm während der Razzien von anderen, hellhäutigeren Händlern Stoff angeboten worden, erzählt ein Anwohner.

Weiter südlich im Park ist von der Polizei nichts zu sehen. Die jungen Männer von vorhin pirschen sich wieder an den Hauptweg heran. „Sorry“, sagt einer, sie könnten sich nicht weiter unterhalten – zu gefährlich. Die Polizei denke sonst, sie würden Drogen verkaufen. Sie schlendern weiter, mit eingezogenen Schultern, immer auf der Hut.

ANTJE LANG-LENDORFF