: Zu hohe Hürden für mehr Demokratie
Obwohl sich fast eine halbe Million Hamburger beteilige, scheitert der Volksentscheid zur Stärkung der Volksgesetzgebung. Dafür, dass nicht bei der Bürgerschaftswahl abgestimmt wurde, sorgte die regierende CDU. Initiatoren wollen nicht aufgeben
In den verschiedenen Bundesländern sind die Hürden für Volksbegehren und die darauf aufbauenden Volksentscheide nach einer Übersicht des Vereins Mehr Demokratie unterschiedlich. Damit ein Volksbegehren zustande kommt, müssen in Hamburg und Schleswig-Holstein fünf Prozent der Wahlberechtigten unterschreiben. In Bremen und Niedersachsen sind es zehn Prozent. Hamburg bleibt für das Unterschriftensammeln aber nur 21 Tage Zeit. Einem einfachen Gesetz müssen in den Nord-Ländern 25 Prozent der Wahlberechtigten zustimmen. In Hamburg sind es 20 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern 33 Prozent. Bei Verfassungsänderungen liegt das Zustimmungsquorum überall im Norden bei 50 Prozent, zum Teil gekoppelt mit einer Zweidrittel-Mehrheit. Ausgerechnet in Bayern gibt es für einfache Gesetze gar kein Zustimmungsquorum. Verfassungsänderungen müssen 25 Prozent der Wahlberechtigten zustimmen. KNÖ
von GERNOT KNÖDLER
Der Volksentscheid über eine Stärkung des Volksentscheids in Hamburg ist am Sonntag nicht zustande gekommen. Die Initiatoren scheiterten an dem hohen Zustimmungsquorum für Verfassungsänderungen: Nur knapp 40 Prozent der HamburgerInnen beteiligten sich an dem Volksentscheid. Mindestens 50 Prozent der Wahlberechtigten jedoch hätten einer Verfassungsänderung zustimmen müssen.
Die Initiative unter Führung des Vereins „Mehr Demokratie“ hat angekündigt, nicht aufzugeben. Auf einer Mitgliederversammlung am 31. Oktober will der Verein diskutieren, ob das Verfahren angefochten werden kann oder ob ein neuer Anlauf sinnvoll ist. Bis dahin werden auch die Ja- und Nein-Stimmen ausgezählt sein. „Klar ist, dass wir nicht alle Viere von uns strecken und sagen: Das war’s jetzt“, sagt Angelika Gardiner von der Initiative.
Wie ihre Mitstreiter hatte sie mit dem Volksentscheid auf eine doppelte Herausforderung durch die CDU reagiert: Zwei Volksentscheide haben die Christdemokraten, die seit Anfang 2004 mit absoluter Mehrheit die Stadt regieren, ausgehebelt: Sie verkauften den größten Teil des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) an den Asklepios-Konzern, obwohl sich die Mehrheit der Hamburger dagegen ausgesprochen hatte.
Zudem änderte die CDU die entscheidenden Punkte des neuen Wahlrechts, das sich die Hamburger im Sommer 2004 gegeben hatten – per Volksentscheid. Es erlaubte den Bürgern, direkt zu bestimmen, welche Parteikandidaten in die Bürgerschaft einziehen würden. Beide Volksparteien wollten das weiterhin selbst bestimmen. Die abermalige Änderung des Wahlrechts geht aber auf das Konto der CDU.
Der Verein kämpft seit zehn Jahren für einen größeren Einfluss der HamburgerInnen auf die Willensbildung. Mit der Volksabstimmung wollte ein breites Bündnis unter Führung von Mehr Demokratie Volksentscheide erleichtern und verbindlicher machen: Die Zustimmungsquoren sollten weiter gesenkt werden. Für den Fall, dass die Bürgerschaftsmehrheit einen Volksentscheid ignoriert, sollten 2,5 Prozent der Wahlberechtigten binnen drei Monaten einen weiteren Volksentscheid initiieren können.
Für den Volksentscheid engagierten sich die Oppositionsparteien, die Gewerkschaften, diverse Bürgerinitiativen, Vereine und Verbände. Dagegen trommelte die CDU unter Führung ihres Bürgermeisters Ole von Beust, der als Privatmann 200.000 HamburgerInnen brieflich aufforderte: „Retten Sie die Verfassung.“
Unterstützt wurden die Christdemokraten von der Handels- und der Handwerkskammer: Die warnten davor, dass aktive Minderheiten die Mehrheit dominieren könnten. Das folge aus den geplanten Zustimmungshürden von 17,5 Prozent aller Wahlberechtigten für einfache Vorlagen und 35 Prozent für Verfassungsänderungen.
Mehr Demokratie argumentiert dagegen, schon die Mobilisierung der Wahlberechtigten für diese hohen Quoren sei nicht einfach. Dass mindestens jeder zweite Wahlberechtigte zustimmte, wie es für die gewünschte Verfassungsänderung notwendig gewesen wäre, sagt Initiativensprecherin Gardiner, habe noch kein Volksentscheid in Deutschland geschafft. Um außerdem die erforderliche Zweidrittel-Mehrheit zustande zu bringen, hätten rund 80 Prozent der Berechtigten an der Abstimmung teilnehmen müssen – mehr als bei den jüngsten Bundestagswahlen. „Es wäre fast ein Weltwunder gewesen“, sagt Gardiner, „wenn wir diesen Volksentscheid geschafft hätten.“
Dass sich Handwerks- und Handelskammern zu dem Referendum positionierten, sorgt für Unmut unter deren Zwangsmitgliedern. Der Vorstandsvorsitzende des Hamburger Nahrungsproduzenten Frosta, Dirk Ahlers, beantragte zusammen mit anderen Unternehmern eine einstweilige Verfügung gegen die Handelskammer: Diese dürfe sich nicht allgemein politisch äußern.
Für die Initiatoren des Referendums stellt sich die Frage, ob sie den Schwung nutzen sollen, um einen neuen Entscheid auf den Weg zu bringen. Dieser würde mit der Bundestagswahl 2009 stattfinden, was eine hohe Beteiligung wahrscheinlich machen dürfte. Den aktuellen Volksentscheid am Tag der kommenden Bürgerschaftswahl im Februar 2008 abzuhalten, hatte die CDU gezielt verhindert.
Eventuell kann der Volksentscheid auch noch angefochten werden: In vielen Haushalten kamen die Abstimmungsunterlagen verspätet an – möglicherweise weil der Senat sie als billigere Infopost versenden ließ. Der Gesetzentwurf der Initiatoren wurde erst nachträglich verschickt – in manchen Fällen zu spät.
Bei der CDU deutet sich derweil Bewegung an: Über eine stärkere Verbindlichkeit von Volksentscheiden könne nachgedacht werden, sagte der Abgeordnete Kai Voet van Vormizeele. Dann müssten aber auch die Hürden angehoben werden.